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Am Ende des roten Fadens

■ Kinderbuchautorin Ellermann schreibt keine Gute-Nacht-Geschichten

Kinder spielen Verstecken. Im Freien stoßen sie auf einen roten Wollfaden. Ganz zufällig. Das Spiel beginnt. Hannes, und Felix, Anna und Ayla folgen dem Faden. Über Wiesen- und Waldwege gelangen sie auf einen Friedhof und dort zum Grab der neunjährigen Ulla Neumann. Die Kinder beginnen über den Tod des Mädchens nachzudenken und über dessen Leben. Eine ungewöhnliche Geschichte entspinnt sich, nachzulesen in Heike Ellermanns Kinderbuch „Der rote Faden“.

Die Oldenburgerin Heike Ellermann, seit zehn Jahren Kinderbuchautorin und –illustratorin, liebt unbequeme Themen. Ihre Bücher sind keine Gute-Nacht-Geschichten. „Ich will dazu anregen, über schwierige Themen zu sprechen.“ Die sechs bisher erschienenen Bücher für Kinder zwischen sechs und zehn handeln von Hiroshima, Generationskonflikt, Tod und Trauer, von wundersamen Steinen, Irrlichtern im Moor und Angst vor Nebel. Und haben Erfolg.

Denn Heike Ellermann, die 1945 im heute polnischen Wartheland auf die Welt kam, ihre Kindheit in Nienburg verbrachte und seit mehr als 20 Jahren in Oldenburg lebt, hält sich an die Realität. Kindliche Alltagswelt, etwa Schulweg und Einkaufsbummel, ist Thema.

Mit vielen Tricks gewinnt sie die kleinen LeserInnen für ihre „schwierigen, aber nicht oberschwierigen Themen“ (Ellermann). Kinder können sich mit den fiktiven Personen im Buch, mit Malte und Lisa, Stefanie und Peter, identifizieren. Eine labyrinthische Handlung wird durch eine Art Ariadnefaden entheddert. Fotoalben erzählen von anderen Zeiten. Personen wie Moorführer Eilers oder die Mutter der toten Ulla erklären ohne erhobenen Zeigefinger.

Daß die ehemalige Realschullehrerin mit ihren kritischen Tönen nicht das dicke Geld macht, nimmt sie in Kauf. Ihre beiden ersten Bücher „Ein Brief in der Kapuzinerkresse“, das von der Begegnung verschiedener Nationalitäten und Schichten erzählt, und „Papiervogel, flieg!“, eine Annäherung an das Thema Hiroshima, sind vergriffen. Neu aufgelegt werden sie nicht. „Zu schwierig“, vermutet die Autorin. Wie ihren Augapfel hütet sie die letzten Exemplare in ihrer liebevoll überfüllten Wohnung. Das ist der Preis, wenn man andere Kinderbücher schreibt.

Vier ihrer Bücher sind noch im Handel. Darunter „Geisterbahn oder der Heimweg im Nebel“ von 1993, in dem es um angsteinflößende Nebelgebilde geht. Und „Paßwort Zauberstein“ von 1995, die Geschichte von Stefanies Liebe zu Steinen.

KollegInnen, die es heiter lieben und mehr Erfolg haben, beneidet sie jedenfalls nicht. „Im Gegensatz zu Janosch will ich mich künstlerisch entwickeln.“ Die Vermarktung von Tiger, Ente und Bär auf Zahnbürsten und Dosen findet sie furchtbar. Und ans Auswandern auf eine sonnenverwöhnte Insel denkt sie auch nicht. Lieber macht sie „wichtige Bücher“. Auch wenn sie davon mehr schlecht als recht leben kann.

In ihrem Altbau mitten in Oldenburg, der Wohnung und Atelier in einem ist, komponiert sie Stilleben aus Steinen, die sie selbst am Meer gesammelt hat und gern in der Hand wiegt: „Ich habe schon immer ein Faible für Steine gehabt. Steine sind so alt wie nichts anderes in der Welt – und kosten keinen Pfennig.“ „Paßwort Zauberstein“ ist Zeugnis dieser Passion.

Hier oder in einem kleinen Haus in Südfrankreich experimentiert sie nach Herzenslust herum, ohne verbissen ans Ergebnis und Geld zu denken. Schnellschüsse sind nicht ihre Sache. „Andere haben in zehn Jahren einen Riesenstapel Bücher gemacht, ich brauche Jahre für ein einziges Buch.“

Stundenlang malt und fotografiert sie vor sich hin. Mit Akribie entstehen bei ihr klitzekleine Gucckastenbühnen. Um sich diese Freiheiten leisten zu können, veranstaltet die Oldenburgerin in allen möglichen Bibliotheken und Schulen bis zu 100 Lesungen pro Jahr. Zur Zeit in Zürich.

Solche Lesungen sind der einfühlsamen Frau wichtig – als Echo auf ihre Bücher. Denn eigene Kinder, die sie fragen könnte, hat sie nicht. Und die Kinder ihrer Geschwister, Anton, 12, und Jonas, 13, interessieren sich mittlerweile mehr für Techno und Computer als für Bilderbücher.

Also hält sie sich an Schulkinder. Viele Kinder seien still, betroffen, bezögen die Geschichten auf sich selbst, erzählt sie. „Hören Sie mal, schreiben Sie nur Bücher über Katastrophen?“, wurde sie bei einer Lesung von einem Jungen gefragt.

In ihrem allerneuesten Kinderbuch „Malte im Moor“ geht es kritisch weiter. Auch wenn Heike Ellermann hier das Texten erstmals einer Kollegin überlassen hat. Irmtraud Rippel erzählt die Geschichte von Malte und Lisa, die eine geheimnisvolle Moorlandschaft entdecken. Klar, daß es dabei auch um die Zerstörung der Hochmoore geht.

Heike Ellermann huldigt in diesem herrlich vielseitigen Sachbuch ihrer Leidenschaft für erdige Farben, diesiges Wetter, diffuses Licht. Die „Entdeckungsreise in die Vorgeschichte“ begleitet sie mit Bildern von braungrünen Moortümpeln, windgepeitschtem Birkengestrüpp und tanzenden Binsenbüscheln.

Sabine Komm

Goldenstedt, rund 50 Kilometer südlich von Bremen, zeigt im „Haus im Moor“ bis 24.12. etwa 50-Illustrationen zu „Malte im Moor“ (Sa. u. So. 11 bis 17 Uhr).

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