: Lesen und sterben lassen
■ Wie Sprache im wild wuchernden Medienverbund immer mehr zum Störfaktor wird, versucht eine Ausstellung von Installationen in der Kunsthalle Tirol zu zeigen
Die Überformung der Kommunikation durch immer Neuere Medien hat eine Situation geschaffen, in der sich alle mit allen verständigen können und deshalb auch müssen. Elektronische Medien übertragen alles. Handys zirpen, Radios trällern, und Fernseher geben uns den Rest. Allein, die Sprache als sinnstiftende Größe gerät in diesen psycho-sozialen Schaltkreisen telegener Unvernunft zusehends zum Anachronismus.
Sinnhaftes Sprechen in Radio und Fernsehen ist zu einem Singsang degeneriert: Erkennen Sie die Melodie, wenn Marcel Reich- Ranicki Bücher ins Feuer wirft, daß es aus seinem Mund zischt? Wer hört noch auf den Sinn, wenn Ulrich Wickert seine Wortmelodien grummelt, wenn Ulrich Meyer den argumentativen Zusammenhang mit der Handkante zerhackt, wenn Bio Süßspeise leckt und Willemsen seine Talk-Gäste wie bei einer mündlichen Prüfung nach deren eigenen Biographien abfragt?
Die Polarisierung zwischen der Sprache und der Eigengesetzlichkeit elektronischer Medien hat eine Ausstellung der neueröffneten Kunsthalle Tirol in Hall bei Innsbruck zum Thema. Unter dem Titel „Am Anfang war ...“ stellen neun Künstler dort Raum-, Medien- und Computerinstallationen aus. Die Präsentation von High- Tech mit künstlerischer Intention allein wäre allerdings kein Grund, die Kunsthalle zu besuchen. Das Dilemma zeitgenössischer Video- und Computerkunst ist, daß der vermeintlich künstlerische Akt von den in der Maschine vorprogrammierten technischen Möglichkeiten vollkommen absorbiert wird. Der „Künstler“ leistet in diesem Fall wenig mehr, als die Bedienungsanleitung vorgibt.
Die von der bloßen Technik faszinierte Spielerei ersetzt die ästhetische und vor allem die analytische Durchdringung des Phänomens. Computerkunst ist daher zumeist blind und techno-affirmativ. Die allseits beliebten Arien auf Internet und Datenautobahn sind insofern nichts als (un-)freiwillige Promotion für die Hardware-Industrie – und somit das präzise Gegenteil von Kunst.
Die enge thematische Fixierung der Kunsthalle Tirol auf die Sprache verhinderte, daß „Am Anfang war ...“ zur unfreiwilligen Funkausstellung degenerierte – besonders was die medienkünstlerischen Exponate anbelangt. Die Ausstellung kreist um einen Kerngedanken: Sprache läßt sich nicht programmieren. Daß Sprache im immer wilder wuchernden Medienverbund zum Störfaktor wird, drückte auf sehr sinnliche Weise die Akustik-Installation „Österreichisches Ver-Rauschen“ von Richard Kriesche und Peter Hoffmann aus. 41 österreichische Autoren sprechen literarische Texte, die gleichzeitig über je einen CD- Player ertönen, welche an der Innenwand des fabrikhallengroßen früheren Salzlagers angebracht sind.
Je nach Standpunkt und Gehgeschwindigkeit des Hörers im Raum ergeben sich sinnhafte Rezitationen, vereinzelte Wortfetzen oder – postiert er sich in der Mitte des gigantischen Raums – nur noch ein monotones Brummeln, das so gut wie nicht mehr an Sprache erinnert. Am Anfang war das Wort, am Ende seine elektronische Speicherung und Vermittlung. Das digitale Medium wirkt auf den Sinn wie ein Pürierstab auf Gemüse.
Das visuelle Pendant zum Ver- Rauschen schuf Eva Schlegel. Auf Plexiglasplatten bildete sie unscharfe Schriftzeilen ab, die gerade eben noch an gedruckte Worte erinnern. Ihr konsequent titelloses Objekt spielt zudem mit der künstlerischen Konvention der Installation. Die Schriftbild-Festplatten sind nicht installiert. Sie stehen eher zufällig herum. Wie in einem Zwischenlager zur Entsorgung nicht digitalisierbarer menschlicher (Ent-)Äußerungen.
In der verrotteten Halle des Salzlagers ergänzen sich Schlegels und Kriesche/Hoffmanns Exponate trefflich. Der aufgrund massiver Verwitterungen wie eine Tropfsteinhöhle wirkende, halbdunkle Raum erweckt den Eindruck einer Kultstätte, in der die Geister einer längst vergangenen Verständigungspraxis beschworen werden. Den kultischen Gedanken griff Manfred Erjautz auf, der die Fenster eines weiteren Raumes im Salzlager mit Firmenlogos und Werbe-Etiketten beklebte, um den Eindruck bemalter Kirchenfenster zu erzielen.
In diesem (versinnbildlichten) Medien-Chaos/Kosmos bläst dem Künstler ein eisiger Wind ins Gesicht, den Thomas Feuerstein arktisch interpretierte. Wie der Eskimo aus Schneeblöcken baute Feuerstein inmitten blendenden Hochglanzes aus Zeitschriften einen Medieniglu: „Domäne als Weltbild“.
Den politischen Aspekt der Entsprachlichung greift der Berliner Raffael Rheinsberg auf. Zerbrochene Kunststoff-Straßenschilder, Fundstücke aus Ost-Berlin, ordnet er zu einem Straßenpflaster: „Gebrochen Deutsch“ heißt der eindeutige Titel.
Am pointiertesten brachten wiederum Kriesche und Hoffmann die Dichotomie zwischen Sprache und Medium auf den Punkt. Ihre Installation „Text/Speech/Robot“ besteht aus zwei miteinander verbundenen Computern. Das Interface besteht jedoch nicht aus einer üblichen verlustfreien Leitung, sondern – das ist das Interessante – aus menschlicher Sprache: Computer A verliest via Lautsprecher einen Text, den Computer B vermittels Mikrophon und Spracherkennungsprogramm notiert und über eine Schleife zurück an Computer A vermittelt. Ist der Computer als System in sich selbst diskret und verlustfrei, so klafft – digital betrachtet – zwischen Lautsprecher und Mikrophon ein Abgrund. Sprache als Schnittstelle zwischen Mensch und Computer. Das System simuliert eine intermediäre „stille Post“; es schleichen sich Fehler in der Übermittlung ein – und potenzieren sich. Allein, das digitale System stört das nicht. Es läuft und läuft, bis es nur noch eine Kakophonie-Umwälzpumpe ist. Arabella Kiesbauer läßt grüßen. „Elektronische Medien sind nichts als sagend, also nichtssagend“ (Jens Schreiber). Manfred Riepe
„Am Anfang war ...“, noch bis zum 9. September, täglich 10 bis 19 Uhr, Kunsthalle Tirol, 6060 Hall, Österreich
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