: Der Betrieb als Lebewesen
Die anthroposophischen Ansätze in der Wirtschaft sind vielfältig: von eurythmetischen Übungen bis zur globalen Verantwortung ■ Von Lennart Paul
Barthels-Feldhoff heißt eine Textilfirma in Wuppertal. Alle Krisen der Textilindustrie hat die Fabrik überstanden, und heute zählt sie 160 Mitarbeiter. Doch auch Barthels-Feldhoff mußte sich den sich verändernden Marktsituationen anpassen. Durch Spezialisierung hatte man in einer Nische überlebt, mit der Produktion von Schnürsenkeln. Aber Anfang der achtziger Jahre hieß das Schlagwort „Betriebsflexibilisierung“. Die Firma konnte sich nur behaupten, wenn sie beweglich genug war, auf die schnell wechselnden Bedürfnisse zu reagieren. Das erforderte jedoch von den Mitarbeitern ein Umdenken, sie mußten selbständiger und wandlungsfähiger arbeiten.
Eurythmie in den Fabrikräumen, diesen Modellversuch startete die Betriebsleitung. Das Projekt stieß auf große Resonanz, die meisten Mitarbeiter beteiligten sich daran. Da die Eurythmie im Gegensatz zur Gymnastik Körper und Geist anspricht, schien sie besonders geeignet, den Arbeitern und Angestellten Kraft für ihre Tätigkeit zu geben. „Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß das ein geistiges Training ist. Es ist ein anderes Denken und Abweichen von der stereotypen Denkart bei der Arbeit“, so lautete eine der Stimmen nach Abschluß des Eurythmieversuchs. Heute, mehr als zehn Jahre später, bietet die Geschäftsführung unverändert Eurythmie im Betrieb an. „Allerdings ist sie nur ein Projekt von vielen“, sagt Erich Colsman, geschäftsführender Gesellschafter der Firma und Initiator der Betriebseurythmie. Es werde nun auch versucht, mit Kunst die Kreativität der Mitarbeiter anzuregen, so Colsman.
Die anthroposophischen Ansätze in der Wirtschaft sind vielfältig. Wie im Fall der Firma Barthels-Feldhoff kann es sein, daß ein einzelner Unternehmer oder Mitarbeiter die anthroposophischen Erfahrungen für den Betrieb nutzbar macht. In anderen Fällen kann ein Unternehmen durch seine Produkte anthroposophisch orientiert sein, wie es etwa bei Verlagen und Buchhandlungen der Fall ist. Oder ein Betrieb ist in seiner Sozialstruktur anthroposophisch orientiert. Nie aber kann von einem anthroposophischen Unternehmen gesprochen werden, dagegen wehren sich die Unternehmer und Mitarbeiter. Wie sollte auch eine Geisteshaltung mit einem Wirtschaftsunternehmen gleichgesetzt werden?
Ein Beispiel für soziales Engagement in der Wirtschaft gibt die Gemeinschaftsbank mit Sitz in Bochum. Sie ist eine „Non-profit- Bank“, also nicht an der Gewinnmaximierung interessiert. Die Bank vergibt zinslose Kredite an gemeinnützige Initiativen, die sich sozial oder ökologisch engagieren. So finanzierte die Gemeinschaftsbank Windkraftanlagen für Bauernhöfe, und sie unterstützte ausländische Studenten am Institut für Waldorf-Pädagogik. Die Kreditnehmer tragen allerdings die Unterhaltskosten der Bank, diese Umlage bewegte sich in den vergangenen Jahren zwischen zwei und 4,8 Prozent.
Aber auch auf einer anderen Ebene existieren anthroposophische Ansätze in der Wirtschaft. In der Unternehmenstheorie und -beratung machten sich Friedrich Glasl und der Holländer Bernard Lievegoed einen Namen. Lievegoed gilt als Pionier einer evolutionären Unternehmenstheorie, die er aus der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners entwickelte. Er teilt die Entwicklung eines Betriebs in verschiedene Phasen ein, die mit dem Entwicklungsprozeß von Lebewesen zu vergleichen sind. Ende der sechziger Jahre belächelten viele Wissenschaftler den Mediziner, Heilpädagogen und Psychiater Lievegoed und dessen Theorie. Doch in der unternehmerischen Praxis stießen seine Ideen von Jahr zu Jahr auf mehr Interesse.
Der 1992 gestorbene Lievegoed ging davon aus, daß sich die Entwicklung eines Unternehmens in drei Phasen vollzieht: In der Pionierphase ist ein Betrieb noch durch eine oder mehrere Gründerpersönlichkeiten geprägt. Die Macht geht vom Gründer oder der Gründerin aus, Improvisation ist laut Lievegoed das Hauptkennzeichen dieser Phase, weil auch die Mitarbeiter jeweils mehrere Aufgaben verrichteten. Der Unternehmer kennt noch alle Kunden persönlich.
Wächst der Pionierbetrieb aber, gerät er mit seiner Organisation in eine Krise. Die Folge ist die Differenzierungsphase. Wichtigste Kennzeichen dieser Phase sind die Arbeitsteilung und die damit verbundene Spezialisierung der MitarbeiterInnen sowie der verstärkte Einsatz von Maschinen. Damit ist aber auch eine Bürokratisierung und eine Erstarrung des Betriebs verbunden.
Nun müßte nach Lievegoeds Ansicht die Integrationsphase erfolgen. In ihr müssen die Kommunikation innerhalb des Unternehmens und die mit den Kunden wiederhergestellt werden. Jeder Arbeiter und jeder Angestellte soll wieder Überblick über den Produktionsprozeß gewinnen und einen Teil Verantwortung übernehmen.
Friedrich Glasl hat diese Entwicklung um die Assoziationsphase erweitert. In ihr geht es nicht mehr allein um den Betrieb. Die Unternehmer erkennen, daß ihr eigener Erfolg auch vom Wohl ihrer Lieferanten und Kunden abhängt, und übernehmen in beide Richtungen Verantwortung. Zum Beispiel achten sie darauf, daß ihr Lieferant gut leben kann, denn wenn dieser in die Produkte und die Weiterbildung der Mitarbeiter investieren kann, kommt dies auch dem belieferten Betrieb zugute.
Eine Computerfirma soll etwa dafür verantwortlich zeichnen, daß ihre Computer umweltverträglich entsorgt werden, und notfalls auf die Lieferanten einwirken, sie mögen umweltfreundlicher produzieren. So entsteht eine globale Verantwortung der Firmen, und es entwickelt sich eine starke Vernetzung zwischen dem Lieferanten, der Firma und dem Kunden.
Lievegoeds und Glasl Ansatz sei inzwischen sehr gefragt, sagt Ferdinand van Koolwijk, einer von 13 Unternehmensberatern des Niederländischen Pädagogik- Instituts (NPI), das nach Lievegoeds Muster arbeitet.
Besonders in Skandinavien, Holland, Österreich, Großbritannien und Deutschland setzen Firmen auf diese Art der Beratung. „Der Unterschied zu anderen Unternehmensberatern ist, daß wir keine Probleme lösen, sondern einen Prozeß organisieren“, sagt van Koolwijk. Auf diese Weise vermeide man vorschnelle, falsche Antworten und verhindere Frontenbildung innerhalb der Firma.
So existieren vielfältige anthroposophisch geprägte Ansätze, Unternehmen wirtschaftlicher und menschlicher zu gestalten – von der Eurythmie in der Werkshalle bis hin zur Umgestaltung der Firmen.
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