piwik no script img

Hamlet x 3, Ophelia x 4

■ Susanne Linkes „Hamletszenen“ – Premiere der Uraufführung im Theater am Goetheplatz / Aktualität entdeckt: Hamlet als Opfer der Gesellschaft.

Fast könnte man meinen, der Grübler und Skeptiker Hamlet taugt zur neuen Kultfigur. Ist er doch der Protagonist in Susanne Linkes neuem Tanztheater „Hamletszenen“, das gerade im Bremer Theater seine Uraufführung erlebte. Nachdem Susanne Linke mit „Ruhrort“, „Märkischer Landschaft“, „Also Egmont bitte“ und ihrem Soloabend „Dialog I und II“ ältere Produktionen wieder aufgefrischt hat, folgt nun eine Premiere. In Kooperation mit dem Berliner Hebbel-Theater zeigt sie in Bremen zum ersten Mal eine Uraufführung und zum zweiten Mal in ihrem Tänzerinnen- und Choreographinnenleben eine Literaturfigur.

Hamlet sucht die Wahrheit, damit auch sich: dies ist als eine ewig gültige menschliche Situation fast eine Binsenweisheit. Heiner Müller hat Shakespeares Tragödie 1977 für seine rätselhafte „Hamletmaschine“ genutzt, um durch die Aneinanderreihung von Phantasmagorien und Schreckensszenen autobiographisch gemeinte Fragen an das Nachkriegsdeutschland zu stellen. Der Komponist Wolfgang Rihm fühlte sich von Müllers Text angezogen, weil er nicht eine Geschichte erzählte, sondern extreme Zustände vorgab: seine Oper wurde 1987 uraufgeführt. Und neuerdings hat kein geringerer als Peter Brook in Paris ebenfalls eine Hamletversion erarbeitet, in der es nicht um das Familiendrama und um die Rache geht, sondern um die Möglichkeiten des Theaters.

In ihren „Hamletszenen“ erzählt Susanne Linke stattdessen nun wieder die Geschichte, deutlich für jede und jeden, auch ohne den berühmten Stoff zu kennen. Die Vorgeschichte, Claudius' Mord am König und seine Heirat mit der Witwe Gertrude, wird als ästhetisch ungemein schöner Schattenriß vor tiefrotem Hintergrund gespielt. Aber dann geht es natürlich um viel mehr als um die tänzerische Bebilderung der Geschichte. Auch wenn dieser Punkt die einzige Gefahr des Abends ist. Mit der Einführung von vier Ophelien und drei Hamlets – was übrigens Wolfgang Rihm auch schon so gestaltet hat – versucht sie, den ambivalenten Gefühlen der beiden auf die Spur zu kommen und findet dafür eine Fülle von unterschiedlichen Bewegungsmotiven und Körpergesten: schnell und rhythmisch, weich und fließend, aggressiv nach außen gewendet und horchend nach innen gekehrt, bewegt und erstarrt, hochvirtuos und bewegungsunfähig, tanzschauspielerisch von allen auf einem hohen Niveau ausgeführt. Ihren traumwandlerisch sicheren Sinn für das timing der Rhythmuswechsel, auch der Wechsel zwischen Individuum und Gruppe koppelt die Choreographin mit durchweg aufregenden Raumkonzeptionen und sensibler Arbeit mit den Wirkungen von Schatten. Die spartanische Ausstattung von Thomas Richter-Forgach gibt ihr dazu alle Möglichkeiten.

Was Susanne Linke nicht will, ist Hamlet interpretieren, wie Hans Kresnik das beispielweise mit der ihm eigenen Obsession gemacht hätte. Sie zeigt lediglich die großen Szenen der Geschichte selbst und stellt durch die Körperlichkeit der Gruppen und Individuen die Aktualität her, die sie in dem Stück sieht: das Zerbrechen Hamlets an und in dieser Gesellschaft.

Sie zeigt das lockere Partyleben am Hof, erreicht nicht selten eine Vielschichtigkeit von Ebenen etwa in dem Sinn, daß das Königspaar ganz realistisch seinen körperlichen Freuden nachgeht und gleichzeitig die Hamlets und Ophelias – wieder in den Farben rot und schwarz – die Bühne wie in einem surrealistischen Traum durchziehen.

„Etwas ist faul im Staate Dänemark“, Oberflächlichkeit ist ein Massenphänomen geworden: Hamlets scheiternde Suche nach der Wahrheit ist an sich aktuell genug. Das einzige, was Susanne Linke noch hinzufügt, ist die Vereinnahmung durch die Medien. Stets laufen Fotografen durch die Szene, die jegliches Schamgefühl vermissen lassen, wenn sie beispielweise die weinend zusammenbrechende Ophelia vor die Linse nehmen. Sie fotografieren sogar das zerquetschte Hühnerei, das Hamlet wohl für seinen Monolog „Sein oder Nichtsein“ bedeutungsschwer vor sich hertrug und am Ende verzweifelt zerdrückt.

Ein ganz eigenes Denkmal wird Ophelia gesetzt. Sie stirbt zu den Klängen der großen Schlußarie der Dido von Henry Purcell, wobei deren insistierendes „Remember me“ sicher programmatisch zu verstehen ist: Wie Kassandra wurde Ophelia nicht gehört. Innerhalb der ansonsten kalten und künstlichen, sparsam eingesetzten synthetischen Musik von Ronald Steckel wird die archaisch wirkende Arie (1689 geschrieben) doppelt wichtig in ihrer Bedeutung als Requiem für Ophelia. Die geheimnisvollen Videoprojektionen von Nan Hoover – die Hände eines Mannes und einer Frau – geben dem Ganzen einen formalen Rahmen. Auch wenn die Gefahr reiner Bebilderung nicht immer gebannt werden konnte und sich manchmal die ästhetische Schönheit verselbständigt, war es doch ein großer, technisch großartig bewältigter Abend, der vom Publikum allerdings eher zurückhaltend angenommen wurde.

Ute Schalz-Laurenze

Weitere Vorstellungen von Susanne Linkes „Hamletszenen“: im Theater am Goetheplatz am 31. 1. und 3.2. jeweils um 19.30 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen