: Radiologische Persilscheine?
■ Um die Ungefährlichkeit der Atomtests nachzuweisen, hat Frankreich auch deutsche Labore mit ausgewählten Proben vom Atom-Atoll Moruroa versorgt
Berlin (taz) – Seit Jahren versuchen Wissenschaftler, durch radiologische Untersuchungen eine Antwort auf die Frage zu finden, ob die unterirdischen Atomtests auf Moruroa gefährliche Strahlung freisetzen. Doch verhindert Frankreichs restriktive Informationspolitik bisher eindeutige Aussagen.
Keine drastischen Strahlenwerte in Fisch- und Sedimentsproben vom Moruroa-Atoll konnten beispielsweise das Hamburger Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie sowie die Bundesforschungsanstalt für Fischerei feststellen. Beide Anstalten hatten sich an radiologischen Untersuchungen für die französische Regierung beteiligt.
Wie Hartmut Nies, Direktor des Überwachungslabors beim Bundesamt für Seeschiffahrt, der taz sagte, wurde „nichts Auffälliges“ gefunden. Nies analysierte in den Jahren 1990/91 eine Sedimentprobe der französischen Atomtestinsel, eine Untersuchung, zu der weltweit 121 Labore aufgefordert waren und an der schließlich 89 Labore unter anderem in Australien, Japan, Kanada und Brasilien teilnahmen. Die Proben wurden im Juni 1989 vom halbmilitärischen Forschungs- und Meßdienst Service mixte de sécurité radiologique unter Ägide der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) gesammelt. Die Untersuchungsresultate sehen auf den ersten Blick harmlos aus. Nach Nies' Angaben betrug die Strahlungsaktivität von radioaktivem Cäsium 137 zwischen 2,7 und 3,0 Becquerel pro Kubikmeter Wasser. Die entsprechenden Werte liegen derzeit in der Nordsee bei fünf bis zehn Becquerel und in der Ostsee – wegen der Tschernobylreste – zwischen 60 und 100 Becquerel. Allerdings waren die Plutoniumwerte mit 31 Becquerel pro Kilogramm Sediment der Lagune Moruroas um das Zehnfache höher als in der Ostsee, was Nies auf die oberirdischen französischen Tests bis 1975 zurückführt.
Cäsium 134, das nur eine Halbwertszeit von rund zwei Jahren hat und deswegen ein geeigneter Indikator für radioaktive Lecks nach den neueren unterirdischen Atomtests wäre, konnte nicht aufgespürt werden. 1987 hatte Meeresforscher Jacques Cousteau auf Moruroa nach einem Atomtest an mehreren Stellen erhöhte Konzentrationen von Cäsium 134 vorgefunden. Nies zufolge war dies eine Fehlmessung.
Auch Strahlenmeßexperte Günter Kanisch von der Bundesforschungsanstalt für Fischerei hat keine „beunruhigenden Resultate“ aus den Fischproben gewonnen, die ihm die Franzosen zur Verfügung stellten. Kanischs Institut für Fischereiökologie gehört zu acht verschiedenen Laboren, die dieses Jahr an einer internationalen „Low-level-Ringanalyse“ von niedrigstrahlenden Proben teilgenommen haben.
„An der Auswahl der Proben vom Herbst 94 waren wir nicht beteiligt“, berichtet Kanisch, „sie fand im Auftrag der Franzosen unter Federführung der IAEA in Monaco statt.“ Die zu Asche verbrannten Fischproben gingen auch an Labore in Australien, den USA sowie in Neuseeland. Kanisch stellte beim Fischfleisch eine Cäsium-137-Strahlung in Höhe von 0,3 Becquerel pro Kilogramm fest – weniger als die Hälfte von Nordseefisch. Auch hier traten wieder die Plutoniumgehalte hervor – sie waren um den Faktor 10 höher als in der Nordsee, aber auch hier gab es kein Cäsium 134. Das Resümee von Kanisch: In der Lagune Moruroas findet man das, was sich aufgrund der „üblichen Hintergrundstrahlung“ des Meeres in Fischfleisch erwarten läßt. „Ringanalysen ersetzen allerdings kein systematisches Überwachungsprogramm“, räumt der Physiker ein und schränkt damit auch den Wert seiner Probenmessungen ein. Eine genauere Betrachtung der beiden internationalen Ringanalysen, die Frankreichs Atomtestern offenbar eine Unbedenklichkeitsbescheinigung durch die globale scientific community verschaffen sollte, wirft weitere Fragen auf.
Erstens: Warum wurden direkt nach den letzten französischen Tests keine Fischproben genommen und auf Jod 131 untersucht? Wegen der kurzen Halbwertszeit von nur acht Tagen wäre das Vorhandensein von Jod 131 unmittelbar nach Atomversuchen ein untrügliches Zeichen für undichte Stellen auf dem Testgelände. Proben vom Herbst 94 lassen einen Nachweis des kurzlebigen Jod 131 gar nicht mehr zu, da zuvor jahrelang nicht getestet wurde.
Immerhin hatte Cousteau 1987 kurz nach einem Nuklearversuch erhöhte Jod-131-Werte in der Lagune Moruroas gemessen. Damals erklärten die Behörden die Jod- Werte mit einem defekten Testbohrloch und bestritten Risse im Atollgrund. Im Jahr 1990 mußte dann der Service mixte de sécurité radiologique abermals „heiße“ Jod-131-Werte von 2x1011 Becquerel zugeben (Journal of Enviromental Radioactivity, Nr 17/92, S. 13-29). Ganz selbstverständlich schrieb der militärisch-zivile Meßdienst sie einem ähnlichen Leck an einem Testbohrloch zu wie seinerzeit bei Cousteau. Der Verschluß solcher Testbohrlöcher scheint auf Moruroa schwierig zu sein.
Und warum wurde zweitens das Tritium nicht in die radiologischen Untersuchungen miteinbezogen? Der neuseeländische Strahlenschutzexperte Atkinson hatte bereits 1983 im Oberflächengestein Moruroas Tritium-Konzentrationen festgestellt, die 2.500mal höher waren, als sie normal hätten sein dürfen. Für Atkinson ein Hinweis darauf, daß radioaktives Material aus den Explosionskammern durch Risse an die Erdoberfläche gelangt sein könnte.
Die systematische Überwachung in den vier Testquadranten der Lagune kontrolliert das Atomenergie-Kommissariat der französischen Armee (CEA), der militärische Flügel des Service mixte. Die Datenbank mit Strahlungsmessungen des Service mixte ist bis heute nicht frei zugänglich. Jüngst brachten es die Umweltminister des Südpazifik im australischen Brisbane auf den Punkt: „Die französischen Behörden verfügen über eine beträchtliche Datenbasis von geowissenschaftlichen, ökologischen und anderen wichtigen Informationen, die in zwei Jahrzehnten des Monitorings in Französisch-Polynesien gewonnen wurden.“ Diese Daten, so die Forderung der Umweltminister, sollen zur unabhängigen Bewertung weltweit zugänglich gemacht werden. Präsident Chirac könnte die neue gallische Transparenz leicht unter Beweis stellen. Thomas Worm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen