piwik no script img

Der Körper als Problem

Die eine sieht sich als „Beschützerin des Phallus“, die andere legt die dunkle Seite der Weiblichkeit frei: Mit Louise Bourgeois und Kiki Smith sind jetzt gleichzeitig zwei der krassesten Künstlerinnen der Gegenwart zu besichtigen  ■ Von Harald Fricke

Die Verwirrung hält sich in Grenzen. Freudig hockt ein junges Paar vor der Skulptur auf dem Boden und versucht, das Gewicht der glatten rosa Marmorkugel auszurechnen, die auf einen kleinen Babyschenkel drückt. Vielleicht wünschen sich die beiden auch bloß Nachwuchs. Die Arbeit heißt „Untitled (with Foot)“, Louise Bourgeois hat sie 1989 gemeißelt und fast unscheinbar einen Satz in den Sockel geritzt: „Do you love me?“

An Kinder hat sie dabei nicht gedacht, eher an sich selbst. Im Katalog steht als Hinweis ein tagebuchartiger Eintrag neben der Skulptur: „Man empfindet Gefühle wie ein Zombie, und das Leben geht dann an uns vorbei. Da die Ängste der Vergangenheit mit den Funktionen des Körpers verbunden sind, tauchen sie auf dem Umweg durch den Körper wieder auf. Für mich ist die Skulptur ein Körper. Mein Körper ist eine Skulptur.“ Und jede Plastik wäre dann ein stückweit Wiedergeburt. Seltsame Vorstellung. Immerhin ist Louise Bourgeois bereits 84 Jahre alt.

„Nicht meine Arbeit ist problematisch, sondern unsere Körpergeschichte“, hat auch Kiki Smith die Auswahl ihrer Skulpturen kommentiert, die derzeit in Lübecks St.-Petri-Kirche gezeigt werden. Sie meint damit nicht die Art, in der sie seit Ende der siebziger Jahre von anatomischen Vorlagen ausgehend allmählich Materialien wie Haare, Wachs oder Papier zu Häuten und Menschlein verarbeitet. Ihre kriechende Frau, die eine Kotspur hinter sich herzieht, wurde zum Zeichen für postfeministische Kunst, die es mit Entäußerung sehr ernst meint: „Abject Art“ aus Tabu-Materialien wie Dreck, Exkrementen und Menstruationsblut. Ohne Ekel ist das Begehren nicht zu haben, lautet ihr Grundsatz.

Halb so alt wie Bourgeois, wird die 1954 in Nürnberg geborene New Yorker Bildhauerin gerne im gleichen Atemzug mit ihr genannt, wenn es darum geht, die Spur der Frauen in der Kunst des 20. Jahrhunderts zu verfolgen. Am Ende sollen sich alle Generationen schwesterlich in ein Gruppenbild fügen. So finden sich Meret Oppenheims Pelzobjekte neben Eva Hesses Polyesterwaben, und Cindy Shermans gestellte Fotos werden den sakralen Textarrangements von Jenny Holzer zur Seite gehängt. Bei Kiki Smith ist der Kot inzwischen aus den Arbeiten verschwunden, statt dessen hat sie religiöse Motive wie „Lilith“ und „Maria Magdalena“ nicht eben sauber in Bronze gegossen und eine gehäutete „Virgin Mary“ aus Wachs modelliert, bei der rote Farbe unter dem gelblichen Fettgewebe vorschimmert. Smith geht es mit solch einem Inventar aus Monstrositäten um Vergänglichkeit, deren mystische Dimension irgendwie bis an den Hexensabbat heranreicht: Intuition, Mondzyklus, Geheimwissen, verdrängte Folklore, Gegenmacht, die dunkle Seite der Weiblichkeit eben. Das alles stellt sich gegen den Katholizismus. Roh, geschliffen, gehäutet oder mit Schmuck verziert sehen die Frauen wie Fragonard-Variationen der Gipsfiguren von George Segal aus, die man ebensowenig berühren möchte. Im Chor der Kirche hängen knittrige Papiermandalas, deren karge Häkeldeckenornamentik den Räumlichkeiten sehr entgegenkommt. Dazu zwei gläserne Vitrinen, in denen letzte Reliquien ausliegen, die Smith dem Mystizismus nachempfunden hat: Zungen und herausgerissene Augen, angeordnet wie für die Schauräume des Vatikan.

