: Die Tabubrecher
■ In Belgrad macht "Radio B 92" Opposition gegen Miloevi: mit Rundfunk, Videofilmen, Büchern, CDs und E-mail wird ein unabhängiges Netzwerk aufgebaut
Um Marschall Tito bildet sich eine dichtgedrängte Menschentraube: „Alles deine Schuld!“ und „Du bist zu früh gestorben!“ rufen die Belgrader dem wiederauferstandenen jugoslawischen Staatschef zu. In den Diskussionen, die der Schauspieler Dragoljub Ljubicic alias Josip Broz Tito im März 1994 auf den Straßen Belgrads provoziert, vergessen manche Passanten, daß nur ein Double vor ihnen steht. Wieder andere spielen das Spiel mit – wie der Mann, der Tito rät, bei seiner nächsten Reise ins Jenseits auch an seine Nachfolger zu denken: „Nimm sie am besten alle mit!“
Zu sehen ist die Szene in Zelimir Zilniks Dokumentarfilm „Tito among the Serbs for the Second Time“. Er gehört zu einem umfangreichen Filmprogramm, das der Belgrader Radiosender „B 92“ letzte Woche auf der Berliner „Sommerakademie“ vorstellte. Die Mitarbeiter des Senders, der in Belgrad rund um die Uhr zu hören ist und zu den wenigen unabhängigen Medien in Ex-Jugoslawien zählt, nutzten die Gelegenheit, um für ihr Anliegen einer „offenen Gesellschaft“ im ganzen ehemaligen Jugoslawien zu werben.
Gegründet wurde Radio B 92 vor sechs Jahren. Anläßlich der alljährlichen Feierlichkeiten zu Titos Geburtstag bekam eine Gruppe von Studenten und Journalisten ein kleines Studio und eine Frequenz zur Verfügung gestellt. Die Lizenz war auf zwei Wochen beschränkt, doch B 92 sendete einfach weiter. Bis heute gibt es keine offizielle Genehmigung, aber der Sender wird geduldet. Die dreißig festangestellten und etwa 150 freien Mitarbeiter kommen aus dem breitgefächerten Spektrum der demokratischen Opposition in Serbien, die gegen das autoritäre Regime von Slobodan Milošević arbeitet.
B 92 macht nicht nur Radio, sondern verlegt auch Bücher und Zeitschriften und produziert Filme – zumeist Low-budget-Produktionen – zu Themen, die im staatlichen Fernsehen tabu sind. Einige Filme aus dem Verleih haben bereits internationale Anerkennung gefunden: So etwa Zelimir Zilniks „Marble Ass“ über die Transvestitenszene in Belgrad, der im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale zu sehen war. Oder der Dokumentarfilm „The Crime that changed Serbia“ über Bandenkriminalität, der in Oberhausen einen Preis gewann.
Darüber hinaus vertreibt der Sender CDs mit Independent- Musik aus Serbien und produziert gelegentlich Berichte für Fernsehstationen im Ausland. Fast die Hälfte der Gelder, die das Radio für seine Arbeit benötigt, werden auf diesem Wege eingespielt, der Rest kommt von Stiftungen und Sponsoren aus dem In- und Ausland. Während der Schlacht um Vukovar 1992 rief B 92 offen dazu auf, den Kriegsdienst zu verweigern, organisierte Friedensdemonstrationen und Rockkonzerte auf Belgrads Straßen.
Bis heute läßt man sich durch staatliche Repressalien nicht beirren. Als der Sender im März 1991 während der tagelangen Studentenunruhen von der Polizei geschlossen wurde, dauerte es nur gut 24 Stunden, bis die Redakteure ihr Studio wieder in Besitz nahmen und weitersendeten.
Daß das Regime seitdem keinen ernsthaften Versuch unternommen hat, die Arbeit des Radios zu unterbinden, ist erstaunlich: „Auf der einen Seite hast du hier ganz starken Druck, und dann kommt jemand, der kann sagen: Der Präsident ist ein Idiot“, beschreibt Vera Konjović von B 92 die Mischung aus Repression und Freizügigkeit, mit der die Belgrader Medien zurechtkommen müssen. Ihr und ihrem Chefredakteur Veran Matić ist jedoch durchaus bewußt, daß die Existenz der wenigen unabhängigen Medien in Serbien von Milošević auch benutzt wird, um dem Ausland Pressefreiheit vorzuspiegeln.
Mißbrauch gibt es auch von der anderen Seite: Das kroatische Staatsfernsehen, das eine Reportage über B 92 drehte, montierte die Interviews so geschickt, daß der Eindruck entstand, die MacherInnen des Senders würden das kroatische Regime Franjo Tudjmans unterstützen. Solche und ähnliche Versuche der Instrumentalisierung haben B 92 in der Belgrader Öffentlichkeit sehr geschadet – dabei wendet sich das Projekt strikt gegen jeglichen Nationalismus und macht da auch keine Unterschiede zwischen den Regierungen in Zagreb, Belgrad und Sarajevo.
Den Kontakt zu Oppositionellen in anderen Teilen Ex-Jugoslawiens zu halten, ist äußerst schwierig: Funktionierende Telefonleitungen gibt es nur noch nach Slowenien, Gespräche nach Zagreb oder Sarajevo müssen über Paris oder Wien geschaltet werden. Telefon-Interviews verschlingen so enorme Gelder. Im Aufbau einer eigenen Kommunikationsstruktur, zum Beispiel über E-mail, sehen die Macherinnen und Macher von B 92 daher ihre wichtigste Aufgabe für die Zukunft.
Schon jetzt gibt es eine enge Zusammenarbeit mit der Wochenzeitung Vreme und mit anderen unabhängigen Rundfunkstationen in Serbien und Montenegro. Große Hoffnungen setzen die Belgrader vor allem in die Nutzung des weltweiten Datennetzes Internet. B 92 ist optimistisch, auf diesem Gebiet einen Vorsprung gegenüber dem Staat zu erlangen. Vera Konjović: „Sie können Internet wegen der Sanktionen nicht kriegen. Wir können es, wenn uns NGOs dabei helfen. Da können wir sie schlagen.“ Bernd Buder/
Friedemann Schmidt
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