■ Querspalte: Bündnis für Bündnis
Es nimmt kein Ende. Wahrscheinlich sogar fängt alles erst an. In Nord und Süd, in Ost und West, um mit Rudi Michel anno 66 zu reden, werden Bündel geschnürt beziehungsweise Bündnisse angemahnt, gefordert, einberufen, gegründet. Kann ja nichts schaden. Bald kennen wir keine Parteien mehr, nur noch Bündisse.
Nach dem alles überwölbenden „Bündnis für Arbeit“, dem „Bündnis für Aufschwung“ (Focus-Illu) und dem „Bündnis für Frühverrentung vom 25. Lebensjahr an“ schlug IG-Metall-Chef Zwickel nun gleich noch das „Bündnis für Arbeit-Ost“ vor. Was Rilke in seinem vielleicht bekanntesten Herbstgedicht behauptete, läßt sich unmittelbar, quasi eins zu eins, auf den Frostwinter 96 übertragen: Wer jetzt kein Bündnis hat, wird sich keins mehr bauen. Dachte sich auch Paul Breuer, CDU-Verteidigungsexperte, und mahnte ein „Bündnis für Wehrpflicht“ an. Denn dpa hatte die Zahl von 160.000 Kriegsdienstverweigern im Jahr 1995 gemeldet. Statt daß Breuer sein Projekt folglich „Bündnis für Kriegsdienst“ nannte, um damit seiner mentalen Wahrheit um ein paar Salven näher zu rücken, beklagte er, daß es nicht genüge, „positiv über die Wehrpflicht“ zu reden. Vielmehr müsse jungen Menschen „durch die Art des Einsatzes und der Behandlung“ täglich der Sinn ihres Dienstes vermittelt werden.
Die wirklich notwendigen Bündnisse allerdings und sowieso sind leider noch nicht einmal im Status nascendi einer nationalen Konzeptionierungsphase. Von einem „Bündnis für mehr Sicherheit im Billigchartertourismus“ ist nichts zu hören, ein „Bündnis zur Rettung des vierten UEFA-Cup-Platzes für die Fußballbundesliga“ nicht in Sicht. Defizite, die in den nächsten Tagen behoben werden sollten. Und dann aber bald ist es an der Zeit, daß die gesellschaftlich relevanten Gruppen eine „Bündnis-Holding“ in Luxemburg oder Liechtenstein gründen. Unter ihrem Dach könnten dann auch das unvermeidliche „Bündnis für Heuchelei“ und das „Bündnis für Dummdeutsch“ fusionieren – zum „Bündnis für Verarschung“. Dietrich zur Nedden
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