■ Ferienbeginn provoziert Riesenstau mitten in der Nacht: Schwere Ausstattungsmängel
Eine glänzende Idee: mitten in der Nacht losfahren und dem Stau ein Schnippchen schlagen. Wenn dann die Meute morgens aufbricht, sind wir schon fast in Rimini. Juhuu! Schade nur, daß alle Nordrhein-Westfalen, alle Opelaner und Ford-Werker dieselbe glänzende Idee hatten. Und also im Stau standen, der gerechtesten Art der Fortbewegung – alle gleich schnell, mitten in der Nacht. Hie und da noch ein Oranje- Hemd dazwischen, denn auch die Niederländer waren zum Jahresurlaub angetreten. Ausschreitungen zwischen Deutschen und Holländern wurden nicht gemeldet, was wieder mal zeigt, welch friedliches Völkchen doch die Autofahrer sind.
Doch der „Sitzstreik aller gegen alle“ (Volker Beck) ist nicht weiter schlimm, zumal uns ADAC- Sprecher Maximilian Maurer versichert, daß sich der Deutsche als Angehöriger eines Transitlandes an den Stau ganz prima gewöhnt habe. Der Anpassungsprozeß der Evolution, er macht auch vor dem Kamener Kreuz nicht halt. „Und wenn dann wirklich mal eine dickere Suppe kommt, dann hat das nichts Tragisches mehr“, sagt der Herr Maurer. Ganz und gar untragische 48 Kilometer Stau waren's am Samstag mittag bei Aschaffenburg, während sich zwischen Bremen und Hamburg 30 Kilometer Dauerstau gebildet hatte.
Der psychologische ADAC-Notdienst bedauerte allerdings, daß nur wenige Fahrzeuge mit dem neuen Fahrgastraum-Halluzinator CXE von Thompson ausgerüstet waren. Wie berichtet, halluziniert er im Stau eine völlig freie, gut ausgebaute sechsspurige Autobahn auf die Windschutzscheibe. Echtzeit-Fahrgeräusche kommen durch die serienmäßigen Surround-Boxen jetzt noch realistischer rüber. Die Energiespar- Cruiser-Windmaschine liefert erfrischenden Fahrtwind aus vier Düsen gleichzeitig. Auch riskante Überholmanöver samt stinkefingerzeigenden Opponenten können simuliert werden. Eine neue Studie des Bremer Instituts für Präventivmedizin ergab, daß Autofahrer, die im Stau zum Frustabbau den Halluzinator einschalten, signifkant niedrigere Blutdrücke aufweisen. SPD-Verkehrsexperte Daubertshäuser will die Halluzinatoren bis 1998 gesetzlich vorschreiben.
Ungewohntes Gedränge melden unterdessen die Autobahnkirchen, wo Geistliche beider Konfessionen am Sonntag ökumenische Gottesdienste auf Rädern feierten. Nach Auflösung der Staus nahmen Tausende an den Dankgottesdiensten teil. Weihbischof Kuhnle, der in Rastatt in einem zur Kanzel umgebauten metallic schwarzen Porsche 911 predigte, sagte, Gott führe uns durch zuweilen verschlungene Wege. Ein dankbares Hupkonzert beendete die Andacht. Manfred Kriener
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