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Museen der Versklavung

Jahrhundertelang lebten europäische Händler an der Küste von Ghana. Jetzt restauriert man ihre alten Burgen  ■ Aus Cape Coast Dominic Johnson

Von den Anhöhen, die hinter der Küstenstraße aufsteigen, schweift der Blick kilometerweit über reglose Palmenstrände. Halbnackte Fischer, keuchend und dampfig glänzend von Meerwasser und Schweiß, wälzen gegen Ende des heißen Nachmittags aus kleinen bunten Booten riesige Netze an Land. Das Zentrum der nahen Stadt Cape Coast, wo sie ihren Fang verkaufen, besteht aus malerischen Kolonialbauten in schmutzigen Pastellfarben, mit Balkonen, Terrassen und schattigen Veranden. Alle befinden sich in verschiedenen Stadien des Verfalls, der Übergang von Haus zu Müllhaufen ist fließend. Cape Coast an der Atlantikküste von Ghana ist ein lebendes Denkmal der europäischen Kolonisation, die hier früher begann als irgendwo sonst in Afrika.

Direkt am kleinen Hafen liegt mächtig und gedrungen Cape Coast Castle, der alte englische Gouverneurssitz. Cape Coast war zwischen 1874 und 1936 die Hauptstadt der englischen Kolonie „Goldküste“, die seit 1957 Ghana heißt und unabhängig ist. Die englische Präsenz in der Stadt geht noch einige Jahrhunderte weiter zurück. Das noch erhaltene weiße Fort war einer der großen alten Handelssitze. Eigentlich handelt es sich um eine richtige Raubritterburg mit Wachtürmen und Kanonen und einem beherrschenden Blick über das Meer.

Die Geschütze von Cape Coast Castle zeigen auf einen weißen Flecken am Horizont: St. George's Castle im acht Kilometer entfernten Fischerdorf Elmina. Jahrhundertelang waren die beiden Forts feindliche Nachbarn, Zeugen der Rivalität zwischen englischen und holländischen Händlern. Die Burg in Elmina ist größer und älter als die in Cape Coast und beherrscht einen der wenigen natürlichen Häfen der westafrikanischen Küste. Nebenan thront auf einem steilen Hügel Fort St. Jago, von dem aus die Holländer im 17. Jahrhundert die damals von den Portugiesen beherrschte Burg von Elmina angriffen und eroberten. Dazwischen drängt sich Elmina selbst – ein kleiner, quirliger Ort mit denselben verrotteten Fassaden wie Cape Coast. Die Geschichte dieser Burgen geht bis ins 15. Jahrhundert zurück. Die europäischen Mächte betrieben Dutzende solcher Festungen als Handelsdepots – nur einige wenige haben die Jahrhunderte überstanden. Berüchtigt wurden sie vor allem durch die Sklaverei: Tausende Afrikaner, von einheimischen Händlern an die Europäer verkauft, wurden in den Forts zwischengelagert und von dort nach Amerika exportiert. Um die Erinnerung daran wachzuhalten, werden die Burgen von Cape Coast und Elmina heute restauriert.

Im Innenhof von Elmina Castle liegen noch immer die beiden schweren Eisenkugeln, an die einst Sträflinge angekettet und bis zum Verdursten in der Sonne gelassen wurden. Winzige Gänge, die nur gebückt zu betreten sind, führen in finstere Verliese, wo Handelsgüter verstaut wurden – also auch Menschen. In diesen stockdunklen Löchern ohne Kanalisation und mit nur minimaler Ventilation waren manchmal Tausende von Sklaven wochenlang eingepfercht, bis sie durch die sogenannte „Tür ohne Wiederkehr“ auf den Strand geführt und verschifft wurden. Die Gemäuer sind aus soliden europäischen Ziegelsteinen gebaut, wie für die Ewigkeit. Es liegt förmlich Beklemmung in der schweren, kalt-feuchten Luft.

