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Waren aufs Wasser?

Aus Mangel an effizienten Transportnetzen setzen lateinamerikanische Staaten auf Wasserstraßen / Naturschützer sind skeptisch  ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange

Das südamerikanische Monster „Mercosur“ ist aus den Startlöchern. Seit fast sieben Monaten bilden die 190 Millionen Einwohner von Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay einen gemeinsamen Markt mit durchlässigen Grenzen und einheitlichen Zolltarifen für Nicht-Mercosur-Mitglieder.

Beim Eintritt in den Klub mächtiger Wirtschaftsblöcke macht dem südamerikanischen Markt mit einem Bruttosozialprodukt von rund 715 Milliarden Dollar und jährlichen Wachstumsraten von fünf bis acht Prozent jedoch ein ganz elementares Problem zu schaffen: Seine vier Mitgliedsstaaten verfügen nicht über ein modernes Verkehrsnetz für den Transport der wachsenden Warenproduktion.

Laut offizieller Bestandsaufnahmen durchkreuzen zur Zeit 200.000 Kilometer asphaltierte Straßen und ein Autobahnnetz von 68.000 Kilometer Länge die Mercosur-Staaten. Ein Schienennetz, das den Kontinent vom Atlantik bis zum Pazifik durchquert, gibt es nur in Ansätzen.

Die Gründungsväter des südamerikanischen Marktes erkannten diesen Mangel und entdeckten in ihrer Not die Vorteile des Schifftransports. In der argentinischen Stadt Las Lenhas einigten sich Regierungsvertreter der „Mercosur“- Staaten sowie Boliviens im Juni 1992 auf die gemeinsame Nutzung der Wasserstraße der beiden Flüsse Parana und Paraguay. Im brasilianischen Bundesstaat São Paulo wurde bereits vor 40 Jahren der Ausbau der Flüsse Tiete und Parana als alternativer Verkehrsweg angeregt. Das 1,6 Milliarden Mark teure Projekt wurde in diesem Jahr fertiggestellt und verbindet die Metropole São Paulo mit dem 2.400 Kilometer entfernten Staudamm Itaipu.

Ein ausgebautes Verkehrsnetz fehlt

Die 3.303 Kilometer lange „Hidrovia Parana-Paraguay“ (HPP), die von der Hafenstadt Nueva Palmira in Uruguay bis nach Carceres im brasilianischen Sumpfgebiet „Pantanal“ führt, soll ebenfalls für den Frachtverkehr ausgebaut werden und insbesondere Binnenstaaten wie Bolivien und Paraguay den Zugang zum Meer verschaffen. Von Buenos Aires bis zur Hauptstadt Paraguays, Asunción, herrscht bereits jetzt reger Schiffverkehr. Um die Kosten für die notwendigen Ingenieursarbeiten (Begradigung des Flußbetts, Vergrößerung der Fahrrinne, Hafenausbau, Beschilderung) zu veranschlagen sowie auf mögliche Gefahren für Umwelt und Natur aufmerksam zu machen, hat die Interamerikanische Entwicklungsbank (BID) zwei Studien in Auftrag gegeben, die Mitte 1996 abgeschlossen sein sollen. Doch bereits jetzt regt sich unter den Umweltschützern Südamerikas heftiger Widerstand.

Vertreter von 70 Regierungsunabhängigen Organisationen (NGO) aus den fünf Anrainerstaaten sprachen sich auf einem Kongreß in São Paulo einstimmig gegen den Ausbau der Wasserstraße aus. Wirtschaftswissenschaftler Mauricio Galinkin, der im Auftrag des „World Wide Fund For Nature“ (WWF) eine Studie über die wirtschaftliche Rentabilität des Projektes anfertigte, kritisierte die hohen Kosten von schätzungsweise 1,3 Milliarden Dollar. „Es ist fraglich“, so der Mitarbeiter des brasilianischen Zentrums für kulturelle Zusammenarbeit (Cebrac), „ob der Transport von Getreide und Mineralien jemals die hohen Investitionen amortisiert.“

Zu den Zweifeln an der wirtschaftlichen Rentabilität des kostspieligen Vorhabens kommen die Befürchtungen der Naturschützer, die Wasserstraße zerstöre das größte noch intakte Sumpfgebiet der Erde, genannt „Pantanal“. Durch die Begradigung und Vertiefung des Rio Paraguay in seinem Oberlauf verlöre das „Pantanal“ seine Schwammwirkung, heißt es in der WWF-Studie. Das Sumpfgebiet könnte teilweise austrocknen, während stromabwärts beim Zufluß des Parana Hochwasserkatastrophen drohten. Die NRO- Vertreter warnten außerdem davor, daß der Ausbau der Wasserstraße zu einer verstärkten Besiedlung der Uferregionen führen könnte und dadurch das ökologische Gleichgewicht des Nationalparks in dem brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso gefährde.

Sumpf verschwindet, Hochwasser kommt

Im brasilianischen Außenministerium teilt man die Einwände der Umweltschützer nicht. „Der WWF ist total desinformiert“, entfährt es Marcelo de Morais Jardim, Minister im Itamaraty und Mitglied der Regierungskommission der fünf Anrainerstaaten. Die Umweltschutzauflagen der Weltbank seien extrem rigoros. In der entscheidenden Region seien Baggerarbeiten und Flußbegradigungen gar nicht geplant. „Auf dieser Strecke verkehrt nicht die Queen Elizabeth, sondern nur kleine Barkassen“, versichert der Minister.

Aber die Garantie der brasilianische Regierung, daß vor Abschluß der von BID in Auftrag gegebenen Studien nicht mit den Bauarbeiten an der Wasserstraße begonnen wird, überzeugte die NRO-Vertreter nicht. Paraguayische Umweltschützer klagten in São Paulo ihre Regierung an, mit der Sprengung von Felsen und Gesteinsbrocken im Flußbett des Paraguay bereits begonnen zu haben.

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