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„Das Spiel um Haider ist schal geworden“

Für Österreichs Dichter und Denker ist die Debatte um den Rechtspopulisten vorbei. Nachdem die Schreckensszenarien nicht eingetreten sind, wenden sie sich erleichtert der Realpolitik und ihren neuesten Stellungskriegen zu  ■ Von Kolja Mensing

Unter der kühlen Politikpragmatik schimmerte Erleichterung durch, als sieben österreicher Intellektuelle in einer Doppelausgabe der Wiener Stadtzeitung Falter (Nr. 51/52, 1996) den Ausgang der Nationalratswahlen kommentieren durften. Haider, der mit seinen 23 Prozent kaum noch Chancen auf eine Regierungsbeteiligung hat, kommt in den Statements jetzt nur noch am Rande vor. Mit seinem schlechten Abschneiden hatte niemand gerechnet, doch angesichts der fürs erste gebannten Gefahr eines Rechtsrucks in Österreichs Regierung scheinen die „sieben Hirne“ (Falter) sich einig, die Diskussion um den Chef der Freiheitlichen nicht wiederaufleben zu lassen. Merkwürdig: Die Denker, Dichter und Wissenschaftler waren in den Wochen vor der Nationalratswahl maßgeblich an einer lebhaften Diskussion um das Phänomen Haider beteiligt. Die Schriftsteller Franz Schuh und Robert Menasse („Schubumkehr“, Residenz Verlag), die Publizistin Isolde Charim – sie alle hatten sich warnend oder besorgt, provozierend oder nüchtern zur Gefahr einer „Dritten Republik“, einer Regierungsbeteiligung Haiders geäußert.

Und nun – gerade noch einmal um die praktische Konfrontation mit den theoretischen Szenarien herumgekommen – die neue Einigkeit der Apokalyptiker und Analytiker: die Diskussion innerhalb des intellektuellen Lagers nicht wieder aufbranden zu lassen und sich statt dessen der Realpolitik zu widmen. Vergessen die Frage, ob Haider nun ein Austrofaschist oder ein Nazi ist, ob Kritiker den Streit wagen oder die Berührung mit ihm scheuen sollten. Statt dessen krempeln sie in ihren Kaffeehäusern und Schreibstuben die Hemdsärmel hoch und verkünden lauthals den Rückzug auf praktische Fragen von ewiger Gültigkeit – wie zum Beispiel die „Reformfähigkeit der Sozialdemokratie“. Wortgewaltig wird da etwa die Erweiterung des steierischen Landtages von drei auf fünf Parteien als „Ende der Vormoderne“ gefeiert, so der Innsbrucker Politologe Anton Pelinka. Ende gut, alles gut?

Müßte nicht die Debatte gerade nach der Niederlage der Freiheitlichen – die im übrigen möglicherweise nur bis zu den nächsten Landtagswahlen als solche gefeiert werden kann – weitergehen? Müßten nicht gerade jetzt schlaue Hirne versuchen, das 23-Prozent- Phänomen zu verstehen? Haider liefert längst schon wieder neues Material: Während die österreichischen Denker noch am Wahlausgang herumlaborierten, ließ er Anfang Januar in einer Rede vor Veteranen der „Waffen-SS als Teil der Wehrmacht ... alle Ehre und Anerkennung zukommen“ – um dann gleich der ersten Welle der Empörung mit fadenscheinigen Dementis zu begegnen.

Rudolf Burger, Philosoph und Rektor der Wiener Hochschule für angewandte Kunst, hatte in Interviews und Kommentaren verlangt, Haider zu „relativieren“ und zu „lakonisieren“. Jetzt, nach der Wahl, ist Haider für ihn „eine ausgebrannte Rakete“. Fragt man ihn nach dem Lerneffekt aus der Haider-Diskussion im Herbst, sagt Burger, die Linke in Österreich müsse sich wieder ökonomischen Fragen zuwenden: „Sie muß wieder lernen, quantitativ zu denken. Arbeitslosigkeit und Sozialabbau sind drängende Fragen, die auf der Tagesordnung stehen. Da kann man nicht soviel Gedöns um einen Mann wie Haider machen.“ Dahinter verbirgt sich eine klassische marxistische Position: Die Philosophen überschütten die Welt mit Gedöns, es kömmt aber darauf an, sie zu verändern.

