Durchs Dröhnland: Gründliche Gefühle aus zweiter Hand
■ Die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Man kann den Sinn und Zweck von Festivals mit politischer Zielrichtung anzweifeln; man kann sich fragen, ob da wirklich zusätzliche Öffentlichkeit geschaffen wird; man kann aber auch ganz einfach die Bands aufzählen und Jacques Chirac einen bösen Mann sein lassen. An den zwei Tagen des No-Nuke-Festivals gegen die Atombombentests spielen: Big Light, The Bates, Milch, Gum, Handfullaflowers, Terrorgruppe, Dergah, Jackie and the Strangers, Chick Zero, Candydates, Makwerbo, Gom Jabbar, Even Cowgirls Get The Blues, DJ Jah Fish, Latin Spectrum, Bronx Boys, Steeceedee, Waltons und Frill Neck.
Heute und morgen, jeweils 14 Uhr, Huxley's Neue Welt, Hasenheide 108-114, Neukölln
Ganz altmodische elf Musikanten brauchen Plasticine, um sämigen Soul margarinedick zu schmieren. An der Band aus Freiburg ist definitiv nichts authentisch, aber dafür beherrschen sie jedes Tönchen, das sich jemals in die Nähe von Funk und Soul verirrte. Deutsche Gründlichkeit geht hier eine überraschend gelungene Ehe mit Gefühlen aus zweiter Hand ein.
Vielleicht ist das heute ja die einzige Möglichkeit, sich den übermächtigen Vorbildern zu nähern, die sie für sich reklamieren. Da fallen Namen wie James Brown, der immer fällt, wenn Bläser zackig daherblasen, und Jimi Hendrix, den ich nun beim besten Willen nicht entdecken konnte. Und wenn die wechselnden SängerInnen noch ein halbes Jahr am Altar einer Gospelkirche angekettet werden, dann kommt die Kopie Plasticine den Originalen bald sehr nahe.
Morgen, 22 Uhr, Franz, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg
„Ich habe eine extrem kurze Aufmerksamkeitsspanne“, hat Jad Fair mal erzählt, „deswegen kann ich nur kurze Stücke ertragen“. Außerdem behauptete er, in seinem Blut würden Antikörperchen herumschwimmen, die das richtige Erlernen eines Instrumentes verhinderten. Die Musik klingt ziemlich exakt so, wie man es nach diesen Aussagen erwartet. Hörbar wurde sie dadurch, daß Jad Fair ein großes Herz besitzt. Und das ist seit nun 20 Jahren ungebrochen.
Ob nun wie zur Zeit mit seiner Band Half Japanese, ob Solo, ob mit Avantgarde-Jazzern oder Brüdern im Underground-Geiste – seine Produktivität ist atemberaubend. Unzählige Platten, viele davon Doppel- und sogar Triple- LPs, Beiträge für Kompilationen, Kassettenproduktionen mit Zufallsbekanntschaften und diverse Plattenfirmen sind das Ergebnis der Arbeitswut eines Menschen, der mit riesigen Brillen und Wuschelkopf eher einem Sozialkundelehrer als einem Rockmusiker ähnelt. Mit dem genialen Spinner Daniel Johnston und der legendären Velvet-Underground- Trommlerin Moe Tucker verbindet ihn nicht nur gemeinsame Arbeit. Das kindliche, unvoreingenommene, nicht berechnende Herangehen an Musik ist allen dreien eigen. So etwas kann man nicht lernen, ebensowenig wie man lernen kann, sein Instrument nicht richtig zu beherrschen. Die großen „Dilletanten“-Tage sind vorbei, aber immer noch sind Half Japanese ein liebevoll anarchisches Erlebnis, bei dem sich wundervolle Melodien mit lärmenden Exzessen abwechseln, ohne daß der unangenehme Beigeschmack des Experiments den Genuß verdirbt.
Am 29. 8., 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg
Was war nur zwischenzeitlich aus den geheiligten Swans geworden?! Elegische, die Langweiligkeit bis zur Neige auskostende Lahmarschigkeit hatte den psychotischen Lärm der frühen New Yorker Noise-Tage angelöst. Doch auf „The Great Annihilator“, ihrem ersten neuen Material seit drei Jahren, versöhnen sie – inzwischen umgezogen ins gemütliche Georgia – überraschend diese beiden Seelen in der Brust von M. Gira und dem Busen von Jarboe. Das zum Duo geschrumpfte Projekt schwebt inzwischen so über Bandzusammenhängen und ähnlichen Verpflichtungen, daß das Ergebnis ebenso selbstbezogen wie faszinierend geraten mußte.
Eigentliche Sensation ist allerdings die Vorgruppe. Cornershop, englische Söhne indischer EinwanderInnen, verwirren seit '92 den so selbstzufriedenen Brit- Pop zutiefst. Dürfen die das, sollten die nicht lieber ausschließlich auf ihren Sitars klimpern? Cornershop tun mehr, als nur indische Einflüsse mit den Errungenschaften des Postpunks zu verquicken, sie sind schlicht das beste, was Britannien seit langem passiert ist. Vergeßt Blur!
Am 30. 8., 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz 5, Schöneberg
Wen es, warum auch immer, nach Eppendorf in Sachsen verschlagen hat, der hat wahrscheinlich gute Gründe, eine gewisse depressive Stimmung zu kultivieren. Unsere fünf Bandmitglieder von Ancient Gallery sind zwar noch jung an Jahren, aber alt an ehrlich nacherlebten Tragödien. So hört sich wenigstens ihre Musik an. Ancient Gallery haben den Gruftrocker gründlich studiert, haben ihre Joy Division unterm Kopfkissen und den mit fünf Schuß geladenen Revolver auf dem Nachttisch, denn man weiß nie, wann es Zeit für ein kleines Spielchen ist. Geradezu erlösend, wenn sie von ihrem Gehabe lassen und einfach mal drauflos spielen. Dann wird es richtig Rock, und nicht mal schlechter.
Am 31. 8., 22 Uhr, Duncker, Dunckerstraße 64, Prenzlauer Berg, Eintritt frei!
Towering Inferno kommen aus England. Ihre Platte heißt „Kaddish“. Der Titel verweist auf das jüdische Totengebet. Dieses benutzen Towering Inferno als Hintergrundfolie für eine epische Auseinandersetzung mit der jüdischen Geschichte. Die englischen und hebräischen Texte werden ergänzt mit einem wiederkehrenden Sample von Hitler: „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“. Musikalisch gestalten sie ein vielleicht nie zuvor in solcher Intensität gehörtes Wechselbad der Gefühle: Hypnotische Trommeln, die in ihrer Bedrohlichkeit nie zu enden scheinen, wechseln mit atonalen Passagen oder freundlichem Klavierdahergeklimper, das unversehens in sinfonische Wucht abdriftet.
Auch ohne die elektronischen Klangerzeuger als billige Gimmicks zu verwenden, erreichen Towering Inferno eine fiese akustische Bildhaftigkeit. Das Hörspiel, das hier inszeniert wird, würde auch ohne die ohnehin nur begleitenden Worte eine einmalige Kraft entwickeln. Brian Eno soll gesagt haben, „Kaddish“ sei „die angsteinflößendste Platte, die ich gehört habe“. Live sorgen 30 Projektoren für einen visuellen Sog, dem sich niemand wird entziehen können. Die Auftritte in Berlin sind die ersten in Deutschland.
Am 31. 8., 20 Uhr, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten
Thomas Winkler
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