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■ Der amerikanische Politologe Ian Lustick hat schon früh vor dem Terror von jüdischer Seite gegen Israelis gewarnt„Es wird noch mehr Gewalt geben“

taz: In Ihren Publikationen haben Sie schon vor Jahren politische Gewalt und Attentate von jüdischer Seite gegen israelische Politiker vorausgesagt. War der Mord an Rabin zwangsläufig?

Lustick: Militanter Widerstand gegen einen Friedensprozeß ist die beabsichtigte Konsequenz der Siedlungspolitik der Likud-Regierungen. Diese Politik wurde entwickelt, um es für Israel von vornherein unmöglich zu machen, sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen. Man wollte eine stark verwurzelte politische Strömung schaffen, die sich nicht nur einer an Friedensverhandlungen interessierten Regierung widersetzen, sondern auch die Legitimität des Staates selbst in Frage stellen würde, sollte je eine solche Regierung an die Macht kommen. Damit, so hoffte man, würde jedes zukünftige Kabinett von einem Friedenskurs abgeschreckt werden, weil es damit nicht nur seine Wiederwahl, sondern die Stabilität des Staates riskieren würde.

Die Grenze zur Gewaltbereitschaft wurde dabei schon in den frühen achtziger Jahren überschritten. Wann immer eine Regierung, wie zum Beispiel 1985 das Kabinett unter Führung von Schimon Peres, ernsthafte Schritte hin zu einem Frieden mit den Palästinensern und der Rückgabe von Land zu machen versuchte, wurden Vertreter dieser Regierungen wie auch der Linken mit dem Tode bedroht. Es gab versuchte Bombenattentate und anderes ...

Trägt damit die Likud-Partei die Mitverantwortung für die Ermordung Rabins?

Das einfach so zu behaupten, halte ich für sehr gefährlich – man muß vorsichtig und genau argumentieren. Weder haben die Likud-Führer ein solches Attentat je für ideologisch vertretbar gehalten, noch haben sie je angenommen, daß es ihnen taktisch helfen würde. Andererseits sind sie in den achtziger Jahren einen Teufelspakt eingegangen: Sie dachten, sie könnten diese Fanatiker als Avantgarde ihrer Annexionspolitik benutzen, weil sie aus ihren eigenen Reihen nicht genügend Leute für die Besiedlung der besetzten Gebiete fanden. Gleichzeitig glaubten sie, deren Extremismus unter Kontrolle halten zu können. In diesem historischen Zusammenhang tragen sie eine Mitverantwortung am Tod Jitzhak Rabins.

Wie hoch würden Sie die Zahl militanter Gegner und Organisationen des Friedensprozesses schätzen?

Das läßt sich schwer sagen. Sie können davon ausgehen, daß es in Israel etwa ein halbes Dutzend Gruppen gibt, deren Mitglieder dazu bereit und fähig sind, zu schießen oder zu bomben. Das bewegt sich vermutlich in einer Größenordnung von 400 bis 1.000 Leuten.

Rabin selbst wie auch viele andere haben immer wieder beklagt, daß jüdische Fundamentalisten in Israel beste Kontakte zu extremistischen Gruppen in New York haben. Am bekanntesten wurde in diesem Zusammenhang der New Yorker Rabbi Meir Kahane, der in den USA die militante „Jewish Defense League“ gründete und in den 70er Jahren in Israel die „Kach“-Bewegung aufbaute.

