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„Hallo, Scheidung, tschüs, Papa!“

Heute stimmen die Iren und Irinnen darüber ab, ob sie sich voneinander scheiden lassen dürfen. Die katholische Kirche stemmt sich dagegen, und die Scheidungsgegner bemühen antisemitische Vorurteile  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Die Tür öffnet sich einen Spalt, und bevor Martin sein Flugblatt loswerden kann, ist sie schon wieder zu. „Ich habe mich noch nicht entschieden, wie ich abstimmen werde“, hatte die junge Frau noch durch den Türspalt gerufen. Nebenan haben Martin und seine beiden Begleiter mehr Glück. Der Mann, etwa Mitte Fünfzig, hört geduldig zu, als Martin die Ehe mit einem Regenschirm vergleicht: „Wenn man lauter Löcher in den Schirm macht, erfüllt er seinen Zweck nicht mehr.“ Und dann, unvermeidlich, bringt Martin in kruder Metaphorik die Kinder ins Spiel: „Kinder sind die Pingpongbälle im Scheidungs-Tauziehen.“

Martin und seine MitstreiterInnen von der „Anti-Scheidungs-Kampagne“ haben im Endspurt um die Stimmen alle Register gezogen. Heute entscheiden die Irinnen und Iren in einem Referendum, ob in ihrem Land künftig geschieden werden darf. Bisher geht das laut Verfassung nicht: Man kann sich zwar rechtsgültig trennen, und die Gerichte legen wie bei einer Scheidung das Sorgerecht und die Unterhaltszahlungen fest, aber eine zweite Eheschließung ist nicht möglich. Irland ist der letzte europäische Staat, in dem die Ehe bis zum Tod dauert. Schon einmal, im Juni 1986, versuchte die Regierung, das Scheidungsverbot aufzuheben. Das Volk entschied mit Zweidrittelmehrheit dagegen.

Diesmal war man zuversichtlich, daß die Stimmung im Land sich gewandelt hat. Der Vorschlag zur Verfassungsänderung sieht vor, daß gerichtliche Ehescheidungen erlaubt werden, wenn das Ehepaar vier der letzten fünf Jahre getrennt gelebt hat und keine Hoffnung auf Versöhnung mehr besteht. Man könne auch unter einem Dach getrennt leben, erläuterte Gleichberechtigungsminister Mervyn Taylor. Sämtliche Parlamentsparteien haben den Vorschlag abgesegnet. Doch der Vorsprung der Scheidungsbefürworter ist in den vergangenen Wochen auf zwei Prozent zusammengeschmolzen, ein Achtel der Bevölkerung ist noch unentschlossen. Um diese Leute wird mit harten Bandagen gekämpft.

„Hallo, Scheidung, tschüs, Papa!“ steht auf einem Plakat der „Anti-Scheidungs-Kampagne“. Es sind größtenteils dieselben Leute, die bereits vor neun Jahren gegen Scheidung auf die Straße gingen. Später demonstrierten sie vergebens gegen Empfängnisverhütung, gegen Sexualkunde an den Schulen und gegen die Freigabe von Informationen über Abtreibungsmöglichkeiten im Ausland. Das Scheidungsreferendum ist für sie die letzte Schlacht. Martin, ein 46jähriger Bankangestellter, sagt: „Es wäre der Untergang Irlands.“

Der Arzt Joe McCarroll, Gründungsmitglied der „Anti-Scheidungs-Kampagne“, behauptet, Scheidung werde zu einer Steuererhöhung von zehn Prozent führen. Vor neun Jahren hatte die konservative Abgeordnete Alice Glenn den Satz geprägt: „Frauen, die für Scheidung stimmen, sind wie Truthähne, die für Weihnachten stimmen.“ McCarroll wandelte den Spruch ab: „Rechtsanwälte, die sich für Scheidung einsetzen, sind wie Truthahnzüchter, die sich für das Weihnachtsfest einsetzen.“ Was unausgesprochen bleibt: Geldgierige Rechtsanwälte sind in Irland seit langem ein Synonym für Juden.

Andere, wie die Partei Muintir na h Eireann („Das Volk von Irland“), sprechen es aus. Ihr Vorsitzender Richard Greene, ein ehemaliger Stadtrat der irischen Grünen Partei, sagte, daß das heilige Sakrament der Ehe für Minister Taylor und seinen Kabinettskollegen Alan Shatter eine geringere Bedeutung habe als für die Bevölkerungsmehrheit, weil die beiden Politiker Juden seien. Sie wollten, schimpfte Green, den Katholiken ihre jüdischen Vorstellungen aufzwingen.

Der Antisemitismus fällt auf fruchtbaren Boden: „Dieses Land braucht keine jüdischen Parasiten wie dich, um uns Ratschläge zu erteilen, wie wir leben sollen“, heißt es in einem der zahlreichen anonymen Briefe an Alan Shatter. „Geh zurück nach Israel! Hau ab, du jüdischer Abschaum!“

