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Versagte Polizei im Fall Reemtsma?

■ Entführter Millionär nach 33 Tagen frei. Vermittler erhebt schwere Vorwürfe gegen Sonderkommission

Hamburg (taz/dpa) – Nach dem glücklichen Ende des spektakulären Entführungsdramas um den Hamburger Millionenerben und Mäzen Jan Philipp Remmtsma (43) hat die Polizei am Wochenende die Jagd auf die Kidnapper eröffnet. Eine „heiße Spur“ von den vermutlich drei Gangstern, die den Multimillionär am 25. März auf seinem Anwesen in Hamburg-Blankenese entführt haben, gibt es noch nicht. Die meisten der rund 200 bis gestern abend bei der Polizei eingegangenen Hinweise beziehen sich auf eine Stimmaufzeichnung von einem der Täter.

Während sich die mehr als hundertköpfige polizeiliche Sonderkommission unter Leitung des „Dagobert-Jägers“ Mike Daleki noch in ihrem Erfolg sonnt, erhebt der Hamburger Pastor Christian Arndt, einer der beiden Überbringer des Lösegelds in Höhe von 30 Millionen Mark, schwere Vorwürfe gegen die Fahnder. „Das Verhalten der Polizei hat das Leben von Reemtsma gefährdet“, sagte der Geistliche gegenüber der taz. Auch Reemtsma, der den Erpressern vorschlug, die dritte Lösegeldübergabe über Arndt und den Kieler Soziologie-Professor Claußen abzuwickeln, habe in einem Brief der Polizei die Schuld für das Scheitern der ersten beiden Übergaben gegeben. Die Täter hätten offenbar gemerkt, daß die Polizei eng mit dem ersten Geldübergeber – dem Hamburger Anwalt Johann Schwenn – zusammengearbeitet habe und bei den gescheiterten Geldübergaben in der Nähe gewesen sei. Deshalb habe Arndt „vor allem gegen die Polizei“ arbeiten und falsche Spuren legen müssen. Bei der geglückten Geldübergabe sei die Polizei dann „ganz draußen“ gewesen.

Nachdem die Entführer das von Arndt und Claußen in der Nähe von Krefeld-Fischeln in einem geleasten Opel zurückgelassene Lösegeld am Donnerstag morgen abgeholt hatten, ließen sie Reemtsma nach 33 Tagen Gefangenschaft am Freitag kurz vor Mitternacht in Maschen bei Hamburg frei. Die Öffentlichkeit erfuhr erst nach der Freilassung von der Entführung, da sich alle Medien an die verhängte Nachrichtensperre hielten. Die Täter hatten gedroht, ihr Opfer zu töten, wenn Polizei und Medien eingeschaltet würden.

Jan Philipp Reemtsma, der vor dem Medienspektakel inzwischen aus Deutschland geflüchtet ist, wurde nach eigenen Angaben auf seinem Hamburger Grundtück am 25. März gegen 20.20 Uhr von zwei Männern überfallen, gefesselt und geknebelt. Am Ort ließen die Täter ein Erpresserschreiben mit einer scharfen Handgranate zurück. Anschließend wurde der Gekidnappte einen Monat lang in einem dunklen Kellerraum gefangengehalten, der sich in der unmittelbaren Nähe Hamburgs befinden muß.

Die Polizei fahndet nicht nur nach den Tätern, sondern auch nach „einer undichten Stelle in den eigenen Reihen“. Ein von den Entführern gemachtes Foto, das Reemtsma in seinem Verlies zeigt, wurde offenbar von einem Beamten einer Boulevardzeitung zugespielt. Ermittlungen wegen Korruptionsverdachts wurden eingeleitet. Marco Carini Seiten 3 und 10

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