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Gemeinsame Frauenpolitik: Fehlanzeige

Eine vergebliche Suche nach bösen Frauen und großen Streitthemen: Die gestern beendete NGO-Frauenkonferenz bot jede Menge Frauensolidarität und Harmonie, aber wenig konkrete Ergebnisse  ■ Aus Huairou Karin Gabbert

Am gestrigen letzten Tag des NGO-Forums der Frauengruppen hat sich das Sportgelände durch tagelangen Regen in ein großes Matschfeld verwandelt. Immer mehr Planen von großen und kleinen Zelten brechen unter dem Gewicht des Wassers zusammen. Plakate und Ankündigungen sind verwaschen und ganz aufgeweicht. Im lateinamerikanischen Zelt rollt eine Frau aus Panama das bunte Transparent ein, das ihre Gruppe für die Weltfrauenkonferenz genäht hatte. Auch die Afrikanerinnen, die Araberinnen und die Asiatinnen lösen ihre Zelte auf, in denen sie sich in den letzten zehn Tagen immer wieder zu langen Palavern sammelten. In großen und kleinen Kreisen saßen die Frauen zusammen und redeten – mal ergab das ein lautes Summen, mal ohrenbetäubendes Geschrei. Nur ein Zelt verändert sich am letzten Tag kaum – es war sowieso nur spärlich geschmückt und nicht ständig überfüllt: das der Europäerinnen und US-Amerikanerinnen. Dabei stellten sie mit etwa 10.000 Frauen nach den Asiatinnen die zweitgrößte Gruppe unter den 26.000 Teilnehmerinnen.

„Was ist eigentlich mit den europäischen Feministinnen los?“ fragt eine Argentinierin. „Wir haben sie kaum bemerkt.“ Dagegen bestimmen US-Amerikanerinnen nicht nur viele Themen, sondern auch die Terminologie: Networking und Lobbying, darum ging es auf dem Frauenforum. Übersetzt heißt das: Kontakte knüpfen und die Regierungen der offiziellen Konferenz beeinflussen.

Es war ein Fehler, die räumliche Trennung von NGO-Forum und offizieller Konferenz zu akzeptieren, finden die meisten Frauen. Spätestens seit Beginn der UNO- Konferenz ist die Kluft zwischen den Lobbyistinnen und den Frauen auf dem Forum deutlich geworden. Viele Frauen in Huairou wissen selbst am letzten Tag nicht, wie die Verbindung zwischen Forum und UNO-Konferenz funktioniert. Manche arbeiten noch Vorschläge für die Aktionsplattform der Regierungen aus, obwohl die nicht die geringste Chance haben, noch aufgenommen zu werden. Die Lobbyistinnen in Peking wiederum müssen ohne die politische Unterstützung der Frauen in Huairou auskommen. So hängen die vielen kleinen Demonstrationen innerhalb des 42 Hektar großen NGO-Forums in der Luft.

„Ich komme mir vor wie auf einem Satelliten, der sich um sich selbst dreht“, sagt eine Teilnehmerin. Informationen aus Peking oder dem Rest der Welt fließen nur spärlich. Frauen aus dem Pazifik demonstrieren noch gegen die französischen Atomtests, als der erste bereits stattgefunden hat. Am Tag zuvor soll Frau Chirac das Forum besucht haben – das wußten die neuseeländischen Parlamentarierinnen in Peking, nicht aber die Frauen in Huairou.

„Ich weiß nicht, was ich meinen Compañeras zu Hause sagen soll“

Auch das „Networking“ war nur eingeschränkt erfolgreich, finden die Lateinamerikanerinnen. Sie hätten kaum Kontakte zu Afrikanerinnen, Asiatinnen oder Europäerinnen geknüpft. Ihr kontinentales Treffen bewerten die Lateinamerikanerinnen als viel ergiebiger – und das, obwohl sie mit 200 Frauen die kleinste Gruppe auf dem NGO-Forum bildeten. Und ihre Ansprüche sind hoch, schließlich haben sie die weitesten und teuersten Reisen hinter sich gebracht.

Eine bolivianische Minenarbeiterin beklagt, daß es kein gemeinsames Abschlußdokument gibt: „Ich sollte hier für meine Compañeras sprechen, die nicht kommen konnten, und ihnen die Ergebnisse der Konferenz mitteilen. Damit trage ich eine große Verantwortung. Ich weiß nicht, was ich ihnen sagen soll.“ Zwar hätten jeden Tag über 300 Workshops stattgefunden, doch aus denen könne sie wenige konkrete Ergebnisse mitnehmen. Und: Große Streitthemen haben sich nicht herauskristallisiert. „Ich habe das Gefühl, daß ich nichts getan habe, obwohl ich mich angestrengt habe“, findet eine Guatemaltekin.

