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Alle wollen nur das eine

In New York wurde schon letzten Winter unerbittlich Salsa getanzt, jetzt boomt der Unterleibstanz auch hier, vorzugsweise in den uncoolsten Läden der Stadt. Ein Erfahrungsbericht  ■ von Kirsten Niemann

Meine erste bewußte Begegnung mit Salsa hatte ich in diesem Sommer. Nicht etwa in der Karibik oder in Lateinamerika, sondern bei einem Besuch meiner alten Schulfreundin in Bielefeld. Jeglicher Widerstand war zwecklos, als sie mir ihre neueste Musikkassette aufnötigte. „Hat mein Bruder mir neulich aus Brasilien geschickt. Ist total toll!“ lautete ihr bündiger Kommentar.

Wie sehr meine Freundin die Nase geschmacklich vorn hatte, war ihr wahrscheinlich selbst nicht klar. Denn in New York, wo immer noch neue Trends entstehen, die irgendwann auch hier den Ton angeben, wurde schon im vergangenen Winter ebenso unerbittlich zu Salsa getanzt wie zu House oder Techno.

Und in Berlin ist das, wie ich später erfahren sollte, gar nicht mal anders. Neben spezifisch lateinamerikanischen Tanzschulen, wie dem Estudio Sudamericana in Mitte, der Tanzschule Vivo und dem Nano-Club in Kreuzberg bieten auch herkömmliche Tanzschulen in zunehmendem Maße Kurse und Workshops für Salsa und Merengue an.

„Paartanzen wird ganz allgemein auch bei uns immer beliebter“, bemerkt Katharina, Leiterin einer alternativen Tanzschule am Mehringdamm. Angefangen habe der Lateinamerika-Trend vor etwa einem Jahr mit Tango. „Wir bieten auch Extrakurse für Lesben und Schwule an.“ Das Tanzen „mit Anfassen“ hat ganz offensichtlich seine Piefigkeit verloren, wie die überfüllten Parketts einiger lateinamerikanischer Clubs beweisen.

Ich wage mich zunächst einmal an einem Sonntag in das El Barrio, eine Salsathek, die derzeit die angesagte Adresse für Fans lateinamerikanischer Musik ist. Für AnfängerInnen findet dort jeden Sonntag ab 20 Uhr eine Art Tanzanleitung statt. Dieses „Praktikum auf dem Parkett“, bei dem in kleinen Schritten grundsätzliche Bewegungen vorgeführt und einzelne Paare beim Tanzen korrigiert werden, ist eine typisch brasilianische Institution, die sich jetzt auch bei uns durchsetzt.

Von außen strahlt das El Barrio eine Hipness aus, die mit einem Restaurant der „internationalen Küche“ vergleichbar ist. Auch drinnen gelangt man schnell zu der Erkenntnis, im vermutlich uncoolsten Schuppen der Stadt gelandet zu sein. Es ist heiß und voll. Die in der Regel eher gediegen gekleidete Klientel ist bunt gemischt und kaum älter als 30: Ungefähr ein Drittel sind Deutsche, während der Rest des Publikums aus Mittel- und Südamerika oder afrikanischen Ländern stammt.

Eine geballte Ladung Erotik liegt in der Luft, und alle wollen nur das eine: tanzen! Die Tanzfläche ist dementsprechend gut gefüllt. Auf den ersten Blick wirkt Salsa nicht wie ein Gesellschaftstanz, sondern wie eine massive Form sexuellen Werbens. Kreisende Unterleiber, so weit das Auge reicht. Dabei stört sich niemand daran, wenn der männliche Tanzpartner einen Kopf kleiner ist als die Dame oder es zwei Frauen miteinander versuchen.

Am Mangel männlicher Teilnehmer kann das jedoch kaum liegen. Es gibt Männer satt, und auch die Schüchternste dürfte sich recht schnell einen herangezwinkert haben. Ich selbst bin in meinem ganzen Leben zuvor noch nie so oft zum Tanzen aufgefordert worden wie hier: die Anfragen kamen quasi im Zweiminutentakt. Doch schadet es nicht gerade, wenn man einige Vorkenntnisse aufweisen kann, wie ich bald feststellen mußte.

Nachdem mein Tanzpartner zunächst einen Salsa mit mir versucht hatte, wimmelte er ziemlich schnell ab: „Wir tanzen doch lieber Merengue!“ Merengue? Wo liegt der Unterschied? Merengue sei der Bauerntanz für Salsa, erklärt er mir, und für Unkundige wie mich genau das richtige. Denn Merengue besteht glücklicherweise nur aus ein und demselben Schritt, der es erlaubt, seine Füße zu vergessen. Statt dessen kann man sich voll darauf konzentrieren, ein bißchen mit dem Hintern und Oberkörper zu schuckeln. Die Arbeit mit dem Unterleib ist immer die wichtigste Sache bei lateinamerikanischen Tänzen. Salsa stellt dagegen vor größere Probleme. Die festgelegten Schrittfolgen sind sehr viel komplizierter und ohne eine kompetente Anleitung kaum zu bewältigen. Tanzanleiter Humberto, der schon seit einem Jahr Salsa-Einführungen im El Barrio gibt, freut sich über den regen Zulauf: „Die Leute werden von Woche zu Woche besser.“ Und es wird auch immer voller: An Freitag- und Samstagabenden, wenn die StartänzerInnen sich unter die Menge mischen, kommt es vor, daß man vor der Tanzfläche Schlange stehen muß.

El Barrio, Potsdamer Straße 84, Eintritt je nach Veranstaltung zwischen 7 und 15 Mark, sonntags ab 20 Uhr Anleitung mit Humberto und Jeannine

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