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Die Jasager

■ Warum Improvisieren eine Lebensphilosophie und Originalität nicht alles ist: über Gorilla-Theater, eine Abwandlung von Theatersport

Wir befinden uns inmitten einer drittklassigen Gameshow. Da ist ein herrlich unbegabter Moderator, der sonnenbebrillt und mit schlechtsitzender Perücke die Stimmung einheizt. Da sind drei erregte Kandidaten, die sich im Improvisationswettstreit um den Hauptgewinn schlagen. Und da ist das Publikum, das entscheidet, was gespielt wird. „Geben Sie uns einen Titel für eine Science-fiction- Geschichte!“ Ohne zu zögern ruft es aus der zweiten Reihe: „Der Mann der Frau Uschi!“ Sekunden später hat sich die Bühne in eine apokalyptische Landschaft verwandelt. Eine surreale Gestalt mit Taucherbrille schleppt sich durch die Ruinen der untergegangenen Stadt Potsdam: ein Mann, dessen Frau zweifelsohne Uschi heißt.

Wer logisch nachvollziehbare Handlungsstränge oder Witz mit Unterboden sucht, ist bei der Drei- Personen-Improvisationsshow Gorilla-Theater falsch. Wer allerdings abstruse Komik und überraschende Schlagfertigkeit liebt, wird von Beate Fischer, Christian Schramm und Felix Theissen begeistert sein. Mit der Unterstützung von Norbert Riechmann am Synthesizer und wenigen Requisiten improvisieren sie sich quer durch sämtliche Genres von der griechischen Tragödie bis zum pädagogischen Märchenballett. Was dabei herauskommt, ist naturgemäß nicht immer genial.

Aber das Schöne daran: An keinem Punkt der jeweiligen Geschichte wissen die Zuschauer, welche Wendung die Handlung nehmen wird. Und die Schauspieler auch nicht. So kann „Der Ritt über den Bodensee“ plötzlich zur tragischen Lebensbeichte eines ehemaligen DDR-Staatssekretärs mutieren oder das Kriminalstück zum Werbespot. Am Ende jeder Szene darf das Publikum dann ted- artig richten: Top oder Flop? Oder richtiger: Banane oder Gurke? Der Kandidat, der zum Schluß die meisten Bananen gesammelt hat, ist Sieger des Abends.

Gorilla-Theater ist eine Abwandlung von Theatersport, ein Improvisationswettkampf zweier Mannschaften. Beide Formen wurden von dem englischen Schauspiellehrer Keith Johnstone entwickelt, der dem Stegreifspiel in den späten Fünfzigern zu einem theoretischen Grundgerüst verhalf. Ursprünglich ließ er improvisieren, um Blockaden beim Spielen zu überwinden. Das war jedoch so erfolgreich, daß er die Improvisation zu einer eigenen Theaterform erklärte, die auch gesetzlich geschützt ist. Wer heute Theater à la Johnstone spielen möchte, muß eine Lizenz erwerben und drei Prozent seiner Einnahmen abführen. Im Gegenzug erhält man regelmäßig Johnstones Newsletters mit neuen Anregungen.

Johnstone geht davon aus, daß jeder das kreative Potential zur Improvisation in sich trägt. Doch die meisten Menschen hätten im Lauf ihres Lebens die Strategie entwickelt, „nein“ zu sagen, um sich vor Risiken und Nebenwirkungen zu schützen. Auf das Spiel übertragen, heißt das, daß ein Schauspieler beim Improvisieren dazu neigt, sein Gegenüber zu „blockieren“, sagt Felix Theissen: „Es kommt zum Beispiel jemand auf die Bühne und sagt: ,Sind Sie nicht Herr Schmidt?‘ Ein Anfänger antwortet mit Nein, um Zeit zu gewinnen. Damit ist die Entwicklung der Handlung aber im Keim erstickt. Wichtig ist, daß man lernt, ja zu sagen und ein Angebot auch dann zu akzeptieren, wenn man glaubt, eine bessere Idee zu haben.“ Ein guter Improvisationsspieler muß aufhören, das Geschehen kontrollieren zu wollen, indem er versucht, vorauszudenken. Er soll – so paradox es klingt – nicht versuchen, originell zu sein, sondern seiner Intuition vertrauen. Denn das Naheliegende ist nicht nur schneller, sondern oft auch witziger als eine vermeintlich geistreiche Idee.

Die drei vom Gorilla-Theater sind alle um die Dreißig und haben eine traditionelle Schauspielausbildung hinter sich: Beate Fischer kommt von der Hans-Otto-Schule in Leipzig, war in Magdeburg engagiert und spielte in Berlin schon bei der Theaterproduktion Strahl. Felix Theissen wurde in Wien ausgebildet und ist über Osnabrück und Greifswald zunächst ans Hebbel-Theater gekommen, Christian Schramm hat ebenfalls in Wien und in London gelernt und war in Tübingen engagiert. Alle drei spielen auch in der Theatersportgruppe Harlekin. Der Reiz des Improvisationsspiels liegt für sie in der Interaktion mit den Zuschauern – wenn die nicht mitspielen, wird die Vorstellung schwierig. „Außerdem sind Johnstones Techniken auch für das klassische Theaterspiel hilfreich“, sagt Schramm. „Man lernt, wirklich mit seinen Partnern zusammen zu spielen, statt sich am Text festzuklammern.“ Und man lernt noch mehr beim Improvisieren. Denn wie Johnstone sagt, entwickelt sich daraus „das Geschehen, das wir im Leben nie zulassen würden“. Tanja Hamilton

Gorilla-Theater, bis 18. 2., Do. bis So., 20.30 Uhr, Fliegendes Theater, Hasenheide 54, Kreuzberg

Theatersport mit der Truppe Harlekin ab 4. 3., jeden Montag, Chamäleon Varieté, Rosenthaler Straße 40/41, Mitte

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