: Hundert verschiedene Sinne
■ Haben viel davon, geben jedoch wenig: Deutsche Schriftsteller und Verlagsmitarbeiter zanken in Sarajevo
Die deutschen Schriftsteller haben sich während des Krieges in Bosnien-Herzegowina nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Nur wenige waren gekommen, um Sarajevo selbst zu erfahren, um sich ein Bild zu machen von der menschlichen und politischen Tragödie. Die Abstraktheit und ideologische Verbiegung der Debatte in Deutschland, die kürzlich mit dem Beitrag des Österreichers Peter Handke ihren Höhepunkt erlebte, mag dafür ein Grund gewesen sein. Wenn es in Deutschland nicht einmal gelänge, nationalistische und faschistisch- totalitäre Ideologien zurückzuweisen und Partei zu ergreifen für den kosmopolitischen Geist der Stadt, dann sei von der deutschen Intelligenzija nicht viel zu erwarten, urteilen seit geraumer Zeit bosnische Schriftsteller und Intellektuelle. Während die Amerikanerin Susan Sonntag in Sarajevo Regie führte und viele französische Intellektuelle wirkungsvoll auf die französische Gesellschaft zugunsten Sarajevos einwirkten, dokumentierten nach Meinung der Bosnier die meisten deutschen Intellektuellen lediglich die Krise ihres eigenen Denkens. Und so löste es in Sarajevo nicht einmal mehr Verwunderung aus, als Günther Grass und das deutsche P.E.N.-Zentrum die im Vorjahr fest geplante Reise abgesagt haben.
Wenn heute deutsche Schriftsteller und Verleger nach Sarajevo fahren, müssen also Scherben zusammengeklaubt werden. Daß dieser Zusammenhang der Delegation, die aus der Präsidentin des P.E.N.-Zentrums, Ingrid Bachér, dem Schriftsteller Peter Schneider – der einer der wenigen deutschen Sarajevo-Besucher gewesen war und dessen Engagement für Sarajevo durchaus registriert wird –, der Schriftstellerin und Verlegerin Eva Demski und des Publizisten Hans Christoph Buch bestand, bei ihrem Besuch letzte Woche in Sarajevo und Mostar bewußt war, ist anzunehmen. Es mag an dem geringen Medieninteresse bosnischerseits und an der mangelhaften Organisation durch die deutsche Botschaft gelegen haben, daß über dieses Thema kaum öffentlich geredet wurde. Eine Lesung vor Studenten und Professoren der germanistischen Abteilung der Universität Sarajevo wurde abgehalten, ein Empfang gegeben, mit bosnischen Verlegern gesprochen, eine Buchausstellung eröffnet.
Die Lesung entwickelte sich zu einem Eklat. Als Peter Schneider Ingrid Bachér unterbrach, um die Lesung – entgegen der Absprache – in eine Diskussion umzuwandeln, mußte das Publikum einen deutschen Zank ertragen. Ins Kreuzfeuer der Kritik geriet Hans Christoph Buch, als er sich in Absetzung von den anderen als einen Schriftsteller präsentierte, der an allen Krisenorten der Welt gewesen sei. Daß die Stimmung im Publikum dennoch wohlwollend blieb, führte Ingrid Bachér später auf die ausgesprochen liberale und tolerante Haltung der Menschen in Sarajevo zurück. In Zukunft, so sagte sie, sollte jedoch der P.E.N. darauf achten, Delegationen zu schicken, deren Mitglieder an den Menschen vor Ort interessiert seien und nicht hauptsächlich an sich selbst.
Trotz dieser Seitenhiebe eröffnete die Reise für manche eine fruchtbare Dimension persönlicher Erfahrung. Der Besuch, so sagte Eva Demski, habe ihr sehr viel gegeben. Wenn in den Nachrichten in Deutschland bei irgendwelchen Kataströphlein der Ausdruck vom „Ausmaß der Zerstörung“ benutzt wird, „werde ich, seit ich an diesen Orten war, immer wissen, was in Wahrheit ein Ausmaß an Zerstörung ist – in hundert verschiedenen Sinnen“.
Sarajevo gibt den Besuchern viel, es bekommt aber nur wenig zurück: Die von bosnischer Seite erhoffte konkrete Unterstützung blieb auch jetzt wieder aus. Selbst die gutwilligen Verlagsvertreter von Rowohlt Berlin, des Ravensburger Kinderbuchverlages sowie des Frankfurter Börsenvereins kamen mit leeren Händen. Auch sie haben in Sarajevo eine persönliche Bereicherung erfahren, haben sich informiert über die Verlagsprogramme eines runden Dutzends bosnischer Verlage. Und sie waren beeindruckt über die Vielfältigkeit und Spannbreite des Angebots. Die Hoffnungen der bosnischen Verleger auf eine Kooperation mit deutschen Kollegen wurden jedoch mit dem nicht gerade ermutigenden Hinweis, das deutsche Publikum interessiere sich kaum für Bosnien, gedämpft. Immerhin sollen die Verlagsprogramme der Bosnier in den Periodika der Frankfurter Buchmesse erscheinen. Und den Bosniern bleibt die Hoffnung, daß sich die Erfahrung Sarajevo bei den Besuchern in ein langfristiges Engagement umsetzen wird. „Mit leeren Händen wollen wir nicht mehr wiederkommen“, war das Fazit eines Besuchers. Und positiv wäre es, wenn die eine oder andere Institution, der eine oder andere Verlag auf die Idee kämen, sich an dem Wiederaufbau der zerstörten Bibliothek in Sarajevo zu beteiligen. „Es wäre schön, wenn Sarajevo von Deutschland einige wirklich kostbare Bücher geschenkt bekäme“, hofft zum Beispiel Peter Schneider. Erich Rathfelder
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen