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Brasiliens Ureinwohner ausgebootet

Über eintausend Einwände gegen die Demarkierung von Indianerreservaten gingen beim brasilianischen Justizministerium ein – die Demarkierung der Reservate steht still  ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange

Eine Flut von Einsprüchen gegen die Demarkierung von Indianerreservaten überschwemmt Brasiliens Indianerschutzbehörde „Funai“. Insgesamt 1.020 Einwände wurden nach offiziellen Angaben gegen die Abgrenzung von 54 Indianergebieten in den letzten drei Monaten registriert. „Der Prozeß der Demarkierung steht still“, erklärt der Generalsekretär des katholischen Indianermissionsrates „Cimi“, Saulo Feitosa. Solange die Einsprüche bearbeitet würden, kämen die Arbeiten zugunsten von Brasiliens Ureinwohnern nicht voran.

Die Einspruchswelle beruht auf einem juristischen Manöver der brasilianischen Regierung. Seit dem 8. Januar kann jede brasilianische Gemeinde, jedes Bundesland oder jeder Grundstückseigentümer, der sich durch die Anlage eines Indianerreservates geschädigt fühlt, vor Gericht Einspruch erheben. Am vergangenen Montag endete die dreimonatige Einspruchsfrist für bereits identifizierte Indianergebiete, die in Reservate umgewandelt werden sollen. Nach der Revision des sogenannten Dekretes 1.775 müßten theoretisch 307 der insgesamt 554 Indianerreservate in Brasilien erneut auf ihre Gültigkeit überprüft werden.

„Die Regierung hat dem Druck der Holzexporteure und der Goldgräberlobby nachgegeben“, meint Cimi-Generalsekretär Feitosa. Dabei habe sie den Druck internationaler Umweltschutzorganisationen sowie der Industrienationen unterschätzt. Die G7-Staaten unterstützen im Rahmen des Pilotprogramms für den Amazonas die Schaffung von Indianerreservaten. Die Bundesregierung, die mit 40 Millionen Mark den größten Beitrag leistet, wurde jüngst von brasilianischen Indianervertretern aufgefordert, die Zahlungen vorläufig einzustellen.

Justizminister Jobim argumentierte in Bonn, daß bis Ende März dieses Jahres lediglich drei Revisionsanträge eingegangen seien. „Doch Jobim wußte von vornherein, daß die Einwände erst umittelbar vor Ablauf der Frist eingehen würden, um die Verteidigung zu erschweren“, erklärt Cimi-Vertreter Feitosa. Der Indianermissionsrat versucht nun mit einer Verfassungsklage, den rund 300.000 Ureinwohnern Brasiliens zu ihrem Recht auf Land zu verhelfen, das seit Oktober 1988 im Artikel 231 der neuen Verfassung festgeschrieben ist.

Eigentlich sollten fünf Jahre später, im Oktober 1993, alle 554 Indianerreservate in Brasilien eingerichtet sein. Doch nach Angaben der Indianerbehörde Funai sind 145 Gebiete noch nicht einmal identifiziert. „Die Demarkierung dieser Flächen wird sich nach den neuen Richtlinien als äußerst schwierig erweisen“, prophezeit Cimi-Vertreter Saulo Feitosa.

Die Bilanz von Brasiliens Präsident Fernando Henrique Cardoso im Bereich Indianerpolitik nimmt sich bescheiden aus. In seiner 16monatigen Amtszeit veranlaßte Cardoso die Schaffung von 17 Reservaten. Seine Amtsvorgänger Itamar Franco (1992–1994) und Fernando Collor (1990–1992) waren großzügiger. Franco gründete 58 Reservate, Collor sogar 170. Doch auch in ihren Reservaten sind die Ureinwohner nicht geschützt. „Weder die Funai noch die Umweltbehörde Ibama kümmert sich um die Invasionen“, beschwert sich Cimi-Mitarbeiterin Katia Vasco. Die Revision des Dekrets würde das Eindringen von innerbrasilianischen Armutsflüchtlingen zusätzlich fördern. Um die Entwicklung aufzuhalten, seien Brasiliens Ureinwohner auf internationale Unterstützung angewiesen. Innerhalb Brasiliens genießen Indianerfragen keine Priorität.

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