Das geht vielen Frauen so. Viele sind jeden Morgen um sechs Uhr aufgestanden, um in Bussen aus Peking anderthalb Stunden anzureisen, und haben den ganzen Tag in den Zelten oder den Workshops des Forums verbracht. Die Auswahl war erschlagend: die Situation von Migrantinnen, die Auswirkungen von Freihandelszonen auf Frauen, Frauen als Überlebende von Folter, Kleinkredite für Frauen oder „Wie können Frauen als Konsumentinnen Einfluß ausüben?“ In dem 200 Seiten dicken Veranstaltungskalender fanden sich auch Themen wie „Aufklärung über Menstruation für blinde Frauen“ oder „Networking alter Göttinnen“.

Eine Stimmung wie auf einem schlechten Kirchentag

„Bei der ganzen harmonischen Frauensolidarität hier brauche ich zwischendurch ein paar böse Frauen“, findet eine US-Amerikanerin und besucht einen Vortrag von Maureen Reagan über „Die moralische Renaissance der Familie“. Reagans theatralisches Auftreten erinnert an ihren Vater – aber sie sei klüger, meint sie hinterher. Die konservativen Frauen waren auf dem Forum allerdings eindeutig in der Minderheit. Die meisten von ihnen kamen aus dem Iran und dem Sudan. Die 300 regierungstreuen Iranerinnen waren auf dem ganzen Forum präsent und boten – tief verschleiert – zahlreiche Workshops an.

Die Auseinandersetzungen zwischen ihnen und Exil-Iranerinnen sowie die zwischen fortschrittlichen und konservativen Katholikinnen waren auch beinahe die einzigen. Sogar im Plenum wurden meist nur Vorträge gehalten. Nur einmal gab es Diskussionen und Gefühlsausbrüche. Die Pakistanerin Riffat Hassan vertrat die Position, der Koran rechtfertige nicht die Überlegenheit des Mannes. Ihre Frage: „Wie kam die Geschichte von Adams Rippe in die Welt?“ Blitzschnell zitierte die Islamwissenschaftlerin widersprüchliche Passagen aus verschiedenen Schriften und erzürnte sowohl regierungstreue Iranerinnen als auch säkulare Feministinnen. „Wollt ihr etwa mit der Allgemeinen Menschenrechtserklärung zu islamischen Frauen aufs Land gehen, um sie auf ihre Rechte aufmerksam zu machen?“ antwortete sie den Feministinnen, die jede Religion radikal ablehnen. Vorher hatte die feministische Katholikin Frances Kissling donnernden Applaus für ihre Rede bekommen, in der sie „Wut und Zorn als konstruktives Werkzeug für Veränderungen“ bezeichnet hatte. Den entstandenen Tumult versuchte sie mit einem Appell an die vielbeschworene „diversity“, die Vielfalt der Frauenbewegung, zu besänftigen: „Das ist ein grundlegendes Prinzip der Frauenbewegung.“ Dann wurde sie auch noch ganz christlich: „Wir müssen lernen, so genau zuzuhören, daß wir aus gegnerischen Positionen das Gute herausfiltern.“

„Das Prinzip der ,diversity‘ hat dazu geführt, daß jede Gruppe ihr Anliegen vertreten kann. Aber wir haben noch nicht gelernt, gemeinsam Politik zu machen“, meint Lilin Abrasinscas aus Uruguay.

Neben den kontinentalen Zelten standen auf dem Forum auch welche für Themen wie Menschenrechte, Umwelt oder Frieden. Jeweils ein Zelt hatten auch die Lesben, die jungen Frauen, die Alten, die Behinderten und die indianischen Frauen. Das Lesbenzelt wurde zu einem wirklichen Treffpunkt, besonders bedacht mit der Aufmerksamkeit der chinesischen Zivilbeamten. Das mit großen Hoffnungen versehene Zelt der jungen Frauen dagegen enttäuschte viele von ihnen. „Ich bin zwar froh, hier viele junge Feministinnen zu treffen, normalerweise sind ja alle zwischen 30 und 60 Jahre alt“, sagt eine 22jährige Belgierin. „Die Diskussionen sind aber nicht über die Beschwörung hinausgegangen, daß wir einen Platz in der Frauenbewegung haben.“

Die meisten Frauen bewerten das Forum als einen großen Jahrmarkt. Das war auch auf der letzten Weltfrauenkonferenz vor zehn Jahren in Nairobi so. „Aber damals gab es etwas Inspirierendes. Damals war die Konferenz bunt, diese hier war beliebig“, heißt es bei den Lateinamerikanerinnen. Einen bösartigen Vergleich zieht auch eine deutsche Journalistin: Das Forum erinnert sie an einen schlechten Kirchentag.

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