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Traurig herunterhängender Schnurrbart

■ Finnische Melancholie: Zum Tod des Kaurismäki-Schauspielers Matti Pellonpää

Matti Pellonpää war wahrscheinlich nicht das, was man sich gemeinhin unter einem großen Star vorstellt. Ausdrucksvielfalt war nicht die Sache des finnischen Schauspielers, der vor allem durch seine Rollen bei Aki Kaurismäki (unter anderem „Ariel“, „Leningrad Cowboys Go to America“ und „La vie de la bohème“) und Jim Jarmusch („Night on Earth“) bekannt wurde. Mehr noch als die wilden Musiker der Leningrad Cowboys verkörperte ihr diktatorisch über das Geld wachender Manager im Film die wundersam ausdruckslose finnische Melancholie, für die die Filme Kaurismäkis spätestens seit seinem ersten größeren Erfolg – „Ariel“ – stehen.

Seine Gestik und Mimik sparsam zu nennen wäre übertrieben. Mal legte er seinen Kopf leicht nach links; selten deutete sich in seinem entschlossen-traurigen oder traurig-entschlossenen Gesicht die entfernte Möglichkeit eines Lächelns an, das dann immer ausblieb. Wenn er einmal einen Witz machte, wie in „La vie de la bohème“, wo er als albanischer Maler mit finnischem Akzent auf Französisch einer Pfandleiherin erzählte, er habe 8 Kinder und die seien 14, 9, 7, 6, 3, 2, 1 und das letzte erst ein halbes Jahr, blieb sein Gesicht währenddessen unbewegt. „Wir waren jung und verliebt. Es war Frühling.“

Meist ging er so gerade durch seine Filme, wie todbetrunkene Männer es tun, deren Körper eigentlich immer umfallen wollen. In „Night on Earth“ von Jim Jarmusch muß er betrunkene nach Hause fahren und wirkt dabei mindestens genauso angeschlagen. Wenn jedoch die meisten Jarmusch-Helden längst vergessen sein werden, wenn man nicht einmal mehr wissen wird, wer dereinst Tom Waits war, so wird man sich noch an Pellonpääs Gesicht erinnern. Gerade weil man nie erkennen konnte, was es ausdrückte. Ausdruckslos wie ein weißes Stummfilmgesicht, schien sein Gesicht ein Bild zeitgenössischer, männlicher Melancholie zu sein, ohne je zur Maske zu werden.

Ein gewöhnlich blasses Gesicht, das zuviel schon erlitten haben mag, um sich noch zu bewegen; ein trauriger Schnurrbart; die immer strähnig wirkenden Haare meist naß nach hinten gekämmt. Mal – in „Ariel“, wo er den Zellennachbarn des eigentlichen Helden spielte – war auf seinem Gesicht eine dicke Hornbrille, die es womöglich noch hoffnungsloser erscheinen ließ. Gewöhnlich rauchte und trank er sehr entschlossen. Schweigsam, heimatlos (wie als albanischer Maler in „La vie de la bohème“), immer mit dem Trotzdem des – nun ja – schönen, entschlossenen Verlierers schritt er durch Haupt- und Nebenrollen. (So einen hätt' man gerne zum Freund gehabt.) Als Taxifahrer erzählt er in Helsinki den zwei tödlich betrunkenen und alleinstehenden Männern die Geschichte von seinem gerade gestorbenen Baby („Night on Earth“); als albanischer Maler, der sich illegal in Paris aufhält, und am Ende stirbt die Geliebte, die er dann doch einmal fand im Frühling („La vie de la bohème“); als Gefängnisinsasse und Ausbrecher in „Ariel“, wo er von Gangstern erschossen wird und sterbend sagt: „Mein Herz könnt ihr auf der Müllhalde verscharren.“

Einmal, in „La vie de la bohème“, deutet sich die Möglichkeit eines schönen Lebens an. Da macht er seiner Freundin einen Heiratsantrag, und im Zwiegespräch entwirft er das Bild eines schönen Lebens: „Du hörst dann auf zu arbeiten. Wir können von meinen Bildern leben.“ – „Was mach' ich dann?“ – „Baudelaire (den Hund) ausführen, waschen und solche Dinge.“ – „Meinst du es ernst?“ – „Nein. Ich wasche, und du kannst aus dem Fenster auf den Park schauen. Abends gehen wir in die Oper.“

Meines Wissens gibt es nur eine einzige Filmszene, in der Matti Pellonpää lacht. Am Ende von „Leningrad Cowboys Go to America“. Nachdem er einen kleinen Hahn an einem Kaktus aufgedreht hatte und sich ein Gläschen Kaktusschnaps genehmigt hatte. Da lächelt er schelmisch. Dann geht er weg. Dann heißt es nur noch: „He was never seen again.“

Matti Pellonpää ist, wie erst jetzt bekannt wurde, am 13. 7. im Alter von 44 Jahren an Herzversagen gestorben. Sein Gesicht wird einem fehlen auf den Leinwänden. Detlef Kuhlbrodt

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