: Hoechst geht auf Entziehungskur
■ Chemieriese kündigt nach den Störfällen Werkschließungen und Modernisierungen an
Frankfurt/Main (taz) – Der Gigant bewegt sich. Anders als sein ignoranter Vorgänger Wolfgang Hilger will der neue Vorstandsvorsitzende der Hoechst AG, Jürgen Dormann, tatsächlich Konsequenzen aus den regelmäßig in Serie gehenden Störfällen ziehen. Als neue Maxime für den Konzern gab Dormann gestern auf einer Pressekonferenz fast aller Vorstandsmitglieder des Konzerns die „Vorsorge für Nachbarschaft und Umwelt“ und den Abschied von der Philosophie vom reinen „messen und regeln“ aus. Umweltschädliche Produktionsverfahren und Produkte sollen bei Hoechst demnächst „zurückgedrängt“ – und umweltfreundliche, zukunftsorientierte ausgebaut werden. Und Dormann ging noch einen Schritt weiter: Bei den Produktionsanlagen, bei denen eine Modernisierung aus technischen und/ oder ökonomischen Gründen als wenig sinnvoll erscheine, müsse auch über eine komplette Schließung nachgedacht werden.
Bis zum Sommer dieses Jahres kündigte Vorstandschef Jürgen Dormann die Untersuchung aller chemischen Stoffe bei der Hoechst AG im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt an. Im Rahmen eines „Aktionsprogrammes“ will Dormann die veraltete Meß- und Regeltechnik im Werk Griesheim modernisieren. 150 Millionen Mark habe der Vorstand dafür bereitgestellt. Dormann: „Das geht an die Kernsubstanz des Unternehmens.“ Durch die bevorstehenden Schließungen von Werksteilen solle es „keinen Arbeitsplatzabbau in außergewöhnlicher Form“ geben.
Dormann gestand ein, daß die Ursache für den Störfall vom vergangenen Sonnabend nach wie vor „ungeklärt“ sei. Die Häufung von Störfällen gerade im Werk Griesheim und im Stammwerk in Höchst, so Dormann, sei damit zu erklären, daß dort komplexe Verfahren abgewickelt würden und die Anlagen teilweise veraltet seien. Heute würde doch kein Mensch mehr auf die Idee kommen, einen chemischen Großbetrieb in der Nähe von Wohngebieten zu errichten, so Dormann. Doch Hoechst habe eine 130jährige Geschichte am Produktionsstandort Frankfurt am Main.
Diese Historie wurde am Dienstag abend um den vorläufig letzten Störfall ergänzt. Ein mit Abbrucharbeiten auf dem Werksgelände beschäftigter Werksangehöriger erlitt Verätzungen durch giftige Flußsäure. Nach Angaben von Hoechst habe es sich um einen lokal begrenzten Unfall gehandelt. Außerhalb des Gebäudes, in dem die Abbrucharbeiten durchgeführt wurden, seien keine Spuren von Flußsäure entdeckt worden. Klaus-Peter Klingelschmitt
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