: „Aber er hat die Tür einmal aufgemacht“
■ Ein Gespräch mit dem Schauspieler, Dramatiker und jetzt auch Erzähler Klaus Pohl, rund um sein erstes Prosa-Buch
taz: Herr Pohl, können Sie es nachvollziehen, wenn man Sie als eine spannende Figur bezeichnet?
Klaus Pohl: Ja.
Ja?
Ja. Denn ich habe ja keine ganz gewöhnliche Biografie. Ich habe gerade mal acht Jahre Schule hinter mir, Volksschule in Bayern. Mit zwölf habe ich schon angefangen zu arbeiten, in einem Gemüseladen. Und dann habe ich mit 15, 16 erste Texte geschrieben, Liedertexte. In München habe ich bei Käfer gearbeitet und nebenbei Theater gespielt. Nach der Schauspielschule in Berlin bin ich gleich hier vom Hamburger Schauspielhaus engagiert worden, und jetzt bin ich vor drei Jahren nach New York gegangen. Das ist ja kein üblicher Weg.
Zum anderen sind Sie Schauspieler, Regisseur und dann auch noch Autor, das gibt es in Deutschland eigentlich gar nicht.
Nun, der Kroetz macht das auch. Für mich ist das aber tatsächlich ein Problem in Deutschland, dieses fast kastenhafte, sture Auseinanderdividieren der Berufe. Die Tradition meines Berufes ist gar nicht so formal, so beamtlich beschaffen, wie es bei uns gehandhabt wird. Sie kommt viel mehr gerade auch aus einer kreativen Schmuddeligkeit. Dieses Abgecleante – der ist in dem Beruf und der in dem, und ein guter Autor kann ja nicht spielen –, das sind so Geschichten, die ihren deutlichsten Ausdruck in Figuren wie Botho Strauß finden, so in Richtung der bessere Studienrat, der darf dann auch dichten.
Wenn Sie das so erzählen, ist Ihr Schritt nach Amerika fast folgerichtig.
Da kennen die Leute diese Abgrenzungsdinge jedenfalls überhaupt nicht. David Mammet zum Beispiel, der inszeniert, macht Film, schreibt Erzählungen. Hier in Deutschland sagt man sogar, wenn die Leute fürs Theater schreiben, können sie nicht Prosa schreiben.
Im „Spiegel“ wurden Sie vor etwa einem Jahr als jemand porträtiert, der täglich mit seiner Aktentasche in die Bibliothek geht, um dort zu arbeiten. Ein wenig fühlt man sich daran erinnert, wenn man jetzt die „Wassermann-Papiere“ liest.
Ja? Nun ja, es ist ja wohl auch drin.
Könnte es sein, daß Sie letztlich froh sind, nicht so kleinbürgerlich leben zu müssen wie Ihre Hauptfigur Franz Wassermann?
Bestimmt. Ich sehe es ja an meinen Brüdern, der eine ist sogar Versicherungskaufmann, so wie meine Figur. In ihm steckt wirklich ein interessanter Künstler, der aber einfach nicht rausgekommen ist. Das fasziniert mich an ihm, wie er sich den Künstler in sich immer wieder verbietet. Er war nicht so frech und unverschämt wie ich zu sagen, das wird mein Leben. Er hat sich in die Normalität immer mehr hineinbauen lassen, so daß er jetzt in einem Normalitätsgefängnis sitzt.
Sollte jeder versuchen, Künstler zu sein?
Ich finde, es sollte vor allem keiner unterdrücken. Und es sollte auch keiner berechtigt sein, den Menschen ihre kreativen Anlagen zu verbieten.
Auf Seite 100 Ihres Buches steht der Satz „Tatort ist und bleibt der Kopf. Das Leben ist bloß die Kopie davon.“
Ja, die Frage, was wirklicher ist, die wirkliche Wirklichkeit oder die bloß ausgedachte, interessiert mich in dem Buch natürlich sehr. Und für den Wassermann bedeutet das hier konkret einen Ausweg aus seinem Dilemma. So wie die Deutschen den Satz hatten „Die Gedanken sind frei“, während sie keine Revolution gemacht haben. Man muß sich vorstellen, was für einem Druck der Franz Wassermann ausgesetzt ist. Er ist ja nicht so einfach konstruiert, wie er es eigentlich für die Situation, in der er lebt, sein müßte. Er ist verspielter, sensitiver, so einer hat mit sich mehr zu kämpfen als ein anderer.
Warum darf er denn nicht aus sich heraus?
Es gibt doch Stellen, in denen er toll aus sich rauskommt. Der ganze Italien-Trip, den ich beschreibe, der ist für ihn wirklich eine Sensation. Da ist er doch wirklich ausgebrochen. Bloß daß ihm dann alles, was er erfährt, vermittelt: Du mußt in deinem Gefängnis bleiben, sonst bist du in einem hohen Maße gefährdet. Aber er hat die Tür einmal aufgemacht.
Und dann gibt er sich auf Seite 102 den Befehl: „Wirklichkeit aushalten.“
Ja, da muß er zurück, sonst wäre es nicht der Franzl Wassermann. Ich find's schon klasse, daß er mal einen Ausbruch gemacht hat.
Sie werden aus Ihrem Buch im Hamburger Literaturhaus lesen. Paßt diese Figur in das prächtige hanseatische Ambiente?
Ja, ich finde, genau da gehört er rein. Das ist doch wie bei Gicometti mit seinen kleinen Figuren, die man dann in einen ganz großen Saal stellt. Es wird interessant werden, wie er mit seiner Schüchternheit in einer solchen Umgebung zurechtkommt.
Fragen: Dirk Knipphals
Klaus Pohl: Selbstmord in Madrid – Die Wassermann-Papiere, Rowohlt Verlag, Reinbek 1995; 158 S., 14,90 Mark.
Heute um 20 Uhr liest Klaus Pohl daraus im Literaturhaus.
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