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Vom Ende des Gottes Tenno

Vor 50 Jahren widerrief Kaiser Hirohito seine Göttlichkeit – oder etwa nicht?  ■ Von Chikako Yamamoto und Georg Blume

Nur einmal im Jahr tritt der Tenno vor sein Volk. Aus diesem Anlaß strömten gestern wie an jedem 2. Januar Tausende Japaner in den Vorhof des Tokioter Kaiserpalastes, um die Neujahrswünsche des Tenno entgegenzunehmen. Hinter einer dicken Glasscheibe zitierte Kaiser Akihito ein paar selbstgedichtete Verse, bis die Kaisertreuen den Sonnenbanner schwenkten. Es folgte eine kurze, nicht zu tiefe Verneigung der versammelten Kaiserfamilie und der Abtritt. Heute tragen alle Zeitungen auf der Titelseite das Bild des Kaisers, der laut der Friedensverfassung von 1946 „Symbol des Volkes“ ist.

Seither erschien die Rolle des Kaisers selten so unumstritten wie heute. Nichts politisch oder moralisch Anstößiges scheint von dem tausendjährigen Herrscherhaus mehr auszugehen, seit Kriegskaiser Hirohito vor sieben Jahren begraben wurde. Zudem war 1995 für den Kaiserhof ein erfolgreiches Jahr: Kaiser Akihito und Kaiserin Michiko ernteten durch ihre demonstrative Solidarität mit den Erdbebenopfern von Kobe und den Atombombenopfern im 50. Jahr nach Hiroshima einhelligen Applaus. Daneben haben sich vor allem die bürgerlich eingeheirateten Frauen am Kaiserhof in den Medien einen Madonnenstatus erobert, der an die Diana-Euphorie in Europa erinnert.

Das allgemeine Wohlwollen rund um den streng bewachten Palast in der Mitte Tokios mag erklären, daß an diesem Neujahr der 50. Jahrestag, ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte des Kaiserreichs, unbemerkt verstrich. Kaum ein Japaner erinnert sich gerne daran, daß der Inhaber des Chrysanthementhron der Welt vor nur 50 Jahren Angst und Schrecken einflößte. Damals verehrten ihn die Japaner als Gottkaiser und hatten in seinen Namen einen der blutigsten und verbrecherischsten Kriege dieses Jahrhunderts geführt. Am Neujahrstag des Jahres 1946 verkündete Kaiser Hirohito die Umkehr: „Der Kaiser ist keineswegs göttlich, das japanische Volk ist über die anderen Völker nicht erhaben; es ist eine eitle Lehre, daß Japan berufen sei, die Welt zu beherrschen.“

Wahrung der Kontinuität

Damit war in einem Satz gesagt, was im Jahr 1946 auf Befehl der US-amerikanischen Besatzungsmacht den Kern der kaiserlichen Botschaft ausmachen sollte: Hirohito war ein Mensch wie alle anderen und kein irdischer Gott, als den ihn die Japaner mit beispiellosen Fanatismus im Krieg verehrt hatten. Erst von dem Tag an, da der Kaiser seiner religiösen und ideologischen Herrscherrolle entsagte, konnte in Japan die Demokratie beginnen. „Hirohito ist durch seine Erklärung einer der wichtigsten Reformer der japanischen Geschichte geworden,“ jubelte 1946 die Neujahrsausgabe der New York Times. Doch die Geschichte war komplizierter.

Viele Japaner wissen bis heute nicht, daß Hirohito den Sinn seiner Erklärung vom 1. Januar 1946 selbst zurechtrückte: „Die Frage der Göttlichkeit war sekundär“, sagte Hirohito auf einer Pressekonferenz im Jahr 1977. „Das erste Ziel dieser Erklärung war die Betonung der fünf Gebote von Kaiser Meiji.“ Wer daraufhin den gesamten Wortlaut der Kaiserrede von 1946 noch einmal nachlas, konnte feststellen, daß Hirohito seine Rede tatsächlich unter das Zeichen der Kontinuitätswahrung zu seinem Vorgänger und Gottkaiser Meiji gestellt hatte.

Alte Rituale

„Indem Hirohito auf den alten kaiserlichen Prinzipien seiner Vorgänger beharrte, verwässerte er die (von der Besatzungsmacht auferlegte) Botschaft, daß seine Beziehung zum Volk nicht mehr auf einer Gottesverehrung basiert“, schreibt der US-Historiker Herbert P. Bix. Sein japanischer Kollege Daikichi Irokawa stimmt zu: „Nur die Medien haben die Tenno- Erklärung anschließend als ,Menschlichkeitserklärung‘ bezeichnet. In Wirklichkeit ist das eine historische Illusion.“

Sucht man für diese These nach Belegen, fällt die im Vergleich zum Westen beispiellose Distanz der Öffentlichekit zum Kaiserhof auf. Und weniger in der Verfassung als in den alltäglichen Ritualen läßt sich die Autorität des Tennos erkennen: Geht der Kaiser auf Reisen, sorgen öffentliche Angestellte dafür, daß niemand aus höheren Etagen aus dem Fenster guckt. Einfache Bürger haben den Monarchen von unten zu betrachten. Genauso verfährt die Rangordnung im Parlament: Dort thront der Kaiser über allen anderen. „Mit jedem dieser Rituale wird die Autorität des Tennos erhöht“, bemerkt der Verfassungsexperte Koichi Yokota. Es entstehe der Eindruck, daß der Kaiser der höchste Souverän im Staat sei, obwohl die Verfassung diesen Rang ausdrücklich dem Premier einräume.

Tenno Akihito, Nachfolger Hirohitos, widerspricht solchen Eindrücken nie ausdrücklich: „Mit dem Blick auf die lange Geschichte der Kaiserfamilie glaube ich, daß es die Pflicht unserer Familie ist, die Erwartungen des Volkes zu erfüllen“, sagte Akihito auf seiner letzten Pressekonferenz Ende Dezember. Solche Definitionen der modernen Kaiserrolle bergen ganz offensichtlich gezielte Ungenauigkeiten. Sie beharren auf einer Tradition, die im Zweiten Weltkrieg auf fatale Art und Weise ausgebeutet wurde und sich nie ausdrücklich den demokratischen und weltlichen Prinzipien unterordnete, denen der Tenno heute laut der Verfassung zu gehorchen hat.

Fühlt sich der Kaiser am Ende also doch zu Höherem bestimmt? Hat es Methode, wenn er seine Verwandtschaft mit der Sönnengöttin Amaterasu bis heute nicht bestritten hat und sie mit regelmäßigen Besuchen im Schrein der heiligen Schöpferin Japans pflegt? Hier liegt seit 1945 die Hauptbeschwerde der wenigen japanischen Kaiserkritiker: Noch immer ist der Tenno Oberhaupt des Shintoismus, der bis 1945 Staatsreligion war. Als solches führt er – in offiziell privater Funktion – die gleichen Handlungen wie seine Vorgänger durch, die ihn, dem Glauben nach, zum Gott machen.

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