Beten für einen Wechsel

■ Joschka Fischer sorgte beim grünen Wahlkampfabschluß für Stimmung: Es geht um das Schicksal der Berliner Republik

Die Stimmung der mehreren hundert BesucherInnen näherte sich ihrem Höhepunkt, als der Chor der Abgeordnetenhausfraktion „Danke für diesen großen Sieg“ anstimmte. Im Ernst scheinen aber auch die Bündnisgrünen nicht mehr daran zu glauben, daß der fällige Wechsel morgen abend eingelöst wird. Sonst hätten sie ihren Wahlkampfabschluß am Donnerstag abend nicht ausgerechnet im Tränenpalast zelebriert. Ein Hintertürchen blieb freilich offen. Schließlich lehrt der historische Ort, daß die Augen auch vor Freude feucht werden können – vor allem dann, wenn niemand mehr mit etwas rechnet.

In diese Kerbe hieb auch Joschka Fischer. Eberhard Diepgen, so berichtete der Bonner Fraktionssprecher aus dessen Schlafzimmer, rolle nachts unruhig im Bett hin und her. Im Traum erscheine dem Regierenden die Wahl von 1989, als sein Wahlsieg ebenfalls schon sicher schien und es am Ende doch für Walter Momper reichte. Zum ersten Mal biete sich die Chance, daß bündnisgrüne Direktkandidaten in ein Parlament einzögen. „Es geht um einiges“, versuchte Fischer dem öden Wahlkampf in den letzten Tagen noch Schwung zu verleihen. „Diese Wahl wird ein Signal setzen dafür, was die Berliner Republik sein wird.“

Den CDU-Parteitag denunzierte er als durchsichtigen Versuch der Kanzlerpartei, sich des Themas „Zukunft“ zu bemächtigen. „150 Kilo Vergangenheit haben die Zukunft entdeckt“, höhnte der kaum weniger schwergewichtige Fraktionssprecher über den Partei- und Regierungschef. Die Technikdiskussion habe man nicht zu fürchten, man müsse sie unter ökologischen Aspekten führen. „Wir dürfen uns das Zukunftsthema nicht aus der Hand nehmen lassen. Wir haben die moderneren Konzepte.“

In tiefe Falten legte sich seine Stirn, als er auf die Sozialdemokraten zu sprechen kam. Wortreich bedauerte er „den Niedergang dieser traditionsreichen Partei“. Die Berliner Genossen forderte er auf, „Reformpolitik wenigstens zu denken“. Man müsse ihnen klarmachen, „daß eine Politik des ,vielleicht‘ eine Politik der Niederlage ist“.

Mut bewies Fischer in der gottlosen Hauptstadt mit seinem Bekenntnis zum Katholizismus. „Ich bin da nicht eingetreten, ich trete da nicht aus.“ Das führte ihn in freier Assoziation zu den Weihrauchfässern, die um den Bundeskanzler geschwenkt würden. Über seiner Rede schwebte eher eine andere Art von Weihrauch, der mit der vorangegangenen Hanfmodenschau den pflanzlichen Ursprung gemein hat. „Ich glaube noch an Wunder“, verband er schließlich sein religiöses Bekenntnis mit einer Prognose für Sonntag. Fast klang es, als helfe nur noch Beten. Ralph Bollmann