: „Den brauchen wir nie wieder sehen“
Evelyn Wendt, Gleichstellungsbeauftragte in Königs Wusterhausen und Mutter von vier Kindern, wurde von ihrem afghanischen Freund erschossen. Rekonstruktion einer Beziehung ■ Von Bascha Mika
Er kam bis zum Fahrstuhl, dann hörte er die Schüsse. Ein kurzer Knall, noch einer und noch einer. Kein Schrei, kein Lärm, nur die Schüsse. Er rannte zurück zur Wohnung, stieß die Tür auf. Seinen Vater sah er zuerst.
Er war über dem Regal zusammengebrochen, sein Kopf lehnte an den zertrümmerten Streben, Blut lief ihm aus Mund und Nase, in seiner rechten Schläfe klaffte ein Loch. Evelyn lag einige Schritte entfernt, auf dem Bauch. Bei ihr konnte er keine Verletzung entdecken, doch als er sie umdrehte, sah er, daß die Kugel ihr die Nase weggerissen hatte. Das Geschoß hatte von hinten den Kopf durchschlagen; ihre langen Haare verdeckten die Einschußstelle. Er massierte ihr Herz, beatmete sie von Mund zu Mund. Er stolperte zu seinem Vater, versuchte, auch ihn zu beatmen.
Später erfuhr er, daß er beiden nicht mehr hätte helfen können; sie waren bereits tot, als er sie fand.
Er rief die Polizei und die Ambulanz. Die Ärzte gaben ihm Beruhigungsmittel und schickten ihn ins Krankenhaus. Schock. Christof* ist 18 Jahre und muß damit leben, daß sein Vater ein Mörder und Selbstmörder ist. Mohammed Massud* hat seine Freundin Evelyn Wendt am 29. Oktober getötet und dann sich selbst umgebracht. Das Ende einer dreieinhalbjährigen Beziehung.
Der Täter wurde in dieser Woche beerdigt. Die Leiche seines Opfers ist von der Polizei noch nicht freigegeben.
Evelyn Wendt, 33, war Gleichstellungsbeauftragte in Königs Wusterhausen, einer Kleinstadt bei Berlin; sie sollte die Rechte von Frauen, AusländerInnen und Behinderten durchsetzen. Mohammed Massud, 44, arbeitete als Techniker, stammte aus Afghanistan und lebte seit 20 Jahren in der Bundesrepublik.
Eine Freundin
„Groß war Evelyn und stämmig, sehr weiblich, irgendwie mütterlich. Hatte Spaß an verrückten Klamotten. Eine emanzipierte Frau, doch die Männer hat sie gemocht. War richtig lebenslustig. Wenn es mal hart kam, konnte sie aber auch was wegstecken. Evelyn hat dafür gesorgt, daß hier das Frauenhaus gegründet wurde und sich sehr eingesetzt für die Frauen. Sie verstünde deren Probleme, hat sie gesagt.
Evelyn war geschieden, ihre vier Kinder lebten bei ihr. Der Älteste ist sechzehn, die Kleine ist acht Jahre alt. Den Mohammed hat sie 1992 kennengelernt. Er lebte in Berlin mit seiner polnischen Frau und drei Kindern. Die hat er verlassen und ist zu Evelyn gezogen. Sie war eine so nette Person, da akzeptiert man eben auch den Partner. Mohammed war ein attraktiver Mann, und die beiden sind mir immer vorgekommen wie das ideale Paar.“
Die Schwiegereltern
„Wir kannten Evy schon als Kind. Ihre Eltern sind früh gestorben. Wir hatten immer ein gutes Verhältnis zu ihr, auch nachdem sie von unserem Sohn geschieden war. Die Kinder sind ja auch sehr oft bei uns am Wochenende. Evy war freundlich und hilfsbereit, sie konnte keinen leiden sehen und keinem wehtun.
Der Mohammed war nach außen immer sehr charmant, aber ein Snob. Wir haben sie gewarnt, aber sie war eine, die nicht hören konnte. Immer wenn wir die Kinder nach Mohammed gefragt haben, wurden sie so komisch. Sie haben versucht abzulenken, oder sie sind einfach weggegangen. Bis der Große mal gesagt hat: Weißt du Oma, wir dürfen nichts sagen, sonst wird alles noch schlimmer. Mohammed hat es uns verboten.
Er hat die Kinder gequält. Bei uns wollten sie immer nur fernsehen, weil er es ihnen nicht erlaubt hat. Manchmal hat er sie schon um fünf ins Bett gesteckt. War er wütend, hat er sie mit einem Gürtel geprügelt. Wenn sie am Wochende bei uns waren und dann nach Haus mußten, hat die Kleine immer geweint.
Evy wollte das mit den Kindern zuerst gar nicht glauben. Weil Mohammed Massud es doch immer nur gemacht hat, wenn sie nicht zu Haus war, und die Kinder haben ihr nichts erzählt.
Aber dann hat sie ihm – das war Weihnachten – gesagt, er soll ausziehen. Er ist aber geblieben. Deshalb hat sie ihm geholfen, eine Wohnung in Westberlin zu finden. Im April ist er dann zwar ausgezogen, aber richtig Schluß war immer noch nicht. So war sie eben. Viel zu gutmütig. Was er getan hat, hätte auch ein Italiener, Deutscher oder Franzose machen können. Der war als Mensch so ein Schweinehund, nicht weil er Ausländer war.“
Eine Feindin
„Mit ihren Männerbekanntschaften ist sie händchenhaltend über die Straße gelaufen. Sie ist auch allein in Kneipen gegangen. Es wurde jede Menge geklatscht über sie, aber sie schien sich nichts draus zu machen. Freundlich war sie ja immer. Alle haben sie gewarnt vor dem Ausländer. Jemand hat mal auf ihr Auto ,Ausländerhure‘ gesprüht.“
Evelyn Wendts Exmann
„Es war im letzten September, ich erinnere mich genau. Da hat mich Evy angerufen: ,Komm mal schnell.‘ Und ich bin hingefahren und hab geklingelt, aber sie hat nicht aufgemacht. Ich hab' sie hinter der Tür weinen hören. Plötzlich gab's einen Knall, und da hab' ich die Tür eingetreten. Mohammed stand da. Evy hatte einen roten Striemen im Gesicht und war ganz verheult. Als ich sie gefragt hab', was los ist, hat sie gesagt: Haste doch gesehen, was los ist. Am nächsten Tag hat sie ein dickes Auge gehabt. Ich war auch bei der Polizei, aber die wollten nichts wissen. Dachten wohl, es wäre nur meine Eifersucht.
So gegen Weihnachten wollte Evy Mohammed sagen, daß er gehen soll. Ich sollte dabeisein, damit es kein Theater gibt. Ich war da, und es gab auch kein Theater – das kam erst am nächsten Tag. Die Nachbarn behaupten, sie hätten nie was gehört, aber das ist einfach gelogen.
Am Tag, als Evy erschossen wurde, wollte sie zum letzten Mal zu Mohammed. Sie waren um sechs in seiner neuen Wohnung in Berlin verabredet. Evy hatte seine restliche Wäsche gewaschen und gebügelt und in Plastetüten verpackt. Ich hab' gefragt, ob ich mitfahren soll, aber sie wollte nicht.
Gestern hat meine kleine Tochter zu mir gesagt: Is' schlimm, wa Papi. Aber den brauchen wir jetzt nie wieder sehen.“
Die Nachbarn
„Nie haben wir aus der Wohnung der Wendts mal Streit oder ein lautes Wort gehört. Wenn es Krach zwischen ihr und ihrem Freund gegeben hätte, hätten wir es sicher über die Kinder mitbekommen. Herr Massud war immer picobello gepflegt, und so fleißig. Er hat ihr so viel Arbeit abgenommen, hat gekocht und auf die Kinder aufgepaßt. Und abends hat er sie oft von der Arbeit abgeholt, zu Fuß. Durch ihn haben wir unsere Vorurteile gegen Ausländer abgebaut. Ich glaube, es war die große Liebe zwischen den beiden. Aber nachdem er ausgezogen war, schien es ihr irgendwie besser zu gehen. Sie war ja immer so ein fröhlicher Mensch.“
Frau Massud
„Mohammed und ich waren seit 17 Jahren verheiratet. Mein Mann war kein einfacher Mensch. Einerseits war er ein lieber Mann, aber wenn er sauer war, wurde er ganz schlimm. Dann hat er gedroht und mit Sachen geschmissen. Er war auch ein ganz besorgter Vater, aber wenn er getrunken hat, hat er unsere Kinder geschlagen – immer dann, wenn ich nicht zu Hause war. Mohammed hat auch mich geschlagen. Er dachte, er könnte mit mir machen, was er will. Er war sehr eifersüchtig und hat mich in der Wohnung eingesperrt.
Wenn ich es nicht mehr ausgehalten habe, hab' ich ihm eine Frist gesetzt. Dann hat er versprochen, daß er sich ändern würde und konnte für acht Monate oder sogar ein Jahr sehr liebevoll sein. Ich war ganz froh, daß Mohammed zu Evelyn gezogen ist. Er hat sie verwöhnt und alles für sie gemacht. Er war sehr stolz auf sie, weil sie Stadtverordnete war. Aber als Evelyn sich von ihm trennen wollte, beschwerte er sich, daß sie ihn ausgenutzt hätte. Evelyn hat mich manchmal angerufen, sie hat mir aber nie erzählt, daß Mohammed auch sie geschlagen hat. Vielleicht hat sie sich geschämt. Ich fühle mich durch Mohammeds Tod erlöst – ich trauere ihm nicht nach.“
Christof Massud
„Mein Vater hatte zwei Gesichter, und das zweite Gesicht war meistens verborgen. Er war ein Egoist, aber mir gegenüber auch ein verantwortungsbewußter Vater. Wenn er wütend war, konnte man ihn nicht ernst nehmen. Als er zu Evelyn gezogen ist, war ich zuerst sauer, daß er eine andere Frau hatte. Aber dann hab' ich es akzeptiert, weil er bei uns zu Haus so viel Streß gemacht hat. Mit Evelyn hab' ich ihn ganz anders erlebt als mit meiner Mutter. Sie haben viel diskutiert, und Evelyn hat immer gekontert. Die beiden haben das perfekte Paar abgegeben. Zeitweise war Evelyn für mich wie eine zweite Mutter.
Zwei Tage vor seinem Tod hat mein Vater mir erzählt, daß er weg wolle aus Berlin. Er hat mir alle seine wichtigen Unterlagen und Papiere gezeigt und mir eingeschärft, daß ich von nun an selbständig sein müsse. Er hat mir genau erklärt, was ich machen muß, wenn er weg ist. Ich bin sicher, er hatte alles geplant.
Vor dem Treffen mit meinem Vater hat Evelyn mich angerufen. Sie wollte zu ihm in die Wohnung nach Berlin kommen – das letzte Mal – und hat mich gebeten, dabei zu sein. Sie hat gesagt, daß sie Angst vor meinem Vater hätte. Ich hab' sie beruhigt; ich hab' zwar in Betracht gezogen, daß er sie schlagen könnte, aber nicht, daß er sie und sich erschießt. Vor dem Treffen war mein Vater ganz komisch. Er hat sich in seinem Zimmer eingeschlossen oder ist in der Wohnung hin und her gerannt. Er hat ein schreckliches Gesicht gemacht, hat kaum ein Wort geredet und fürchterlich viel geraucht. Als Evelyn ankam, hat sie zu mir gesagt: Schön, daß du dich getraut hast, zu kommen. Die beiden haben sich ganz ruhig unterhalten. Evelyn hat ihm gesagt, daß es endgültig vorbei sei. Dann hat sie mir ihre Autoschlüssel in die Hand gedrückt und mich gebeten, die Sachen von meinem Vater raufzuholen. Mein Vater hat gar nichts gesagt. Er stand da und hatte die Hände in den Jackentaschen. Ich kam bis zum Fahrstuhl, dann hörte ich die Schüsse. Ich wußte erst gar nicht, was es war, ich dachte, sie hätten mit irgendwelchen Sachen geschmissen. Da bin ich zurückgerannt.
Evelyn war eine starke Person. Jetzt, wo ich weiß, was gelaufen ist, versteh' ich nicht, warum sie sich das hat gefallen lassen. Sie hätte schon viel früher Schluß machen können – dann wäre das vielleicht nicht passiert. Ich glaube, mein Vater hat es nur aus Liebe gemacht.
Eine Kollegin
„Evelyn Wendt war eine Frau der ersten Stunde in der SPD. Vor der Wende war sie Angestellte im Wasserwerk, dann wurde sie zur Stadtverordneten gewählt. Ende letzten Jahres wurde sie Gleichstellungsbeauftragte, und das hat sie prima gemacht. Sie war selbstbewußt und ist ihren Weg gegangen, egal was passierte. Aber sie war nicht clever oder gerissen, deshalb hat sie keinen guten Stand gehabt in der Partei. Sie war eben keine Studierte und hat sich nicht immer perfekt ausgedrückt, aber gerade das machte sie so sympathisch. Sie hat die Menschen für sich eingenommen.“
Die Genossen
Die SPD-Ortsgruppe in Königs Wusterhausen verabschiedete sich diese Woche mit einer Anzeige in der Märkischen Allgemeinen Zeitung von Evelyn Wendt: „Wo die Liebe anfängt, hört die Gewalt auf. Wir trauern um zwei Mitglieder unseres Ortsvereins. Um Evelyn Wendt und Mohammed Massud. Mohammed hat beider Leben ein Ende gesetzt. Über diese unfaßbare Tat haben wir nicht zu richten.“
* Namen geändert
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