Die größten dieser Organisationen, von denen ich eben gesprochen habe, sind die beiden Neugründungen, die nach dem Verbot von „Kach“ durch die Knesset entstanden sind: „Kahane Chai“, die sich unter Leitung von Kahanes Sohn im Norden der Westbank niedergelassen hat [Meir Kahane wurde 1990 in New York von einem muslimischen Fundamentalisten erschossen, d. Red.], sowie eine Neuauflage von „Kach“ in Hebron. Beide führen Überfälle auf Araber durch und haben auch Juden attackiert. Sie sind untereinander gut vernetzt. Der Grad der Vernetzung mit fundamentalistischen jüdischen Organisationen in New York ist unklar. Auf jeden Fall hat sich auf diese Siedlungen in den besetzten Gebieten eindeutig die Weltsicht einiger jüdisch- fundamentalistischer Gruppen in den USA übertragen, die auf der Erfahrung des Holocaust basiert – und der damit verbundenen Angst, daß die Juden permanent von einer ähnlichen Katastrophe bedroht sind. Aus diesem Bedrohungsgefühl und der Wahrnehmung des Restes der Welt als Feind ist die Bereitschaft entstanden, auch gegen Juden vorzugehen, die sich Arabern gegenüber verhandlungsbereit zeigen.

Wir werden vermutlich weitere Attentatsversuche erleben, aber auch von seiten des Staates ein sehr viel härteres Vorgehen gegen rechtsextreme Gruppen – auch die Verhängung eines Ausnahmezustands gegen Siedlungen in den besetzten Gebieten, die als Heimstätten von Terroristen gelten, das Verbot bestimmter Parteien, die Inhaftierung von Aktivisten aus dem rechtsextremen Spektrum. Ich kann mir vorstellen, daß ein Ausnahmezustand sehr wohl Teil des Instrumentariums des Staates sein kann, mit dem er die besonders schwierige Verhandlungsphase bezüglich des permanenten Status von Jerusalem bewältigen will. Einen Bürgerkrieg, wie ihn manche an die Wand malen, halte ich allerdings für so gut wie ausgeschlossen, weil die israelische Armee und ihre Führung den Friedenskurs der Arbeitspartei-Regierung unterstützen.

Was muß jetzt passieren, um den Friedensprozeß voranzutreiben?

Die Regierung muß mit aller Kraft all jenen Israelis, die gegen Verhandlungen mit den Arabern sind, klarmachen, daß es um weit mehr geht als die stereotype Frage, ob man das Land mit Nichtjuden teilen kann und will – nämlich um eben jene Institutionen, die ihnen und ihren Kindern ein sicheres und stabiles Leben garantieren. Wenn das begreifbar gemacht wird, dann lassen sich die paar zehntausend oder hunderttausend, die sich hinter fundamentalistischen Slogans versammeln, politisch isolieren.

Welche Hilfe ist derzeit vom Ausland am wichtigsten?

Das Echo auf Rabins Ermordung und die Präsenz ausländischer Staats- und Regierungschefs bei seiner Beerdigung war ein ganz wichtiger Akt der Unterstützung. Die Achillessehne des gesamten Friedensprozesses ist jedoch die Schwäche der PLO in der Westbank und im Gaza-Streifen. Die PLO muß ihren Leuten versprechen, daß die jüdischen Siedlungen am Ende abgebaut werden, daß es einen palästinensischen Staat und wirtschaftliche Prosperität geben wird – obwohl es dafür bislang überhaupt keine Anzeichen gibt.

Was das Ausland, allen voran die USA, also vorrangig leisten muß, ist wirtschaftliche Hilfe an die Palästinenser in den besetzten Gebieten. Zweitens muß der Westen alle Schritte der israelischen Regierung ermutigen, die darauf hinauslaufen, einen palästinensischen Staat für möglich zu erklären. Alle Zusatzbedingungen, die derzeit im US-Kongreß an die Fortsetzung der Wirtschaftshilfe für die Palästinenser geknüpft werden – wonach die PLO mehr bei der Bekämpfung des Terrorismus kooperieren solle – müssen als das gesehen werden, was sie sind: vom rechten Spektrum der Israel-Lobby initiierte indirekte Versuche, den Friedensprozeß zu torpedieren. Der Friedensprozeß braucht gerade jetzt eine politische und ökonomische Infusion – für Israelis wie Palästinenser. Interview: Andrea Böhm

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