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Die Beratungsoffensive

Wissenswertes zum Winterschlußverkauf, Neues aus der Katzentherapie: Wieviel guter Tips bedarf der Mensch? Ein Selbstversuch vorm Fernseher  ■ Von Harry Nutt

Was machen, wenn einem die Betriebskostenerhöhung des Wohnungsvermieters spanisch vorkommt? Die Zeit eines Rechtsanwalts ist teuer, und die Mietervereine wollen, daß man erst Mitglied wird. Fernsehen indes kann kostenlos helfen, mit ein bißchen Glück zur betreffenden Frage zur rechten Zeit. Am Versuchstag (Dienstag, 23.1.) konnte man in Sachen Mietrecht zum Beispiel Herrn Meiser und seinen Gästen zuhören. „Hans Meiser“ (16 Uhr, RTL) zählt zur Gattung der Talkshow und versteht sich nicht als Mieterberatung. Er will nur Schicksale zeigen, nicht kurieren. Alltagsprobleme zwischen gesellschaftlichen Gruppen verhandelt die Talkshow am liebsten als Krieg. „Hilfe, mein Nachbar mobbt!“, oder „Der Fußpilz meines Kollegen bringt mich um.“

Zur gleichen Zeit sitzt Jürgen „Fliege“ (16 Uhr, ARD) seinen Gästen zu Füßen, um mit ihnen über die Mysterien des Steuerrechts zu parlieren: „Und plötzlich bist du ein Verbrecher“, lautet sein schauriges Tagesmotto. Das Schicksal von Steuerbürger Graf läßt niemanden kalt. Weil Peter G. verhindert ist, müssen wir mit Hochspringer Thränhardt vorliebnehmen, der seinen Staatsbürgerpflichten inzwischen nachgekommen ist und deshalb ohne schlechtes Gewissen kundtun kann, daß es jeden erwischen kann. Das ist die Botschaft des Seelsorgefernsehens: Alles geht alle an. Beratungsbedarf in der Endlosschleife. Auch „Juliane & Andrea“ (15.03 Uhr, ARD) bieten für jeden etwas. Das Schicksal privater Schuldner ist seit geraumer Zeit ein Hit in den unterschiedlichen Sendeformaten. Wie viele Live-Sendungen trauen „Juliane & Andrea“ ihrem Vorhaben nicht recht und überfrachten ihre Runde restlos mit Nebenaspekten. Ohne solche Problemfolklore kommt an diesem Nachmittag kaum eine der Informationssendungen aus.

Doch es gibt auch harte Fakten: 1995 pumpten sich die deutschen Privathaushalte rund 366 Milliarden Mark. 1,5 Millionen Haushalte, so schätzt man, sind derzeit überschuldet. Die große Zahl legitimiert die Wahl des Themas. An dieser Stelle wird gern die Figur des Experten eingeführt. Er spricht immer für eine Profession oder Institution und hütet sich vor Einzelberatung. Der Experte rät: Lassen Sie sich vor Ort von einem Professionellen beraten.

Einem reinen Beratungsformat begegnen wir in „ServiceZeit“ (16 Uhr, NDR), das sich abwechselnd mit Gesundheit, Freizeit, Familie etc. beschäftigt. Heute weiß Hubertus T. vom Verband des deutschen Einzelhandels Wissenswertes über das Reklamationsrecht im Winterschlußverkauf mitzuteilen: Auch im Preis reduzierte Ware muß in einwandfreiem Zustand verkauft werden. Mangelware hingegen sollte sichtbar als solche gekennzeichnet sein.

Um es einmal so zu sagen: Fernsehexperten wie Herr T. teilen häufig Wissen mit, über das der Fernsehzuschauer mit ein wenig gesundem Menschenverstand bereits verfügt. Vermutlich deshalb legt das Beratungsgenre Wert auf journalistische Originalität. Ein ironischer Beitrag aus einem Soltauer Altenheim will zeigen, daß Heimleben nicht zwangsläufig einem häufig erzählten Horrorszenario entsprechen muß. Zur Erheiterung trägt in diesem Fall ein etwas senil wirkender Heimleiter bei. Der Ausschnitt wäre auch bei „extra drei“ durch die Abnahme gegangen, wo bisweilen ebenfalls gute Tips über den Sender gehen. „ServiceZeit“ gibt zudem Hinweise auf Katzentherapien und rezensiert Pferdebücher für Kinder. Man muß – das vielleicht als Zwischenergebnis – schon recht ausdauernd Beratungsfernsehen konsumieren, um an brauchbare Informationen zu gelangen.

Das gilt ausdrücklich nicht für die klassischen Sendungen wie den „ARD-Ratgeber Gesundheit“. Journalistisch eher konservativ, zeichnet sich das Magazin aus den verschiedenen ARD-Anstalten durch versierte Fachredaktionen aus, die neue Entwicklungen umgehend aufgreifen und kompetent darüber berichten. Behandlungsalternativen werden vorgestellt, und die Redaktionen scheinen frei von ideologischen Präferenzen. Mit wissenschaftlichem Anspruch werden leicht verständlich Schulmedizin und Homöopathie gleichermaßen kritisch betrachtet. Auffällig sind in diesem Zusammenhang Miniformate wie die „Telepraxis“ (8 Uhr im Deutsche Welle TV auf B 1) oder das „ZDF-info Gesundheit“ (10.45 Uhr, ZDF). Diese kurzen Sendeformate vermitteln brauchbare Informationen, zum Beispiel über „Häusliche Pflege“. Wer plötzlich damit konfrontiert ist, wird für manchen Hinweis dankbar sein.

Am Ende der Beratungsstrecke wählen wir noch „Vorwahl Potsdam“ (19 Uhr, ORB), eine Anrufsendung, die sich diesmal dem Arbeitsrecht widmet. Anrufsendungen erfreuen sich sowohl im Rundfunk als auch im Fernsehen immer größerer Beliebtheit und leben nicht zuletzt von der Authentizität des Telefonklingelns. Die Experten halten sich auch hier bedeckt, allgemeines Themenwissen kann jedoch vermittelt werden. Nicht unerwähnt bleiben soll „fit + mobil“ (12.30 Uhr, WDR), wo ein Golfkurs für Fortgeschrittene abgehalten wird. „Knackpunkt“ (15 Uhr, MDR) bietet wie „ServiceZeit“ wochentags ebenfalls die ganze Beratungspalette. Ein neuer Tag klärt andere Fragen zum alltäglichen Überleben.

Die Beratungsoffensive im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (und dort überwiegend in den Dritten) gibt nicht bloß Tips; die Ratgeber erzählen eine Metageschichte über die Komplexität der Welt, oder, um es mit Ulrich Beck zu sagen: über die Reflexivität der Moderne. Wo das Privatfernsehen mit Spielshows und Schmuddelfilmchen das Es stimuliert, meldet sich im Nachmittagsratgeber das Über-Ich zu Wort: „Helfen Sie Lärm vermeiden, Autotüren müssen nicht knallen.“ Selbst beim Autotest vergeht die Lust am Fahren.

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