Die Ausstellung schmiegt sich so vollständig dem Ort an, daß jede Arbeit die christliche Ikonographie verdoppeln muß. „Reflowering“, ein einsam abgetrenntes Männerglied, das kopfüber an eine Säule genagelt wurde, könnte auch den Gekreuzigten meinen. In einer Kirche funktioniert das Spiel mit Abwesenheit nicht. Obwohl der Begleittext die dekonstruktivistische Arbeit am Gegenstand betont, schleicht sich mit jeder Negation religiöser Zeichen die originär theologische Auslegung wieder ein. Tatsächlich erinnert das Ganze eher an eine „mittelalterliche Wunderkammer“ als an die trashige Kunstnische des Poverty- Pop. „Jesus blutet, Menschen schwitzen, ich weine“, schreibt Smith an anderer Stelle, und man kommt sich ein wenig trostlos vor unter der 18 Meter hohen Kuppel der Lübecker Kirche aus dem 14. Jahrhundert, umgeben von lauter Figuren, deren Geste einen Gott nahezu notwendig macht, wie Rilke über eine Rodinplastik gesagt hat.

Nun ist Kunst von Frauen ein weites Feld, ebenso zerklüftet und heterogen wie das ihrer männlichen Kollegen. Niemand käme auf die Idee, etwa Tom Wesselmanns softe Badezimmer-Pop-art und die Neonröhrenorgien von Bruce Nauman zu vergleichen, bloß weil sich beide mit Sexualität und Körpern beschäftigen und eine ihrer Vorlieben der figurativen Gestaltung gilt. Ganz anders bei der Vermittlung weiblicher Positionen. Jedes Interesse am Körper wird hier schnell einer gemeinsamen Sprache und Symbolwelt einverleibt, an die sich ein feministischer Text- und Theorie-Apparat knüpft – als müßten sämtliche Faktoren sich permanent gegenseitig stabilisieren, damit so etwas wie Geschichte entstehen kann.

Während Kiki Smith sich solchermaßen mit der Körpergeschichte gewappnet auf die Darstellung der heiligen Jungfrau zurückzieht, versucht Louise Bourgeois der Zwangsverkettung zu entgehen. Als „lebendes Bindeglied zur Vergangenheit“ (Robert Storr) möchte sie vor allem eins – diese Vergangenheit lockern.

Nicht weniger schutzlos als im Horrorkabinett von Smith werden die Skulpturen, Zeichnungen und Environments von Louise Bourgeois in den Deichtorhallen freigelegt. Ein Rundgang durch 50 Jahre Produktion, bühnenhaft ausgeleuchtet und spektakulär als Reigen um Liebe, Freud und Phallus inszeniert. Anders als in Paris, wo jede Arbeit nüchtern bei Tageslicht präsentiert wurde, appelliert die Hamburger Ausstellung daran, den Reiz, der einem da nackt entgegenspringt, wahrzunehmen. Bereits im Eingang ist man völlig benommen von der Häufung primärer Geschlechtsteile, die hier gar nicht erst von Restleib überdeckt werden. Penisbeete erstrecken sich auf einer Reliefplatte, daumendicke Stengel wachsen aus einem bronzenen Nest; eine klaffende, und doch zahnlose Vagina liegt als Fladen mit Schlitz auf dem Sockel; manchmal reichen zwei hüpfsackgroße einfache Holzkugeln und eine Treppe in der Mitte als Symbol. Durch die Transparenz verschwindet die Vorstellung von dem, was da eigentlich entblößt werden soll. Die unentwegte Sichtbarkeit macht jedes Geschlecht zum Partialobjekt. Irgendwann mischen sich die ganzen Zeichen, beginnen zu hüpfen, tanzen oder sich auf der Stelle im Kreis zu drehen. Die Dinge verlieren ihre Ausrichtung, als würde sich das Begehrte nur mehr selbst begehren. Bourgeois kommentiert dieses Dilemma so: „In meinem Werk geht es nicht um Sex. Es geht um seine Abwesenheit.“ „Janus Fleury“ von 1968 etwa ist so ein Gegenstand unmittelbar vor der Auflösung: Symmetrisch sind auf beiden Seiten des Objekts zwei Eicheln geformt, in der Mitte öffnet sich die hängende Skulptur wie eine wabblige Masse.

