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Schirm & ChiffreMit der Lichtgeschwindigkeit Schritt halten

■ Das „Project McLuhan“ revitalisiert die Medientheorie des Meisters und schickt sie frei Haus

Marshall McLuhans unorthodoxe Medientheorie wurde nie so richtig in den Kanon der etablierten Wissenschaften aufgenommen. Von Einstein läßt sich das nicht behaupten. Beide teilen aber dann doch ein ähnliches Schicksal: ihre öffentliche Wirksamkeit reduziert sich am Ende auf einen Slogan.

„E gleich m plus c-Quadrat“ und „das Medium ist die Botschaft“ ist die korrekte Antwort auf die Frage, was wir über die Welt in diesem Jahrhundert herausgefunden haben, falls man irgendwann von einem hyperintelligenten Alien entführt und ins Kreuzverhör genommen werden sollte. Das Center for Media Sciences, eine kanadische Non- profit-Organisation, hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Spätwerk des Wissenschaftlers zu revitalisieren und via Internet die Erkenntnisse des Project McLuhan zu veröffentlichen (Abomail an Majordomo6inforamp.net mit Nachricht „subscribe mcluhan-list“).

Seit Februar können Interessierte die McLuhan-Liste abonnieren, jeden Monat landet also ein Posting im elektronischen Postkasten des Abonnenten. Die Liste transportiert grundlegende Erkenntnisse des Meisters neben Neuigkeiten aus der (Medien-) Welt, wobei die Herausgeber Weitblick walten und manchen ihrer weltweit 50 Informanten zu Wort kommen lassen. So finden sich Spekulationen über Börsenbewegungen im Edelmetallsektor neben einer Geschichte über einen Wuppertaler Blindenhund.

Kern der McLuhan-Post sind Interview-Elemente aus Gesprächen mit Nelson Thall, einem langjährigen Assistenten Marshall McLuhans und jetzt Forschungsleiter des Projekts. Dort werden verschiedenste Themenkomplexe behandelt: Ist Technologie eine Droge? Was hat es mit der Tribal Society auf sich?

Thall verweist immer wieder auf den unendlichen Kosmos des McLuhanschen Denkens und geizt nicht mit spektakulären Thesen: „Das Internet ist eine militärische Großaktion des Massenmenschen für die Wiedergewinnung seines Selbstbildnisses und seiner Identität, die ihm Computer und Datenbanken gestohlen haben.“

Gewalt sei also die versteckte Ikone des Internet, die aus allen Ecken hervorluge: Botschaften werden im Slang der Surfer „abgefeuert“ oder „gekillt“, Nutzer mit unerwünschten Ansichten mit virtuellen Flammenwerfern attackiert. Der intellektuellen Gewalt im Internet, deren erstes Opfer die Sprache selbst ist, die als Netslang verstümmelt wird, entspricht der Mord als letzte Möglichkeit, die Wirklichkeit als solche zu erfahren: „Mord ist der Versuch herauszufinden, ob Menschen wirklich echt sind.“

Thall feuert zwar manchmal selbst recht unkontrolliert mit verkanteten Theorielegosteinen um sich, wie man sieht, doch am Ende kommen McLuhan-Theoreme mit der Medienwirklichkeit der Neunziger in sinnstiftenden Kontakt, und das sind vor allem elektronische Netze und ihre Auswirkungen auf unsere Kultur.

Endlich wissen wir, warum Menschen, die vor Fernsehern sitzen, dumm-glücklich und Menschen, die am Netz hängen, so erschöpft sind: Fernsehen hypnotisiert, während die Körper von Netsurfern vergeblich versuchen, mit der Lichtgeschwindigkeit des virtuellen Elektronenkörpers Schritt zu halten. Ergebnis sind vergeblich Beschleunigung suchende Moleküle und psychischer Streß.

Mit Hilfe McLuhanscher Pattern Recognition wird auch schon mal die Zukunft vorhergesehen und etwaigen Lesern aus dem PR-Sektor manch guter Ratschlag erteilt. Zwischendurch werden bemerkenswerte Produkte gehypt, Begebenheiten am Rande von McLuhan-Vorlesungen kolportiert, das Rezept des Lieblings-Tofu-Käsekuchens eines Lesers freigegeben oder Aphorismen des Meisters eingestreut – „Werbeslogan eines Reisebüros: Hauen Sie ab!“

Intellektuelles Entertainment für „superzivilisierte Stammesmenschen“ also. Abonnieren Sie jetzt! Ulrich Gutmair

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