Sanssouci: Vorschlag
■ In ganz neuem Licht: Therapy? aus Nordirland im Huxley's
Auch zu Rockmusik wollen die Hüften geschwungen werden, und wenn man das gerade bei Therapy? dank jahrelanger Postpunk-Fetznümmerchen ganz gut üben konnte, überraschen die uns zur Abwechslung halber mal mit was ganz Exotischem (?); denn seit kurzem tauchen die Nordiren im Musikfernsehen neben der für sie schon notorischen Dauerrotation im Tagesprogramm in fachfremden Sendungen auf. Zwischen all den Goldies und Rubys und Mobys darf man sich auf MTVs Guide To Dance mit einem Video anfreunden, das eine Jungle-Version von „Loose“, einem der Songs des neuesten Therapy?-Albums „Infernal Love“ bietet. Säuberlich werden da vom Jungle-Produzenten Photek Gitarrenfeedbacks, Urschreie, Weitschweifigkeiten, Bullerbeats und Zirpgeblubber ineinander verwoben, so daß man diese Band, die man sehr früh geliebt, später nur noch wunderlich bestaunt hat, in ganz neuem Licht sieht.
Vor vier Jahren tauchten Therapy? in Indie-Land mit zwei Mini-Alben auf, welche zuerst den Fanzine-Schreibern feuchte Ohren und Hosen bescherten, da sie schön energisch, hardcore und doch schaurig und schweinisch melodiös waren; später bekamen natürlich auch die A&R-Manager der großen Plattenfirmen von der Band und ihrem brachliegenden Alternative-Potential Wind. Schnell wurde die Lage sondiert, die Verträge aufgesetzt, und so gibt es jetzt alljährlich ein Album und eine Tour, flankiert von Auftritten bei nahezu allen Sommerfestivals in Europa und auch der Lollapalooza-Tour in den Staaten. Wer diesen ganzen Zirkus suspekt findet, wird durch die Musik versöhnt: gnadenlos wird hier Frische und Unbekümmertheit ausgefahren, und nur trainierte Fans halten die volle Live-Dauer durch.
Und auch wenn da manchmal der Himmel voller Geigen hängt und bei jedem Konzert Tausende von Wunderkerzen ihr Leben aushauchen müssen – bei aller vermeintlichen Korrumpierbarkeit weigern sich Therapy? bisher, sich vor einen pathosgetränkten Karren für ihr bürgerkriegsgeplagtes Heimatland spannen zu lassen, um dann schnurstracks etwa in einen schlammigen, medial inszenierten Trauerverband mit den irischen Kollegen von U2 und den Cranberries zu gelangen. Auf ihrem neuen Album spülen sie lieber mit Teenage-Themen und barocken Krankheitsmetaphern die Ohren, verbeugen sich mit „Diane“ und „30 Seconds“ vor alten Helden wie Hüsker Dü und halten es ansonsten kurz, knapp und trocken mit peace, hope und brighter future, und natürlich love Therapy?(!) Gerrit Bartels
Heute, 20 Uhr, Huxley's Neue Welt, Hasenheide 114, Neukölln
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