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Die Essenz des Körpers in der Maske

Die Galerie Wohnmaschine eröffnet die Serie „Körper und Betrug“ mit typisierten Porträts von August Sander, verkleideten Behinderten von Diane Arbus und Zeichencodes aus dem Sprachmodulator. Lesbarkeit nicht garantiert  ■ Von Anja Oßwald

Vor die Aufgabe gestellt, in der Kunst der letzten Jahre einen Schwerpunkt auszumachen, wird der Beobachter heute unweigerlich auf ein Thema stoßen: den Körper. Wie ein roter Faden zieht sich die Beschäftigung mit ihm durch alle Sparten zeitgenössischer Kunstproduktion.

Fragmentarisierte und in ihre Bestandteile zerlegte Körper, delikat arrangierte Exkremente und Körpersäfte und mit Hilfe neuer elektronischer Verfahren montierte Anatomien rücken der – modernen – Vorstellung vom Körper als unhintergehbarer Substanz, als integraler Ganzheit buchstäblich zu Leibe. Es gibt, so machen diese Konzeptionen deutlich, keine Wahrheit des Körpers. Seine vermeintliche Authentizität ist Erfindung, und der Versuch, mit diesem ein vielleicht noch letztmögliches Residuum des „Natürlichen“ zu etablieren, offenbart sich angesichts der Errungenschaften der Gentechnologie und der immer ausgefeilteren Methoden elektronischer Bild-Erzeugung als allenfalls rührend-naives Unterfangen.

Um den Körper im Medium Fotografie geht es im diesjährigen Ausstellungsprojekt der Galerie Wohnmaschine, das sich unter dem Titel „Körper und Betrug“ dem Tenor der momentan geführten Körperdebatte anzuschließen scheint. In insgesamt acht Ausstellungen sollen im Laufe des Jahres unterschiedliche Positionen und Körper-Konzeptionen vorgestellt werden.

Doch Vorsicht: Das reißerisch klingende Motto könnte sich als trügerisch erweisen, der Betrug sich als Betrug an einer am Zeitgeist geschulten Erwartungshaltung herausstellen. Zumindest die Eröffnungsausstellung mit je sieben Arbeiten von August Sander und Diane Arbus legt dies nahe. Wo ist der Betrug?, das mag sich der Betrachter angesichts der präsentierten Typenporträts und Milieustudien fragen, deren statuarischer Charakter und fast hermetische Abgeschlossenheit mit der dekonstruktiven Praxis zeitgenössischen Kunstschaffens wenig gemein haben.

In der Tat steht nicht die Aufdeckung eines Betruges, sondern die Entdeckung einer Wahrheit im Zentrum der Menschen-Bilder von Sander und Arbus. Dem Sein im Schein nachzuspüren, mit der Kamera in die Oberfläche der (körperlichen) Erscheinung einzudringen, um an die Essenz der Dinge und der Körper zu gelangen, war das Anliegen Sanders in seinem 1910 begonnenen großangelegten Projekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“, dem die ausgestellten Fotografien entstammen. Geschult an Lavaters Traktat zur Physiognomik und mit humanistischem Bildungsgut im Handgepäck, unternahm der Fotograf in Betrug im Dienste der Wahrheit

dieser zeitlebens fortgeführten Unternehmung den Versuch, einen menschlichen Typenkatalog entsprechend der Berufs- und gesellschaftlichen Klassenzugehörigkeit zu erstellen.

Nicht das Individuelle, sondern das Allgemeine, das, was den jeweils fotografierten Menschen zum Bild, zum „Image“ erhebt, bestimmt auch die in der Wohnmaschine gezeigten Aufnahmen. Mit den drei Jungbauern im Sonntagsanzug etwa oder dem Ziegelsteine schleppenden Arbeiter, mit den beiden Boxern im Trainingskostüm und der selbstbewußt dreinblickenden Bohemienne mit Zigarette im Mundwinkel werden Menschen der zwanziger Jahre geschildert, die trotz ihrer Rollenhaftigkeit, ihrer typenhaften Stilisierung seltsam authentisch wirken.

Gerade die Verkleidung, die Vorführung des Klischees, so scheint es, führt zur Wahrhaftigkeit des Dargestellten. Die Maskierung zeigt den „Menschen ohne Maske“ (so der Titel einer anderen Porträtserie des Künstlers). Als Betrug im Dienst der Wahrheit beinhaltet Sanders fotografische Praxis das, was Roland Barthes mehr als ein halbes Jahrhundert später als Charakteristikum der Fotografie erkannt hat. Um Bedeutung zu erlangen, so Barthes, bedarf die Fotografie des Mittels der Maskierung. Erst die Verkleidung verleihe dem an sich kontingenten fotografischen Bild einen Sinn. „Die Maske“, führt Barthes aus, „das ist der Sinn, insofern er völlig unverstellt ist.“

Das Spiel mit der Verkleidung steht auch im Zentrum der ausgestellten Fotografien von Diane Arbus aus den sechziger und siebziger Jahren. Die Bilder von Transvestiten, von Prostituierten, Geisteskranken oder dem kostümierten älteren Paar haben ein gemeinsames Charakteristikum: die Maskerade. Im Gegensatz zu Sanders Typen ist die Lesbarkeit hier jedoch nicht mehr garantiert. Soll der geschminkte Transvestit nun als Mann oder Frau bezeichnet werden, ist das ältere Paar als komische Persiflage oder eher als Tragödie zu verstehen? – Die Kategorien lösen sich auf.

Indem sie Menschen außerhalb der (sozialen, geschlechtlichen) Ordnung zeigen, sprengen die Bilder den Rahmen dessen, was „normal“, mithin nach gängigen Kriterien meßbar und bewertbar ist. „My favorite thing is to go where I've never been“, hat Diane Arbus einmal geäußert. Bildet diese Position ein Komplementär zu der des Soziologen Sander, so findet in der Ausstellung durch die Hängung eine Durchdringung und Überlagerung der verschiedenen Ansätze statt. Was ist irrer, das Grinsen der beiden Boxer im Bild Sanders oder das Lachen in den Gesichtern der beiden geistig behinderten Mädchen von Arbus? In der Konfrontation von Sanders Typen und Arbus' Aufnahmen von sogenannten Randgruppen eröffnen sich neue Blickperspektiven. Die Maske erhält ein neues Gesicht.

Der im Rahmen der Ausstellung gezeigte Text- und Bildbeitrag von Jörg Wähner versucht den Bogen zur Gegenwart zu schlagen, was ihm allerdings nicht gelingt. Das mag zum einen an der formalen und inhaltlichen Geschlossenheit des Sander-Arbus-Komplexes liegen. Zum anderen an der thematischen Abseitigkeit der Arbeit. Der mit Hilfe eines Sprachmodulators an der Galeriewand angebrachte Zeichencode bleibt in mehrfacher Hinsicht schwer zu entziffern, und die auf einem im Keller der Galerie aufgestellten Monitor gezeigten TV-Faces eröffnen mit dem Thema Medienbild einen ganz anderen Aspekt.

Auf weitere fotografische Betrügereien und betrügende Fotografen darf man gespannt sein. Im Anschluß an die Klassiker werden mit Thorsten Goldberg, Florian Merkel, Anton Henning, Boris Michalkov, Lorna Simpson, Rémi Markowitsch und York der Knöfel zeitgenössische Künstler vorgestellt werden.

Bis 24. 2., ab 2. 3. Thorsten Goldberg, Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–14 Uhr, Galerie Wohnmaschine, Tucholskystraße 34-36, Mitte

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