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■ DebatteFallstricke deutscher Lebenserfahrungen

Der dritte Teil der Pazifismus-Debatte in der Bremer taz. Nachdem in den Leserbriefspalten der vergangenen Wochen ein erbitterter Streit um die Frage getobt hat, wie die deutsche Außenpolitik, die EU, die UNO auf die Offensive der bosnisch-serbischen Truppen reagieren sollte, wollen wir an diesem Platz eine gesonderte Auseinandersetzung führen: Ist der Pazifismus als politische Grundhaltung angesichts der Lage auf dem Balkan noch tragfähig, war er es je?

Am Freitag hatte Rudolf Prahm mit seinen „Lebenserfahrungen eines Pazifisten“ auf Klaus Jarchows Vorlage vom Mittwoch geantwortet. Der hatte der Friedensbewegung „Pazifistische Lebenslügen“ in der Bosnien-Diskussion vorgehalten. Prahm hält nach wie vor an seinen pazifistischen Grundhaltungen fest. Heute antwortet der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Hermann Kuhn auf Prahm. Kuhn ist Mitglied im Bremer Bosnien-Komitee.

„Man redet nicht wirklich von den anderen. Man redet immer nur von sich“, sagt der rumäniendeutsche Schriftsteller Richard Wagner bitter von der deutschen Diskussion über Bosnien. Wie wahr, liest man den Beitrag von Rudolf Prahm zum Pazifismus angesichts Bosniens. Bosnien kommt bei ihm nicht vor. Sein Thema ist wie immer in Wahrheit die deutsche Geschichte, ist seine Erfahrung in dieser deutschen Geschichte. Rudolf Prahm formuliert die „Lebenserfahrungen eines deutschen Pazifisten“, der am letzten Weltkrieg teilnehmen mußte. Hier liegt das Verdienst seiner jahrzehntelangen politischen Arbeit, aber auch ihre Grenze.

Im Schützengraben, schreibt Prahm, konnte er nicht kündigen. Aus dem Krieg kehrte er zurück mit dem Bekenntnis: „Niemand kann gezwungen werden, gegen seinen Willen militärisch zu funktionieren“. Es geht hier nicht um eine nur individuelle moralische Entscheidung, die zu respektieren ist; sondern um die Forderung eines politischen Pazifismus. Man muß sich klar machen: Eine solche Schlußfolgerung war wohl im Nachkriegs-Deutschland zu ziehen, nicht aber in den Gesellschaften der Kriegsgegner Deutschlands. Nehmen wir Großbritannien: 1939 hatte sich der Pazifist an der Seite der Kommunisten wiedergefunden, die Stalin treu erklärten, ein Eintritt Englands in den Krieg wegen des deutschen Überfalls auf Polen würde das Blutvergießen in Europa nur vervielfachen, ja sei Kriegstreiberei. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion blieb dann noch eine kleine pazifistische Gruppe, die Hitler für das kleinere Übel gegenüber dem englischen Imperialismus hielt und darum Zurückhaltung forderte. Die anderen gingen zu den Waffen und kehrten mit anderen Lehren als der Deutsche Rudolf Prahm aus dem Weltkrieg zurück. Der Soldat der Roten Armee war 1945 froh wie jeder andere, nach Hause zurückzukehren – daß er gegen jedes Militär sei, hat er aus der endlichen militärischen Zerschlagung des Deutschen Reiches nicht gefolgert.

Diese Schußfolgerung war eine verständliche deutsche Reaktion. Je länger sie beibehalten wurde, desto problematischer wurde sie allerdings: Denn sie unterschlägt, daß die britischen, die amerikanischen, die sowjetischen Soldaten unabweisbare und gute Gründe hatten, gegen den Vernichtungskrieg Deutschland die Waffe zu tragen. Zugespitzt formuliert: Wer die guten Gründe der alliierten Soldaten in einem allgemeinen „Antikriegs“-Gefühl mit verschwinden läßt, läßt auch den Charakter dieses besonderen, verbrecherischen deutschen Krieges verschwimmen. Und das hat viel mit deutschem Selbstverständnis zu tun; und ist wohl einer der Gründe, warum Rudolf Prahm von der deutschen Geschichte spricht, wenn es eigentlich um Bosnien geht.

Die Einebnung der Besonderheiten deutscher Geschichte geht bei Prahm weiter: Er kann sich als „tragende Idee“ einer kriegsführenden Partei nur Religion oder „Vaterland“ vorstellen. Und Vaterland sei eine „undemokratische und blutige Autorität“. Gibt es etwa keine Gemeinwesen, um ein anderes Wort zu benutzen, die Demokratie und den Schutz der Würde und des Lebens seiner Bürger nach innen und nach außen in gemeinsamer Aktion gewährleisten? Und sie verteidigen, wenn sie gefährdet sind? Solange es keinen Weltstaat gibt, werden auch solche Gemeinwesen die Form von Staaten annehmen müssen. In der deutschen Geschichte ist „Vaterland“ zu all dem mißbraucht worden, was Frahm beschreibt; eine sehr deutsche – nämlich uns „entlastende“ – Reaktion, auch den Patriotismus anderer, demokrati- scher Tradition mit über Bord zu werfen.

Eines noch: Rudolf Prahm ist stolz darauf, niemals „Menschen geschickt zu haben“. Eine noble Haltung. Nur stimmt sie nicht ganz. Selbstverständlich „schickt“ auch er die Polizei, um Gewalttaten einzelner oder Katastrophen zu verhindern; in dem Rahmen, den er und wir gemeinsam dafür geschaffen haben.

Das eigentliche Problem des deutschen Pazifismus ist: Er weigert sich, Unterschiede zu machen. Aus der Unterschiedslosigkeit des Leides und des Todes folgert er die Unterschiedslosigkeit moralischer Gründe und politischer Notwendigkeiten. Und damit sind wir bei Bosnien: Die entscheidende Frage ist, ob wir uns darüber einigen können, daß es in Bosnien klar unterscheidbar – nein, nicht „böse“ und „gute“ Menschen – wohl aber Angreifer und Angegriffene, Recht und Unrecht gibt. Aber vielleicht bedeutet Pazifismus ja auch den fatalen Allerweltssatz, daß „irgendwie alle schuld“ sind. Eine schlechter deutscher Satz, auf Kosten der Menschen, die ein Recht auf Schutz und Leben haben.

Erfahrungen aus deutscher Geschichte zu ziehen ist etwas anderes als in ihr gefangen zu bleiben.

Hermann Kuhn, MdBB Bündnis 90/Die Grünen

PS: Übrigens ist in Bosnien nicht Krieg, weil „Politiker an Konferenztischen gescheitert“ sind, wie Prahm schreibt. Karadzic zum Beispiel ist nicht am Konferenztisch „gescheitert“, ebensowenig wie Hitler 1938 in München. Im Gegenteil haben beide den Konferenztisch mit Erfolg benutzen können, um ihre Aggression zu verhüllen und abzusichern. Und bekamen damals wie heute von einigen „Pazifisten“ für ihren Friedens- und Verhandlungswillen noch gute Noten...

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