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Feministische Basisforschung

■ Jutta Buchin, als FU-Bibliothekarin eigentlich eine Nichtwissenschaftlerin, wurde für ihre Dokumentation über Ärztinnen in der Kaiserzeit ausgezeichnet

In den heiligen Hallen der Wissenschaft wurde gestern eine Nichtwissenschaftlerin preisgekrönt. Jutta Buchin, die als Bibliothekarin des FU-Instituts für die Geschichte der Medizin zu den „sonstigen Dienstkräften“ gehört, erhielt für ihre „Grundlagenforschung“ über weibliche Ärzte in der Kaiserzeit den Margherita- von-Brentano-Preis. Der Zentrale Frauenrat der FU vergab die nach der verstorbenen radikaldemokratischen FU-Philosophin benannte Auszeichnung in Höhe von 20.000 Mark zum ersten Mal. „Sie haben Basisarbeit geleistet“, bescheinigte FU-Präsident Johann Gerlach der aufgeregten Bibliothekarin beim Festakt. Anders als die Damen und Herren WissenschaftlerInnen habe sie für ihre Dokumentation ihre Freizeit opfern müssen. „Die Beseelung, die dahinterstecken muß, kann ich nur erahnen.“

„Eine Sisyphusarbeit“ bescheinigte Buchins Vorgesetzter am Institut für die Geschichte der Medizin, Professor Rolf Winau, dem Werk der Freizeitforscherin. Die Bibliothekarin habe Dissertationen, Zeitschriften und Telefonbücher gewälzt, den Reichsmedizinalkalender durchgearbeitet und Standesämter angeschrieben. Auf diese Weise habe sie Dossiers von 877 Ärztinnen erstellt, ein Viertel von ihnen jüdischer Herkunft, die bis 1918 in Deutschland approbiert waren. Diese Zulassung zu erlangen sei äußerst schwierig gewesen: „Sie mußten einen gymnasialen Abschluß vorweisen, obwohl die Gymnasien reine Jungenschulen waren.“

So gesehen, hat sich bis heute viel geändert. Oder doch nicht? Mit dem Argument, sie sei keine Forscherin, habe die Uni-Verwaltung Buchin eine Dienstreise verweigert, berichtete ihr Chef. Schließlich sei ihr denn doch ein Sonderurlaub zur Fortbildung gewährt worden. Aber fast zeitgleich mit der Nachricht über die Preisverleihung habe die Verwaltung ihr mit gerichtlichen Schritten gedroht. Sie habe damals den Tagessatz für Wissenschaftler in Anspruch genommen, der ihr nicht zustehe.

In gewisser Weise, ergänzte hier Professorin Renate Rott vom Zentralen Frauenrat, sei der Preis ein „symbolischer Dank“ für die „Schattenarbeit“ der weiblichen Dienstkräfte. Die als Reformuniversität angetretene FU habe mit 75 Prozent weiblichen Dienstkräften an der Basis und 4 Prozent Professorinnen an der Spitze eine „geradezu idealtypische Pyramide“. Die Professorin erinnerte daran, daß auch und gerade die Aufklärer und Humanisten das Ihrige getan hatten, um die Frauen aus der Wissenschaft auszuschließen. Ein Zeitgenosse Humboldts, der Arzt Ph. Fr. Walther, habe im Jahre 1808 die Unterordnung der Frau aus dem Geschlechtsakt hergeleitet: „Die beyden Geschlechter verhalten sich untereinander wie Allgemeines und Besonderes. Das eine ist das Schaffende, wahrhaft Erzeugende, Positive, das andere ist das lediglich Empfangende, Negative, und der ganze Zeugungsprozeß ist nur eine Vernichtung aller Negativität des Weiblichen durch die positive belebende Kraft des Männlichen.“ Ute Scheub

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