: Armut im dominikanischen Wirtschaftswunder
■ Präsidentenwahlen im „Mallorca der Karibik“: Geld für Sozialprogramme fehlt
Gestern waren die acht Millionen EinwohnerInnen der Dominikanischen Repulik dazu aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen. Damit dürfte das Ende einer jahrzehntelangen Caudillo- Herrschaft besiegelt sein. Der amtierende Präsident Joaquín Balaguer, engster Vertrauter und Erbe des einst gefürchteten Diktators Trujillo, darf wegen massiver Manipulationen bei der letzten Wahl vor zwei Jahren nicht mehr antreten. Mit dem Machtwechsel wird die Dominikanische Republik politisch die Veränderungen nachvollziehen, die wirtschaftlich bereits lange durchgesetzt sind.
Wie die anderen Länder Lateinamerikas wurde der dominikanischen Wirtschaft ab August 1990 vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank eine Strukturanpassung verordnet. Öffnung der Märkte war die oberste Devise, gepriesen als Allheilmittel gegen die Unterentwicklung. Seither hat die Inselrepublik in einem halben Jahrzehnt den Wandel von einer rohstoffexportierenden zu einer Dienstleistungsgesellschaft vollzogen. Mit einem Wirtschaftswachstum von 4,8 Prozent erreichte das beliebteste Fernreiseziel deutscher UrlauberInnen 1995 den fünften Platz in Lateinamerika. Die Exporte legten um 17,1 Prozent zu, die Leistungsbilanz zeigte ein Plus von 172,5 Millionen Dollar. Die Inflationsrate lag mit 9,2 Prozent erstmals seit Jahren unter der 10-Prozent-Marke.
Wie die übrigen Länder der Region produzierte die Dominikanische Republik traditionell landwirtschaftliche Produkte für den Export, vor allem Zucker, Kaffee, Kakao, Tabak und Südfrüchte. Die 1990 eingeleitete Öffnung der dominikanischen Wirtschaft hat die Agrarwirtschaft besonders hart getroffen. Nach den drastischen Zollsenkungen können einheimische Produzenten kaum mit den Billigimporten konkurrieren. Ein Sack Reis kostet auf dem dominikanischen Markt 55 Mark. Der Weltmarktpreis hingegen liegt unter 35 Mark. Auch die Zuckerproduktion mußte im vergangenen Jahr Einbußen von 16,9 Prozent hinnehmen.
Das dominikanische Wachstumsmodell hängt im wesentichen an zwei expandierenden Branchen: Fertigungsindustrie und Tourismus. Beide beruhen auf dem Prinzip des Billiglohnstandortes. Einheimische ArbeitnehmerInnen produzieren für knapp 200 Mark pro Monat Markenjeans, Pullover, Schuhe, Taschen und ähnliches für den US-Markt. Knapp 10 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung, immerhin 170.000 Menschen, finden in dieser Branche Arbeit und Brot. Zwei Drittel der Exporte werden hier produziert. Die Dominikanische Republik stellt die Fabrikhallen, die Infrastruktur und die Arbeitskraft zur Verfügung. Auch die unglaublich preiswerten Pauschalangebote für Karibikreisen ließen sich ohne die niedrigen Lohnkosten nicht aufrechterhalten. Für 1.500 Mark, das entspricht acht dominikanischen Monatsgehältern in der vergleichsweise gut zahlenden Tourismusbranche, lassen sich zwei Wochen Karibik finanzieren. 1995 ließen fast zwei Millionen Besucher 1,49 Milliarden Dollar im Land. Das Geld landet vorwiegend bei PrivatunternehmerInnen.
Die politische Führung um den greisen und blinden Balaguer wurde offenbar von der ökonomischen Umkrempelung überrannt. Ganz im Stile des Patriarchen, für den es bereits Winter geworden ist, reist der 80jährige weiterhin durch das Land und weiht hier einen Kindergarten und dort ein Krankenhaus ein. Seine Lieblingsrolle als Wohltäter des Volkes kostet jährlich eine Milliarde US-Dollar. Mit den unkontrollierten Ausgaben soll nun Schluß sein.
Alle Kandidaten haben zugesagt, dieses Geld in Sozialprogramme zu stecken, um die Folgen des Wirtschaftsmodells auszugleichen. Denn während sich beispielsweise Hotel- und Restaurantbesitzer eine goldene Nase verdienen, wächst das soziale Elend im karibischen Urlaubsparadies. Die Protestaktionen in den Armensiedlungen werden immer gewalttätiger. Ende März lieferten sich die Bewohner des Slums „Tres Brazos“ stundenlange Straßenschlachten mit der Polizei. „Die Einkommensschere klafft immer weiter auseinander, das entlädt sich in Unzufriedenheit“, erklärt der bekannte Ökonom Ceara die soziale Spannung. Über 70 Prozent der Bevölkerung leben heute in Armut, 1980 waren es nur etwas mehr als die Hälfte.
Alle Präsidentschaftskandidaten haben sich den Kampf gegen die Armut auf die Fahnen geschrieben. Doch zur Finanzierung des Sozialbudgets braucht der zukünftige Präsident viel Geld. Durch die Wirtschaftsöffnung fallen die Zolleinnahmen sukzessive weg. Als Ausweg bleibt die Erhöhung des Steueraufkommens. Aber in einem Land, wo gerade die Reichen und VielverdienerInnen kaum Steuern gezahlt haben, ist das nicht so einfach. Egal, wie der Präsident heißt, der am 16. Mai gewählt wird: Um diesen harten innenpolitischen Kampf wird er nicht herumkommen. Jens Holst
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