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Träumen von Spaniens Himmel

Felix Pérez war 21 Jahre alt, als die Franco-Faschisten siegten und er fliehen mußte. Eine Lebensgeschichte von Exil und Widerstand  ■ Von Reiner Wandler

Was macht denn der Spanier hier?“ fragte der an einen Stuhl gefesselte deutsche Generalstabsoffizier verwundert. Die Russen verstehe er sehr gut, schließlich sei Krieg, und sie müßten alles tun, um sich zu verteidigen. „Aber der Spanier?“ fragte der Gefangene abermals sein Gegenüber. Der, genauso blond, genauso blauäugig und ebenfalls in der Uniform eines deutschen Wehrmachtsoffiziers, ist nicht gefesselt: „Es war ein Offizier der russischen Militärspionage, ein Wolgadeutscher“, mehr aber wisse er auch nicht über den verkleideten Topagenten der Roten Armee, berichtet Felix Pérez, jener damals angesprochene Spanier, heute 77 Jahre alt.

Seine Erinnerungen spielen in einer kalten Winternacht 1943/44 in einer Waldhütte in der Ukraine nahe der polnischen Grenze. Pérez gehörte zu einer Sabotageeinheit der Roten Armee hinter den deutschen Linien, die ein Jahr zuvor mit Fallschirmen abgesprungen war. Der echte deutsche Offizier war ihnen einen Tag zuvor in die Fänge gegangen. „Tja, was machte ein 25jähriger Andalusier in jener Hütte im osteuropäischen Winter?“ Eigentlich eine gute Frage, muß Pérez zugeben.

„Es begann am 2. Mai 1939. Der Kommandant eines französischen Lagers für spanische Bürgerkriegsflüchtlinge rief mich zu sich. Was ich vorher gemacht habe, wollte er wissen. ,Offizier im Dienste der Spanischen Republik‘, antwortete ich. ,Und wohin würden Sie gerne gehen?‘ Klar, in meine Heimat, aber das war unmöglich. ,Und in die UdSSR?‘ Ich war erstaunt, sagte aber sofort zu“, beginnt Pérez das Geheimnis zu lüften.

Sie brachten ihn mit weiteren hundert Gefangenen nach Le Havre. Während Franco in Madrid mit einer riesigen Militärparade unter Beteiligung deutscher und italienischer Truppen seinen Sieg feierte, ging es im Schiff nach Leningrad und von dort in die Ukraine in die Nähe von Tscharkow, in eine Feriensiedlung der Gewerkschaften. „Ich glaube, daß das Ganze von der Komintern ausging. Es war auf jeden Fall sehr gut organisiert“, erklärt sich Pérez seine ungewöhnliche Reise.

Ungewöhnlich für den 21jährigen Sohn eines andalusischen Tagelöhners. Geboren wurde er in Fuensanta de Martos, einem 5.000-Seelen-Dorf in der Provinz Jaén. Er war das zweite von fünf Kindern, hatte einen älteren Bruder und drei jüngere Schwestern. Er hatte etwas mehr Glück als seine Geschwister: Ein Onkel brachte ihm lesen und schreiben bei. „Ein Autodidakt, der es bis zum Dorfschullehrer gebracht hatte. Er nahm mich vom sechsten bis zum zwölften Lebensjahr mit in die Schule.“ Dafür ist er ihm noch heute dankbar.

Der ältere Bruder arbeitete bereits, und Ausbildung für Mädchen war ohnehin ein Fremdwort. Als Felix Pérez mit Dreizehn anfing, wie sein Vater und sein Bruder mit Eseln die Ländereien anderer zu pflügen, stürzte König Alfonso XIII. In Spanien begannen damit die Jahre der Zweiten Republik, die alles verändern sollten.

„Plötzlich stellte sich heraus, daß mein Onkel die ganzen Jahre über einer der illegalen Führer der Sozialistischen Jugend gewesen war. Jetzt konnte er offen arbeiten, und er nahm mich mit. Ich begann, sozialistische Literatur zu lesen: Kropotkin, das Manifest von Marx und, was mich sehr stark beeindruckte, einen Artikel von Lenin zur Landreform“, erzählt Felix Pérez weiter. „Eines ergab das andere. Streiks, Solidaritätsaktionen mit den in Deutschland inhaftierten Antifaschisten wie Thälmann, aber auch Ausflüge mit der sozialistischen Jugendgruppe...“ Alltag in der kleinen Gemeinde, bis „wir plötzlich von der Provinzhauptstadt Jaén aus angerufen wurden, daß die Franco- Truppen aus den Kasernen ausgerückt waren“. Es war der 17.7. 1936. „Um den Faschisten zuvorzukommen, stürmten wir um sechs Uhr morgens die Kaserne der Guardia civil mit allem, was wir zur Hand hatten – von Sensen über Vorderladerpistolen aus dem Befreiungskrieg gegen Napoleon bis zu Jagdgewehren. Mit den erbeuteten Waffen stellten wir eine Miliz auf.“

Felix Pérez erinnert sich gut. 18jährig hatte er es mittlerweile im Dorf und in der Provinz zu politischen Lorbeeren gebracht: „Vorsitzender der Vereinigten Sozialistischen Jugend, des gemeinsamen Jugendverbands der Kommunistischen und Sozialistischen Partei“, berichtet er nicht ohne Stolz.