Dieses Driften, die surreale Kombination von eher unvereinbaren Elementen, kommt schon in den vierziger Jahren ihrer Weise entgegen, sich mit der Rolle als Frau im Kunstbetrieb anzufreunden. „Femme Maison“, eine frühe Zeichnung von 1947, besteht aus einem Haus mit vielerlei Türen, das einem reduzierten, weiblichen Rumpf aufsitzt: zahllose Ein- und Ausgänge, die sie sich als Bild ihrer kleinen Fluchten in die Ambivalenz ausmalen. Während des abstrakten Expressionismus der entschiedenen Malerei bleibt dies eine Außenseiterposition. Zwischen 1954 und 1964 hat Bourgeois keine einzige Ausstellung; erst Ende der sechziger Jahre wird sie von Lucy Lippard als antiformalistische Exzentrikerin gegen Minimal- und Concept Art entdeckt. Die erste Retrospektive der bereits 71jährigen Bourgeois kommt 1982 im Museum of Modern Art zustande.

Seit „The Destruction of the Father“ von 1974 gilt ihre Arbeit an obskuren Objekten vor allem als feministischer Befreiungskult: Die Installation zeigte ein zerstückeltes Wesen in pilzartiger Landschaft. Schenkel schwirren herum, es sieht nach Kannibalismus und Ritual aus. Als private Rache am Vater gedacht, wurde daraus plötzlich ein Sinnbild für den Kampf gegen den Mann an sich. Doch das Werk wuchert weiter – auf der einen Seite arbeitet Bourgeois mit italienischem Grabsteinmarmor an klassischen Körperstudien à la Bernini, auf der anderen werden ihre „Zellen“ mit immer unheimlicheren Materialien drapiert, die sie über Jahrzehnte manisch sammelt und wegspeichert. Eine der frühen Zellen nennt sie „Arch of Hysteria“, später entsteht das phantastische „Cell (you better grow up)“, aus Spiegeln, Parfümflakons, Keramikgedärm und drei ineinandergefalteten Händen. Allein Käfiggitter können diese Welt noch zusammenhalten.

Es funktioniert, wenn man es mit Humor nimmt. Im Jahr ihrer großen Einzelshow klemmte sich Bourgeois für eine Fotosession mit Robert Mapplethorpe einen robusten Bronzepenis unter den Arm, denn „der Phallus ist Gegenstand meiner Zärtlichkeit. Das liegt an seiner Verletzlichkeit und seinem Schutz. Alles in allem habe ich mit vier Männern gelebt: mit meinem Ehemann und mit meinen drei Söhnen. Ich war die Beschützerin ... Obwohl ich mich als Beschützerin des Phallus fühle, heißt das nicht, daß er mir keine Angst bereiten würde.“ Daß sie auf dem Foto wie ein spätes Mädchen lächelt, macht den Triumph im Alter komplett. Die Männer, denen ihre Sorge galt, sind an ihr abgeglitten. Was übriggeblieben ist, steht auf einen Kissenbezug in „Cell I“ gestickt: „My memories are my documents“; und „Art is the guarantee of sanity“.

Louise Bourgeois. Der Ort des Gedächtnisses. Bis 17.3., Deichtorhallen, Hamburg.

Kiki Smith. Bis 29.2., St.-Petri-Kirche, Lübeck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen