Wand und Boden: Die Häuser wachsen schneller als das Gras
■ Kunst in Berlin jetzt: Peter Hebeisen, Melk Imboden, Nadine Norman, Mercedes Engelhardt, Marlen Liebau
Es ist ein humanistisches Projekt, bewerkstelligt mit den Mitteln fotografischer Ästhetik, unterstützt vom Schweizerischen Roten Kreuz: Also entpuppen sich die „Feindbilder“ an den rohen Backsteinwänden der Parochialkirche als quadratmetergroße, sorgsam gefertigte Porträtstudien der „Flüchtlinge in Europa“. Ismail, der Kurde aus dem Irak, hatte 1991 den Mut, dem Fotografen Peter Hebeisen Modell zu stehen. Tevfik, der Kurde aus der Türkei, traute sich schon 1989 aus der Anonymität. Joshie aus Malaysia, 1990 fotografiert, ist ein junger, gutaussehender Typ mit einer schicken Baseballjacke. Er wirkt umtriebig und zielstrebig. Auch die anderen Flüchtlinge aus aller Welt, die es in die Schweiz verschlagen hat, sehen auf ihren Porträts genauso alltäglich aus wie „wir“. Und genau das war das Ziel von Peter Hebeisen: Keine bemitleidenswerten Opfer, sondern individuelle Persönlichkeiten zu zeigen. Die, so geht seine Überlegung, sollten dann nicht mehr so leicht gejagt, verachtet und perverserweise auf der Place Petit Paradis in Fribourg von drei Jungmännern mit bloßen Fäusten erschlagen werden, wie der Kurde, von dem eine Zeitungsmeldung berichtete, die der Auslöser für die Arbeit war. Natürlich ist das eine hoffnungslos unrealistische Annahme. Eine unpolitische, aber ehrenwerte Utopie. Allerdings hat die strenge Ästhetik, die Hebeisen wählte, viel für sich. Der Fotograf ließ seinen Modellen nicht mehr an Erinnerung und Heimat als das, was sie am Leib tragen – falls sie noch ihre lokale Kleidung tragen. Und er verwehrte ihnen auch einen neuen Ort: Alle tauchen sie aus einem dunklen, geschichts- und gesichtslosen Hintergrund hervor. Sie sind Displaced persons, ohne daß das Asylheim und das Doppelstockbett gezeigt werden muß.
Bis 12.5., Mo–So 11–19 Uhr, Klosterstraße 67
Das Gegenstück dazu stellt Melk Imboden in der Staatsbibliothek aus: „Nidwaldner Gesichter“. Die Menschen der Innerschweiz haben auf seinen Fotografien einen selbstverständlichen, aussagekräftigen Hintergrund. Sie stehen vor ihren Geschäften, Bauernhöfen, ihren Leinwänden und Fischernetzen oder in ihrem Schallplattenladen und sie werfen tatsächlich 83,5 kg schwere Steine in die Gegend. Vor 150 Jahren wurde ihrem „Stamm“ aufgrund seiner „körperlichen Bildung im allgemeinen das Gepräge eines Hirten- und Bergvolkes“ attestiert. Das läßt sich noch immer beobachten. Die Älpler sehen genauso aus, wie man meint, daß sie aussehen müssen: Sie tragen mächtige Rauschebärte, aus denen irgendwo ein Stumpen ragt, wie bei Jost Mathis, dem Stanser Märcht. Die Jungen sehen nicht mehr so urig aus. Wenngleich auch sie als Charaktere gesehen sind. Die Innerschweiz ist inzwischen, aufgrund von Auto- und Eisenbahnanschluß, urbanes Agglomerationsgebiet geworden. Die Häuser wachsen schneller aus dem Boden als das Gras. In wenigen Jahren wird es diese Mannsbilder, die Klauenschneider und Jäger, Älpler und Landstreicher nicht mehr geben. Und da überzeugt die ethnologische Reportage Melk Imbodens mit ihren sachlichen Schwarzweißaufnahmen: Seinen Menschen fehlt jede nostalgische Melancholie. Es ist kein trotziger Widerstand in der Tracht der Alten zu entdecken, sondern einfach Gewohnheit. Gerade deshalb geht es dem ideologischen Konstrukt des Schweizertums, seinem Isolationismus etwa, an den Kragen.
Bis 1.6., Mo–Fr 9–21, Sa 9–17 Uhr, Potsdamer Straße 33
Nadine Norman bekommt ein merkwürdiges, fragiles Material aus aller Welt zugeschickt: Asche zu Asche. Sie preßt daraus Seifenstücke, die sie jetzt in ihrer „Re- collection“ benannten Installation in der Galerie Pfefferberg auf entsprechenden Seifenhaltern präsentiert. Auch eine Wand hat sie mit der Asche ornamental bedruckt. Aber das von Gelb über Rot und Braun ins Graue wechselnde Muster irritiert, denn es setzt sich aus Hakenkreuzen zusammen. Da die Asche nur aufgepreßt ist, fällt sie peu à peu ab, und am Boden bildet sich ein Haufen. Natürlich bringt man Asche, Seife, Hakenkreuz unumgänglich, aber auch zu leicht mit dem Grauen des Holocaust in Verbindung. Aber Nadine Norman scheint es doch eher allgemein um die Spuren der Vergänglichkeit und deren Verdinglichung zu gehen. Polaroids vom Grabschmuck französischer Friedhöfe weisen darauf hin. Die Installation funktioniert nicht so gut wie erwartet, weil die armen Mittel, mit denen sie arbeitet, keinen Kontrast gegen die armseligen Räume der Galerie Pfefferberg bilden. Der Verfall, die Geschichte, die Verbrechen sind hier so nah, daß ihr Verweissystem im Tautologischen steckenbleibt.
Bis 19.5., Do–Sa 16–20 Uhr, Schönhauser Allee 176
Kunst, die verführt, einen Seitenstecher zu machen. Ein bißchen Grün, das auf einen Ort aufmerksam macht, der es wert ist, besucht zu werden: Die Ruine der Franziskaner-Klosterkirche aus dem 13. Jahrhundert in Mitte. Das Grün besteht aus Hafer in einem Erdband, das Mercedes Engelhardt und Marlen Liebau der gotischen Ornamentik entsprechend als Dreiblatt und Vierpaß am Boden ausgelegt haben.
Die konzeptionelle Arbeit wurzelt im wahrsten Sinne in ihrer architektonischen Umgebung und ist eine geeignete Metapher, um mit deren Baugeschichte zu kommunizieren. Das Licht, das durch das gotische Maßwerk der Fenster fällt, zeichnet ihren Garten vor. Der Lichtkeimer Hafer strebt wie die Gotik ins Helle. Aber die Verweise sind so leicht, so erfreulich unaufdringlich und so ephemer wie das frische „Gotischgrün“.
Bis 12.5., täglich 9 Uhr bis Sonnenuntergang, Klosterstraße
Brigitte Werneburg
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