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Wand und BodenMal oben ohne

■ Kunst in Berlin jetzt: Krystufek, Orozco, Cucchi, Boßlet

Eine Party wie in Warhols Factory. Elke Krystufek war zur Eröffnung in eine Art odol- blauen Tüll gehüllt, sie hatte Glitter im Haar, was zur Galerie paßte, die mit Silberfolie ausgeschlagen war. Nebenher lief Beatmusik vom Band, man amüsierte sich gut. Einige kamen dermaßen in Stimmung, daß sie Zeichnungen kauften. „Wie heißt nochmal die Künstlerin?“ fragte ein Mann um die Vierzig, der sich für ein skizzenhaftes Selbstporträt oben in der Ecke entschieden hatte. Er war eher zufällig in die Ausstellung geraten, und nun stand er vor dicht gehängten Reihen mit etwa 60 Blättern von Krystufeks Konterfei: die 25jährige, müde auf einem Schemel kauernd, mal im Morgenrock, meist oben ohne. Soweit, so Pop. Doch stärker als bei Warhol zeigen die Porträts eine verlebte Kreatur. Ohne Schonung hat Krystufek den Kater danach, die Depressionen und Migränen abgebildet. Mehr Dorian Gray als Marilyn Monroe, in die sie sich sonst gerne hineinversetzt. Zusätzlich sind die Bilder mit Kommentaren zu Prozac-Pillen, Bulimie, Einsamkeit und der Wut auf Malerei vollgekrakelt. Edie Sedgwick erscheint als Leitmotiv auf sechs Blättern und blickt ebenfalls gespenstisch leer, ausgehöhlt wie Schieles Modelle der Wiener Moderne. Ein Psycho-Realismus, der sich auf übermalten Bettbezügen fortsetzt. Die Talsohle von Kunst, Leben und Lieben, für deren Zusammenwirken Krystufek sich so sehr interessiert, ist erreicht.

„Poor Little Rich Girl“, bis 24.12., Di-Fr 12-18.30, Sa 11-15 Uhr, Contemporary Fine Arts, Tauroggener Straße 15.

Gabriel Orozco ist DAAD- Gast und schert sich wenig um Erwartungen, die mit einem solchen Stipendium verknüpft sind. Vielleicht liegt auch wirkliche Bescheidenheit in der absolut unspektakulären Präsentation seiner 40 Fotos. Für das Projekt „Gelbe Schwalbe“ hat der in New York lebende 33jährige Mexikaner eine Feldstudie gestartet: Als er im Sommer nach Berlin kam, kaufte Orozco einen Motorroller der Marke „Schwalbe“. Damit fuhr er die Stadt ab, bis er bei seinen Erkundungen immer wieder auf das gleiche Modell des Motorrollers stieß. Und so begann er, diese Begegnungen mit anderen Gefährten fotografisch zu dokumentieren. Nach jedem Foto hinterlegte er einen Zettel vor Ort, auf dem alle „Schwalbe“- Fahrer zu einem Treffen eingeladen wurden, das am 3.Oktober um 16 Uhr vor der Neuen Nationalgalerie stattfand. Auch davon gibt es ein Foto: Es zeigt dürftige drei Motorräder, hübsch aufgereiht zwar, aber doch ziemlich verloren auf dem weiten Platz. Vermutlich hat es Orozco, dessen Arbeiten um das alltägliche Scheitern kollektiver Utopien kreisen, in seinem Pessimismus bestätigt. Das aber wäre ein Erfolg, und die Fotos täten nichts weiter zur Sache. Entsprechend schnell geht man die Reihen ab, stolpert über einige spiegelverkehrt reproduzierte Bilder oder wundert sich, welch entlegene Ecken Orozco auf seinen Stadttouren entdeckt hat. Sehr viel faszinierender ist sein „Chessboard“, auf dem vier Parteien in vier verschiedenen Farben allesamt nur mit Pferden spielen können. Es gehört der Miriam Goodman Gallery in New York und hat mit dem Projekt nichts zu tun.

Bis 26.11., tgl. 12.30-19 Uhr, Kurfürstenstraße 58.

Große Bilder aus Italien sind chic und obendrein teuer, zumindest, wenn sie die Signatur der Transavantguardia tragen. Inzwischen muß man wohl auch die historische Patina mithonorieren, die der Malerbewegung aus den frühen achtziger Jahren anhaftet: Macht 160.000 Mark, die Hallenmiete für das mit 2,27 mal 4,77 Metern umfänglich geratene „I Piedi di Caravaggio“, 1993, nicht dazugerechnet. Die Raab-Galerie stellt Arbeiten von Enzo Cucchi aus: Selbstbildnisse, Allegorisches mit fliegenden Herzen, und eine Serie, die vom einsamen Leser handelt. Der sitzt auf einem Berg, blättert in Büchern und schaut doch mehr in die Ferne als auf die vor ihm liegenden Seiten, weshalb Cucchi sie unbedruckt gelassen hat. Die Zeit, da solche Bilder selbst wie Bücher gelesen wurden, gehört schon seit der Maler-documenta 1982 von Rudi Fuchs der Geschichte an, und zuviel überdimensionale Melancholie droht rasch in dekorative Klischees umzukippen. Cucchi weiß, wie man malt, nur nach dem Warum mag er sich scheinbar nicht weiter fragen. Er produziert vielmehr im Akkord, allein aus den letzten zwei Jahren hängen bald ein Dutzend großer Formate, die teils in Freskotechnik unglaublich schnell und mit sicherer Hand auf daumendicken nassen Gips gemalt wurden. Die Farben strahlen, und der Kundige weiß: Alle Wege führen nach Rom.

Bis 16.12., Mo-Fr 10-18.30, Sa 10-14 Uhr, Potsdamer Str. 58.

Beim Betreten des Podewil stellt man derzeit fest, daß hier eine Baustelle angelegt, gut aufgeräumt, und dann mit einem Dutzend heller Scheinwerfer ausgeleuchtet wurde. Ein Rechteck aus etwa fünf Meter langen, mit Armierungseisen verstrebten Betonträgern, erinnert an eine verspätete Inszenierung des Mythos vom Neubau der Berliner Mitte. Der 1953 geborene Installationskünstler Eberhard Boßlet nennt seine Eingriffe „Universalien“, obwohl diese sich doch sehr spezifisch dem Raum anschmiegen. In Hannover hatte Boßlet das Sprengel-Museum „verbaut“, die Arbeiten im Podewil hingegen wirken aufgrund der Foyersituation wie temporär gefertigte Objekte. Sein „Grundlager“ etwa besteht aus einem Hebekissen, das nebst Druckluftflasche, Teppich und Lastengurt mit einer tragenden Säule vertäut wurde. Es macht zwar deutlich, wie Boßlets konstruktives Prinzip „stützen – tragen/Druck – Gegendruck“ funktioniert. Aber an einem Ort, wo gewöhnlich mit filigranen Obertönen und Tanz kommuniziert wird, wirkt die schroffe Materialästhetik etwas deplaziert.Bis 10.12., Mo-Fr 10-22 Uhr, Klosterstraße 68-70. Harald Fricke

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