Die Verliese der weiblichen Sklaven gruppieren sich um einen kleinen Hof, auf den die Insassen regelmäßig zwecks Lüftung geführt wurden – und für noch einen anderen Zweck: „Oben auf dem Wandelgang im ersten Stock stand der Gouverneur“, erklärt die Führerin. „Er konnte hinuntergucken und suchte sich Frauen aus, die zu ihm hinauf durften, um mit ihm zu schlafen. Wenn die Frau schwanger wurde, durfte sie bleiben und wurde nicht verschifft.“ Vom Hof führt noch heute eine steile Treppe zu einer Falltür, aus der man direkt in die einstigen Privatgemächer des Gouverneurs gelangt. Das halbrunde Schlafzimmer ist licht und geräumig, mit Blick aufs Meer.

All dies wird der Öffentlichkeit mit Liebe zum Detail vorgeführt. Die Außenmauern sind frisch verputzt. Innen wird Holz- und Ziegelwerk erneuert. Kleine Schilder wie „Zelle“ und „Refektorium“ oder nachgemalte Totenköpfe an den Türeingängen erklären die Raumnutzung. Aus der alten verwitterten Burg soll eine moderne Sehenswürdigkeit werden.

„Seit 1993 sind wir mit den Renovierungsarbeiten beschäftigt“, erklärt Museumsmitarbeiter Dr. Duah. „Es wird ein Museum geben und eine Schule für Baukonservierung. Einige der größeren Hallen sollen zu Konferenzräumen umgestaltet werden. In Fort St. Jago soll ein Gästehaus entstehen.“ Die Gesamtarbeiten werden auf 5,6 Millionen US-Dollar veranschlagt, die zumeist von diversen US-Instituten spendiert werden sowie vom US-Entwicklungshilfsdienst USAID, dem UNO-Entwicklungsprogramm UNDP und dem Ölmulti Shell. „Ausländische Berater helfen mit Materialien und erklären Details der Restaurierung“, sagt Dr. Duah.

Die Besucher der beiden Burgen sind in der Mehrzahl junge US- Amerikaner von der Zivildienstorganisation „Peace Corps“, die auf diese Weise ein Stück US-Geschichte erfahren sollen. Sie hören sich die Vorführungen betreten schweigend an. Still drückt der junge Weiße die Hand seiner schwarzen Freundin, als die mörderische Enge in den Verliesen beschrieben wird. Die einheimischen Besucher hingegen reden und stellen Fragen. Einer ist ganz hingerissen, als er in einem Führer seinen alten Schullehrer wiedererkennt.

Elmina ist noch nicht fertig restauriert. In Cape Coast Castle ist schon der gewünschte Endzustand zu erkennen: Es sind weniger Räume zu sehen, dafür werden die Besucher in einen verdunkelten Raum geführt, um einen Videofilm zu sehen. Das US-produzierte Werk namens „Crossroads Of People“ ist ein Monument der Geschichtsklitterung.

Die ersten 30 Minuten des 45minütigen Films bestehen aus nachgestellten Szenen idyllischen vorkolonialen Buschlebens gutmütiger Afrikaner. Sie tanzen, sie loben die Götter, sie beschneiden ihre Kinder, sie brauen Palmwein. „Möge volle Harmonie unter uns walten“, erklärt der Kommentar im Off und preist den „ewigen triumphierenden Gemeinschaftsgeist unserer Jugend“. Zu Gruppentänzen heißt es: „Unsere spielerischen Mädchen lernten die Lebenskunst in Harmonie miteinander, wie auch die jungen Männer im Wettkampfspiel die Verteidigung unseres Landes vorbereiteten.“

Danach bricht abrupt die Sklaverei herein. „Dunkelheit fiel über das Land. Nachbar wandte sich gegen Nachbar, aufgestachelt von den Europäern.“ Das Elend ist jedoch nur kurz. Bald verdrängen heroische Bilder US-amerikanischer schwarzer Bürgerrechtler und ghanaischer Nationalisten die düsteren Szenen. Martin Luther King folgt auf Ghanas Unabhängigkeitsheld Kwame Nkrumah, und zum Schluß rückt natürlich Ghanas gegenwärtiger Staatschef Jerry Rawlings ins Bild.

