: Güldener Wohlstandstinnef
Was wäre die vorweihnachtliche Behausung ohne goldenen Schmuck? Ohne Putten, posaunende Elfenreigen, mit Goldstaub überzogene Glashohlkörper? Gold – eine Betrachtung ■ Von Kathi Seefeld
Die Geschichte des Goldes ist eine Geschichte voller Mißverständnisse. Manche Menschen meinen, daß nun bald schon Weihnachten sei. Wieder andere MitbürgerInnen fragen sich, was Weihnachten wohl wäre ohne diese süßen, kleinen Posaunenengel? Reizend, gülden. Fett. Oder ohne in zarten Goldstaub getauchte Glashohlkörper? Ohne Goldschleifen, Goldkettchen, Goldpapier? – Weihnachten wäre nichts.
Umfassend gebildete Geschäftsleute haben das Problem erkannt. Das Angebot ist wieder einmal überwältigend, die Preise sind es nicht minder. Geflügelte Jahresendfiguren mit 333er Goldharfe treiben Käuferinnen und Käufern Tränen in die Augen. Doch, was tut man nicht alles, um sich eine Freude zu machen.
„Geschenke schmeicheln selbst den Göttern, und Gold wirkt mehr als hunderttausend Worte“, sagte Euripides, obwohl er nicht der Erfinder von Weihnachten war. Euripides hätte Gold auch zu Ostern passend gefunden. So kleine, dicke, blattvergoldete Hasen im Nest? Schwer vorzustellen, nicht wahr? Muß es aber nicht sein. Denn Goldaccessoires liegen voll im Trend.
Sieht man einmal ab von so alltäglichen Sprüchen, daß nicht alles Gold wäre, was da glänze, bis hin zur Behauptung, der Mensch sei der Elster artverwandt, darf man derzeit wieder einem großen deutschen Dichter beipflichten, der da konstatierte, daß nach dem Golde alles dränge, weil wohl am Golde alles hänge.
Meine Großmutter hing nicht daran. Wie viele ihrer Zeitgenossinnen auch, die Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre ihren „alten Plunder“ einfach nicht mehr sehen konnten. Sie verschenkten, ließen auf Dachböden verschwinden oder gaben auf den Sperrmüll: Putten und Elfenreigen, Goldrandservice und Brokatvorhänge. Einzug hielten Schrankwände und Nierentische.
Später wuchsen wir mit Kiefernholz und Terrakotta auf, und wenn etwas glänzen durfte, dann nur cool silbern verchromt. Der Anspruch auf Emanzipation paßte nicht zur Aura des Aurums. Die Sehnsucht nach dem weichen, gelbglänzenden Edelmetall oder wenigstens einem Schein desselben wurde unterdrückt. An ihre Stelle trat der Zorn auf alle, die sich weiter damit schmückten. „Gold macht alt, Gold ist doof“, das wußten wir und hängten Strohsterne an den Weihnachtsbaum.
Wer keine solche Großmutter hatte, las bei Marx im Kapital: „Um das Gold als Geld festzuhalten und daher als Element der Schatzbildung, muß es verhindert werden zu zirkulieren oder als Kaufmittel sich in Genußmittel aufzulösen. Der Schatzbildner opfert daher dem Goldfetisch seine Fleischeslust.“ Genußmittel, Fleischeslust? Angesichts solcher Aussichten opferte man den Fetisch gern. Zumal es zum Schatzbilden sowieso nicht reichte.
Andererseits gab auch niemand zu, Marx sowieso nicht verstanden zu haben. Einfacher war es da mit der Parole, wonach Reden Silber, Schweigen jedoch Gold sei. Verdammt energisch wurde angekämpft dagegen. Jawohl, kein vergoldeter Weihnachtsengel ging je über einen ostdeutschen Ladentisch.
Abgesehen davon handelten etwa mindestens 17 Millionen Deutsche sowieso meist im Sinne des Wortes. Bis sie eines Tages erfuhren, daß der „Goldene Westen“ auch nicht auf Schweigen begründet war. Als dann die Neubundesbürger 1989 an der Schwelle zu Weihnachten standen, überschritten sie die Grenze hin zu den Sternchen und Lichtlein, zum Goldrausch per Versandhauskatalog.
„Was hilft da Freiheit? Es ist nicht bequem. Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm.“ Leider vergaß ich, mir den Autor dieses Spruchs zu merken. Joschka Fischer vielleicht?
Auf der Strecke geblieben ist nunmehr endgültig die Sehnsucht aus Kindertagen. Statt dessen reifte die Erkenntnis, Gold als Wohlstandstinnef, und sei es auch der allerneueste Schrei, nicht zu brauchen. Nur die Kinder bettelten gestern: „Mami, Mami, kauf uns doch so einen niedlichen Engel. Zu Weihnachten, bitte.“
Wie gesagt, die Geschichte des Goldes ist voller Mißverständnisse.
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