Schrille Töne

Die Diskussion um den Rechtspopulisten ist für Burger abgehakt: „Das Spiel mit Haider war am Anfang schrill und ist dann recht schnell schal geworden.“ Schrille Töne gab es tatsächlich – einige von ihnen haben durchaus zur Klärung beigetragen. Robert Menasse, Enfant terrible der Wiener Talkshow- und Kolumnenkultur hat mit seiner ironischen Analyse Haiders als „Aufklärer“ einen wichtigen Punkt getroffen: An einer Figur wie der des Rechtspopulisten sollen sich die Geister scheiden, sollen sich eigene Positionen klären. Daß Menasse mit seiner provokanten Äußerung mißverstanden wurde und Prügel bezog, gehört dazu.

Auch Falter-Chefredakteur Armin Turnher hat mit einer Satire in seinem Blatt für Unruhe gesorgt. Als sich die Stadtzeitung über die Auswanderungspläne von Elfriede Jelinek und anderen Künstlern lustig machte – der Falter bot Fluginformationen und dokumentierte (gefälschte) Einladungspostkarten aus dem Ausland für den Tag nach der Wahl – verschärfte sich der Ton auch innerhalb der Szene der linken Intellektuellen. Elfriede Jelinek fühlt sich nun von ihrer ehemals solidarischen linken Klientel verraten. Die Lust an öffentlichen Äußerungen ist ihr vergangen, vorerst straft sie Österreich mit Schweigen.

Turnher sieht durch die Diskussion um Haider eine Polarisierung zugespitzt, die sich schon im Streit um den Bundespräsidenten Waldheim angekündigt hatte: „Es gibt so etwas wie eine ,junge‘ und eine ,alte‘ Linke. Die ,Alten‘ – wie Peter Turrini oder Elfriede Jelinek – kommen aus dem Umfeld der inzwischen zerbrochenen KP. Ihnen bleibt jetzt nur noch ein trauriger Blick zurück, eine linke Nostalgie. Die ,Jungen‘, zum Beispiel Menasse, bemühen sich um Unvoreingenommenheit und Nüchternheit.“ Turnher ist wie Jelinek und Turrini ein 68er, zählt sich aber selbstredend zu den Junggebliebenen.

Kokette Demagogie

Während die Intellektuellen ihre Formationen ordnen, treibt Haider weiter sein eigenes Spiel, mit dem er der Kritik bisher immer um eine Länge voraus war. Mit seinen jüngsten SS-Statements zeigt sich der Chef der Freiheitlichen als schlüpfriger Provokateur: Eine infame Behauptung wird unter die Öffentlichkeit gebracht, doch bevor sich aus der Empörung eine ernstzunehmende Kritik entwickeln kann, hat Haider sich schon ein kleines bißchen distanziert, hat ein kleines bißchen relativiert – genug, um seinen Gegnern Angriffsflächen zu nehmen, zu wenig, um die getanen Äußerungen insgesamt zu revidieren.

Die Reaktion seiner Gegner ist dabei immer schon in Haiders Kalkül enthalten. Er schätzt den demokratischen Aufschrei im voraus ab und spielt mit ihm. Rudolf Burger hat dieses Prinzip erkannt, wenn er Haider einen „distanzierten Nazi“ nennt – die Schlußfolgerungen, daß diese subversive Strategie der Distanz fortwährende intellektuelle Aufmerksamkeit und Auseinandersetzung verlangt, zieht er nicht. Philosoph Burger und seine Kollegen von der Abt. „Hirn“ scheuen die Konfrontation mit diesem Prinzip koketter Demagogie und flüchten sich in die vermeintlich haiderlose Realpolitik. Österreichs Intellektuelle stehen einen Monat nach der Wahl vor der Frage, ob sie sich zu den hilflosen Politikern gesellen wollen, unter denen Stimmen laut werden, daß eine Million Haider-Wähler nicht „ausgegrenzt“ werden dürften – so ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel jüngst in einem Spiegel- Interview (Nr. 1, 96).

Österreich kann aber auch ohne einen Minister Haider haiderisiert werden. Ein wenig fortgesetztes „Gedöns“ kann da gar nicht schaden.

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