Die Gegenseite schreckt ebenfalls nicht vor Schlägen unter die Gürtellinie zurück. Labour-Finanzminister Ruarai Quinn bescheinigte dem Scheidungsgegner Professor William Binchy bei einer Talk-Show, daß er hochintelligent sei – und fügte hinzu: „Das war Hitler auch.“ Die Regierung hatte umgerechnet 1,2 Millionen Mark für einen Werbefeldzug lockergemacht, um die Verfassungsänderung durchzuboxen. Vor einer Woche sperrte das höchste irische Gericht, der „Supreme Court“, das Geld: Patricia McKenna, die Europaabgeordnete der Grünen, hatte gegen die einseitige Verwendung öffentlicher Mittel geklagt. Über ihren Sieg ist sie nicht recht froh. „Mir wäre es lieber gewesen, wenn meiner Klage gegen die Regierungskampagne beim Maastricht-Referendum stattgegeben worden wäre, aber es geht ums Prinzip“, sagte sie am vergangenen Sonntag. Dann zeigte sie auf die improvisierte Bühne in der Eingangshalle der Dubliner Stadtverwaltung und meinte: „Die da oben machen mich persönlich dafür verantwortlich, wenn es am Freitag schiefgeht.“ „Die da oben“, das sind die Spitzenpolitiker der irischen Parteien, die mit vereinten Kräften den knappen Vorsprung verteidigen wollen. Man hat den Volksentscheid extra vom traditionellen Wahltag, dem Donnerstag, auf einen Freitag verlegt. Der Grund: Man muß am Hauptwohnsitz wählen, und Studenten, von denen sich die Regierung überwiegend Jastimmen erhofft, fahren freitags meist aus den Universitätsstädten nach Hause zu den Eltern, wo sie gemeldet sind.

Für die Regierung steht viel auf dem Spiel. „Wenn das Referendum abgelehnt wird, bricht die ohnehin wacklige Koalition auseinander“, prophezeit eine Labour- Abgeordnete. Premierminister John Bruton sagt, das Referendum sei „wichtiger als die nächsten drei Parlamentswahlen, weil damit die Weichen für die irische Gesellschaft bis weit ins nächste Jahrhundert gestellt werden“. Es gehe um die Trennung von Kirche und Staat, sagt ein Kabinettskollege.

Der Einsatz der Politiker komme zu spät, meint die Feministin Kathleen Marr: „Sie haben sich zu sicher gefühlt.“ Sie moniert, daß die Politiker stets auf die mißhandelten Frauen hinweisen, denen man eine zweite Chance nicht verwehren dürfe. „Frauen werden immer als Opfer dargestellt“, sagt Marr, „dabei sind es in der Mehrzahl Frauen, die in Irland die rechtmäßige Trennung beantragen.“ Auch Bono und Adam Clayton von der Rockgruppe U2, der Schriftsteller Roddy Doyle („Commitments“) und Van Morrison sind in die Halle der Stadtverwaltung gekommen, um ihre Unterstützung für die Scheidungslobby zu demonstrieren.

Vorgestern hat sich auch der Papst zu Wort gemeldet. Die Iren und Irinnen sollen „in diesen Tagen noch intensiver für das Wohl der Ehe und der Familie beten“, sagte er. In die gleiche Kerbe hatte in der vergangenen Woche auch Mutter Teresa gehauen. Die einst so mächtige irische Kirchenhierarchie ist zwar schwer angeschlagen, nachdem kaum eine Woche vergeht, in der nicht ein neuer Fall von Kindesmißbrauch durch einen Geistlichen an die Öffentlichkeit dringt, doch in der Scheidungsfrage pocht man auf den moralischen Führungsanspruch: Eine Million Flugblätter hat die Amtskirche verteilen lassen, in denen sie die Regierung beschuldigt, die Ehe zu unterminieren und Kindern irreparablen Schaden zuzufügen. „Und ich sage dem Kardinal ins Gesicht, daß es ein viel größeres Trauma für Kinder gibt als Scheidung“, sagt Alan Shatter, „und das ist Kindesmißbrauch.“

Das Scheidungsverbot ist keineswegs ein „traditioneller irischer Wert“, wie die Bischöfe weiszumachen versuchen. Als Irland 1922 zum Freistaat wurde, erbte die Regierung auch das britische Scheidungsrecht. Erst seit der Verabschiedung der irischen Verfassung 1937 können irische Ehen nur noch durch den Tod geschieden werden. Wo es ein Problem gibt, ist eine irische Lösung nicht weit – in diesem Falle sogar drei Lösungen: Neben der „rechtmäßigen Trennung“ kann man auch eine Scheidung im Ausland erwirken, die vom irischen Staat anerkannt wird, wenn man einen Wohnsitz im Ausland nachweisen kann. Rund 5.000 Ehepaare pro Jahr machen in Großbritannien von dieser Möglichkeit Gebrauch. Und schließlich gibt es die Lösung mit katholischem Segen: die Annullierung.

Die katholische Kirche erklärt rund 200 Ehen im Jahr für null und nichtig, wenn einem der Partner „die Reife fehlte“ – manchmal sogar nach zwanzig Jahren und einer Handvoll Kinder. Die Zahl der Anträge beträgt allerdings das Achtfache. Wer danach ein zweites Mal heirate, befinde sich offiziell „in einer ungültigen, kriminellen, bigamistischen Ehe“, sagt Alan Shatter, und das heiße eben auch, daß nicht nur dem „Bigamisten“ eine Anklage drohe, sondern auch dem Pfarrer, der die Ehe geschlossen hat.

80.000 Iren und Irinnen leben getrennt. Die Zahl der Eheschließungen ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten um ein Viertel gesunken, 1994 ließen sich nur noch 16.000 Paare vermählen. Ein Fünftel aller Neugeborenen sind inzwischen uneheliche Kinder. „Wenn sich die Zerrüttung von Ehen verhindern ließe, indem man Scheidung verbietet, wäre wohl jeder für das Verbot“, sagt Taylor. „Einige Leute hätten gerne Lösungen, die einfacher sind als die Realität.“

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