Der Bürgerkrieg kam in Gang. Zusammen mit 3.000 Jungen aus der Provinz meldete er sich freiwillig an die Front, wo er es vom einfachen Soldaten über den Oberleutnant bis zum Generalstab brachte. Wie viele seiner Kameraden trat er der KP bei. Die Gründe dafür lagen auf der Hand: „Die Sowjetunion war neben Mexiko das einzige Land, das uns unterstützte.“ Es half alles nichts. Für Franco endete der Krieg am 1. April 1939 in Madrid an der Macht, für Felix Pérez einige Wochen früher, am 26.Januar nach dem Fall Barcelonas, im französischen Exil. „Die Überlegenheit der Faschisten war dank der Unterstützung aus Deutschland und Italien einfach zu groß. Und auch wenn es stimmt, daß die Auseinandersetzungen innerhalb der eigenen Reihen unsere Kraft schwächten, verloren wir hauptsächlich wegen des sogenannten Nichteinmischungspaktes“, erklärt er sich die Niederlage der Republik.

„So kam ich also in die UdSSR, wo man mich vor die Entscheidung stellte: Militärschule oder Fabrikarbeiter. Ich überlegte nicht lange: Fabrikarbeiter. Schließlich war ich nicht aus freien Stücken Militär, sondern wegen der widrigen Umstände. Ich hatte Lust, einen Beruf zu lernen.“ Er fing in der Traktorenfabrik von Tscharkow eine Dreherausbildung an.

In der Fabrik arbeiteten 30.000 Menschen, darunter neben Österreichern und Ungarn, die vor Hitlers Gestapo Schutz suchten, achtzig Spanier. „Recht schnell merkte ich, das etwas in der Luft lag. Die Produktion wurde von Traktoren auf Panzer umgestellt.“

„Nach fast zwei Jahren rief mich die Partei nach Moskau. Dort erwartete mich der Vertreter der KP Spaniens, Francisco Antin.“ Wieder stellte die Partei ihn vor die Wahl: Militärakademie oder Parteischule. „Ich entschied mich wieder fürs Zivile.“ Doch als Deutschland drei Monate später die UdSSR überfiel, sah sich Felix Pérez abermals in Uniform.

„Wir meldeten uns alle freiwillig, um gegen die Nazis zu kämpfen. Vor allem wir Spanier zogen mit Begeisterung in den Krieg. Hatten wir doch noch die Bilder von Guernica vor Augen, das von der deutschen Legion Condor vollständig zerstört worden war. Wir hatten die deutsche Hilfe für Franco nicht vergessen.“ Nach der Verteidigung Moskaus, in jener Nacht, als die Deutschen schon bald auf Sichtweite heran waren, wechselte er, und mit ihm die meisten Spanier, zu den Guerilla-Einheiten hinter der deutschen Front.

„Der Krieg war für mich im Juni 1944 vorbei, als die offizielle russische Armee bis zu uns vorgerückt war.“ Es begann das Warten. „Die Parteiführung hatte mir und fünfzig weiteren Genossen zugesagt, daß wir nach Spanien zurückgeschickt würden, um uns dort dem frischgegründeten Widerstand anzuschließen.“

Es war die Zeit der Hoffnung. Wenn Hitler erst einmal gestürzt wäre, so glaubten bis in monarchistische Kreise hinein eigentlich alle, würde auch die Franco-Diktatur ein rasches Ende haben. Um dem aber nachzuhelfen, hatten 4.000 Mann im Oktober 1944 bewaffnet die Pyrenäen überquert. Sie sollten sich den im Land entstandenen Maquis anschließen, wie die Spanier die Guerillaverbände nannten. Die Operation scheiterte, der Zweite Weltkrieg war zu Ende, Franco weiter an der Macht. International blieb es bei einer UNO-Resolution gegen den Diktator, verabschiedet am 9. Februar 1946, aber von Einmarsch und Sturz wollte niemand etwas wissen. Die Neutralität Francos während des Krieges machte sich bezahlt. „Die UdSSR“, konstatiert Pérez, und bis heute ist ihm die Verbitterung anzumerken, „gab sich einfach mit der Aufteilung der Welt in Potsdam zufrieden.“

Ende 1945 schickte ihn die Partei mit falschen Papieren nach Frankreich. „Wir meldeten uns einzeln beim Präfekten und erzählten, daß wir direkt aus Spanien gekommen seien“, und so erhielten Pérez und seine Genossen politisches Asyl. Von einer Rückkehr in die Heimat jenseits der Pyrenäen war immer seltener die Rede. Es galt, die unzähligen Flüchtlinge und die im Exil geborenen Kinder und Jugendlichen zu betreuen. „Ich werde nie die Leute vergessen, die aus den deutschen KZs zurückgekehrt waren.“ 40.000 Spanier und Spanierinnen waren deportiert worden, die wenigsten überlebten. Einige, die als ausgemergelte Gestalten nach Frankreich zurückkehrten, landeten in der Obhut von Felix Pérez.

Das Franco-Regime wurde nach und nach wieder hoffähig. Die Diktatur paßte ins Spiel der Kräfte im gerade begonnenen Kalten Krieg. „Aus den drei Monaten bis zu meiner Rückkehr wurden fünf Jahre“, erzählt Pérez. Erst im Juni 1949, zehn Jahre nach Ende des Bürgerkrieges, überschritt er wieder die spanische Grenze. Der Mythos der Maquis, der bewaffneten Widerständler, gehörte längst der Vergangenheit an, Reste der Organisationen aber gab es noch. Die achtköpfige Gruppe von Felix Pérez, der fortan den Decknamen „Sebastian“ trug, nahm Kontakt zu den zerstreuten Guerillagruppen auf, um sie nach Frankreich ins Exil zu schaffen. „Als wir in den Bergen bei Valencia ankamen, fanden wir einen traurigen Haufen von hundert Mann vor. Ich war auf alles vorbereitet, aber nicht auf halbverhungerte Genossen. Ein Teil von ihnen war seit dem Ende des Bürgerkriegs in den Bergen. Sie waren vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Als sie uns sahen, dachten sie: ,Die Partei kommt uns zu Hilfe, jetzt geht's los zum endgültigen Angriff.‘ Es war nicht leicht, sie von der Aussichtslosigkeit der internationalen Lage zu überzeugen“, erinnert sich „Sebastian“ traurig.

Die Exilleitungen der verschiedenen linken Organisationen stellten ihre Taktik um. „Unterwanderung der franquistischen Gewerkschaften“ hieß die Parole. Dafür mußten Propagandamaterial, Geld und Personen illegal über die Grenze geschmuggelt werden. „Sebastian“ verschlug es dank seiner militärischen Ausbildung als Führer in den östlichen Teil des Gebirges. „Später wurde das dann alles leichter. Mit dem zunehmenden Tourismus nach Spanien überquerten wir die Grenze im Zug, im Flugzeug oder mit falschem französischem Paß im Auto mit französischem Kennzeichen“, erinnert sich Pérez.

Dieser Arbeit ging er nach, bis er Anfang der sechziger Jahre in der Parteihierarchie aufstieg und sich ganz der „Inlandsarbeit“ widmete, erst in Madrid, dann in Andalusien, immer illegal. Ein paarmal entkam er nur knapp den Häschern Francos. Bei jeder Reise, die bis zu einem halben Jahr dauerte, trennte er sich schwerer von Paris, wo er, wie so viele der Exilierten, Wurzeln geschlagen hatte. Längst hatte er eine Französin geheiratet, war Vater dreier Kinder.

Aber je länger die Diktatur dauerte, desto verzweifelter wurde die Hoffnung der Exilierten auf Rückkehr. „Immer wieder tranken wir darauf, daß wir im nächsten Jahr ganz bestimmt Weihnachten in Spanien feiern werden. Als meine Frau und ich Kinder bekamen, verstärkte sich das noch. Wie oft hab' ich zu ihr gesagt: ,Wenn die Älteste sieben oder acht Jahre alt ist, nehm' ich euch alle mit nach Spanien.‘“

Als es tatsächlich dazu kam, war sie zwanzig. „Bei der Nachricht vom Tode Francos machten wir eine Flasche Sekt auf, die wir wie jeder gute republikanische Haushalt schon tagelang kalt gestellt hatten“, erinnert er sich an jenen 20. November 1975, als, 30 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, aus „Sebastian“ wieder Felix Pérez wurde. Er war 57 Jahre alt. Pérez lebt bis heute mit seiner Frau in Paris. Nur im Sommer, da zieht es ihn nach Andalusien.

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