Für US-Filme mag es günstig erscheinen, gute, traditionsbewußte „Afrikaner“ neben böse, versklavende „Europäer“ zu stellen und am Schluß siegreich kämpfende „Amerikaner“ ins Bild zu rücken. Mit der tatsächlichen Geschichte hat das wenig zu tun.

Die Intention der US-ghanaischen Partnerschaft ist offensichtlich eine Art politisch korrekte Wiedergutmachung – Begleitprogramm für die Bemühungen von Präsident Rawlings, Ghana zum privilegierten Partner der USA in Westafrika zu gestalten. Auf seiner USA-Reise während der UNO- Generalversammlung offerierte Rawlings allen US-Schwarzen die ghanaische Staatsbürgerschaft, als sei Ghana die Heimat aller Sklavenabkömmlinge. Kaum ein Land der Region bietet sich so inbrünstig ausländischen Investoren an – und anderen Interessenten aus den USA: In Cape Coast fahren Adventisten in glitzernden Geländewagen herum, die „Kirche der Heiligen der Letzten Tage“ hat ein neues Gebetshaus, und am Strand baut gerade die „Pentecostal Church“. Taxen fahren vorbei mit Aufklebern wie „Peace In Jesus“ und der US-Fahne.

Gelingen kann dies nur, weil die Jahrhunderte christlicher Präsenz ohnehin eine tiefe Religiosität hinterlassen haben. Aus jedem Radio ertönt Gospel-Musik. Zum Friseur geht man in den „God Is Able Saloon“, Schuhe bekommt man bei „Ave Maria“, und zum Imbiß lädt die „God First Chop Bar“. Für spirituelle Bedürfnisse im Alltag bietet sich an der Schnellstraße die „God's Power Ministry“ an. Da gibt es „dienstags Erlösung, mittwochs Stoßgebet“.

Den zentralen Platz von Cape Coast, über dem Hafen und direkt neben der Burg, beherrschen zwei leuchtend weiße Kirchenbauten aus dem 19. Jahrhundert, Horte der beiden Hauptvarianten des englischen Protestantismus – methodistisch und anglikanisch. Die anglikanische Christ Church Cathedral sieht einer viktorianischen englischen Dorfkirche zum Verwechseln ähnlich: Neugotische Säulen und Fenster, abgegriffene Gebetbücher, eifrige stille Dekane, an den Wänden des Seitenportals Gedenktafeln für verblichene Geistliche und ihre früh verstorbenen Töchter aus Yorkshire oder Norfolk.

Es ist Wochenende und daher Trauer- und Gebetszeit. In traditioneller Kleidung drängen sich Menschentrauben aus der Christ Church Cathedral: Frauen in bunten Gewändern und Kopftüchern, Männer in Togas, die den halben Oberkörper freilassen. Dazwischen Reihen von Ministranten in Rot und Weiß. „Jeden Samstag gibt es hier eine Trauerfeier“, erklärt die verhutzelte alte Grace Naomi, die ihre entfernt europäischen Gesichtszüge einem schottischen Urgroßvater zuschreibt. Sie gehört zu den Wochenend-Dauergästen hier, „obwohl ich eigentlich Methodistin bin und immer da drüben in die andere Kirche gehe“. Aber wenn getrauert und hinterher gespeist wird, sind alle dabei. „Da ist es immer voll. Die Leute kommen von weit her.“

Überall an Laternenpfählen, „Anschlagbrettern und Häuserwänden hängen die großen schwarz umrandeten Traueranzeigen diversen Datums, auf denen der oder die Tote samt Kindern, Enkeln, Urenkeln sowie einer Latte von Haupt- und Nebentrauernden gepriesen und alle Welt zum samstäglichen Mittrauern eingeladen wird. Cape Coast lebt im Rhythmus des Todes und der Vergangenheit.

Die afrikanische Tradition hat sich längst die europäische Religion einverleibt. Nun wird in den Burgen afrikanische Geschichte als Luxusartikel vermarktet. Vor der Kirche verkaufen Kinder Apfelsinen zu je fünf Pfennig – der Eintritt ins Cape Coast Castle mit seiner Videoshow, wo sich die weißen Touristen drängen, kostet soviel wie hundert Apfelsinen.

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