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■ Das Bundesverfassungsgericht gibt GasWeltfremde Richter

Von 100 Autofahrern verstoßen 100 ständig gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO). Vor allem die Geschwindigkeitslimits sind Makulatur. In der Stadt fährt kein Schwein Tempo 50. Und auch außerhalb werden die Verbotsschilder so akribisch beachtet wie die kirchliche Androhung satanischer Höllenqualen für den Fall des Ehebruchs.

Jetzt hat ausgerechnet das Bundesverfassungsgericht der StVO hohe Ehre zuteil werden lassen. Karlsruhe hat die Verfassungsbeschwerde des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) – für ein Tempolimit auf den Autobahnen und allgemein strengere Geschwindigkeitsvorschriften – als „nicht aussichtsreich“ abgeschmettert und nicht zur Verhandlung zugelassen. Das wundert nun wirklich niemanden. Interessant ist aber die Begründung. Die roten Roben sagen nicht, daß ein Tempolimit Sache der Verkehrspolitik und das Gericht deshalb unzuständig ist. Sie argumentieren verkehrspolitisch. Sie ziehen die verstaubte StVO von ganz unten aus der Schublade. Der Karlsruher (Aber-)Glaube, daß die alte Tante StVO genug für die Verkehrssicherheit tue, weil diese ja verlange, daß die Geschwindigkeit „der Verkehrssituation angepaßt“ sein muß, ist etwa so, als würde man wegen der Zehn Gebote auf weitere Gesetze verzichten. Der Verweis auf die StVO ist weltfremd und verlogen.

Das Karlsruher Zweitargument ist wenig besser: zurückgehende Unfallzahlen. Die beweisen angeblich, daß ein ausreichender Schutz schon vorhanden ist. Schade nur, daß sich die Realität nicht daran hält. Die Zahl von rund 10.000 Verkehrstoten jährlich ist nämlich seit vier Jahren zur festen Größe geworden, daß Potential von Gurtpflicht, Intensivmedizin und besserem Rettungsdienst ist ausgeschöpft. Und die 500.000 Verletzten jährlich weigern sich schon seit viel mehr Jahren, sich gefälligst zu reduzieren. So wird also weiter gerast, verstümmelt, gestorben.

Überhöhte Geschwindigkeit ist und bleibt Unfallursache Nummer 1. Die verniedlichend „Autos“ genannten Panzer und Rennmaschinen werden indes immer mehr und immer ungetümer. Heute fährt Papa mit Rammstangen und 150 PS zum Zigarettenholen. Kommt ihm dabei die Oma in die Quere, hat diese zwar die geballte Macht der StVO im Kreuz. Tatsächlich bleibt ihr als Knautschzone allein ihre Nase:

1,5 Zentimeter. Manfred Kriener

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