piwik no script img

■ Jelzins Drohungen gegen den Westen werden schärferNationale Stimmungsmache

Jelzins Beschwörungen eines möglichen Krieges im Falle einer Osterweiterung der Nato übertrifft seine bisherige Androhung eines „kalten Friedens“. Das Feindbild, das der russische Präsident gestern konstruierte, ist nicht überraschend, aber neu ist die Schärfe seiner Formulierung. Diese Schärfe darf aber auch hier nicht mit Genauigkeit verwechselt werden.

Zunächst tadelte Jelzin die Bombardierung serbischer Stellungen, weil die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen wird und der Konflikt nur mit friedlichen Mitteln beigelegt werden sollte. Mit dieser Auffassung wird er bei allen guten Menschen Sympathie wecken. Er teilt seine Empörung nun mit anderen Pazifisten wie Radovan Karadžić oder General Mladić. Die Nato sei jetzt auf dem Balkan Konfliktpartei geworden und tauge nicht mehr zum Vermittler. Kaum noch implizit bedeutet das, Rußland müsse der nun schwächeren Seite humanitär helfen. Ein Glück, daß die Serben den Russen kulturell und geschichtlich so nahe stehen. Man spürt im beschworenen Ost- West-Gegensatz den Atem der Geschichte.

Zuviel pazifistischen Impetus sollte man Jelzins Empörung allerdings nicht unterstellen. Der russische Präsident ist sonst ja blutigen Lösungen nicht abgeneigt. Es könnte sein, daß Jelzin seinen Einfluß auf die serbische Seite sichern will. Rußland würde diesen Einfluß verlieren, wenn es jetzt nicht gegen die Nato Partei ergriffe. Das scheint teilweise plausibel. Immerhin aber hat dieser Einfluß bislang so wenig Positives bewirkt, daß es fraglich ist, ob er überhaupt bestand. Außer Waffen hat Rußland auch dem Balkan nur abgewetzte Symbole zu bieten.

Die Drohungen Jelzins sind so unverbindlich, daß sie eher auf Stimmungen als auf konkretes politisches Handeln zielen. Sie richten sich eher an die russische Bevölkerung als an das Nato-Hauptquartier in Brüssel. Dafür gibt es gute Gründe. Die russischen Parlamentswahlen werfen ihren Schatten voraus, und Jelzin sucht, immer stärker in jüngster Zeit, chauvinistische Stimmungen in Rußland in Zustimmung zu seiner Politik umzumünzen.

In diesen Kontext lassen sich Jelzins markige Wort zurückbinden. Ungefährlich sind sie deshalb nicht. Das nationale Klima in Rußland verstärkt sich. Auch wenn sie nur für kurzfristige Ziele mobilisiert werden, entfalten Stimmungen ihre eigene Dynamik, die zwangsweise auf die Politik zurückwirkt. Erhard Stölting

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen