Wand und Boden: Sonnen blühen auf
■ Kunst in Berlin jetzt: Disneyland, Works
Als der L.A.-„Night Stalker“, der Serienkiller Richard Ramirez, nach seinem Prozeß aus dem Gerichtssaal geführt wurde, wandte er sich zum Publikum und sagte: „See you in Disneyland.“ Er wollte damit wohl kaum zum Ausdruck bringen, daß er glaube, in die Hölle zu fahren. Wir Europäer neigen natürlich zu diesem Mißverständnis. Gerade deswegen erstaunt „Disneyland After Dark“, die 25 KünstlerInnen starke Gruppenausstellung, die das Kunstamt Kreuzberg vom Uppsala Konstmuseum übernommen hat. So richtig Achterbahn fahren auf der Nachtseite der Disneyzone, die uns schon im vollen Tageslicht ziemlich melancholisch stimmt, ist das nicht. Okay, Peter Lands Videoinstallation „Pink Space“ (1995) zeigt das Grauen: Sein stand up comedian ist ein fall down comedian. Der schwer angetrunkene Herr im eisblauen Paillettenjackett schafft es einfach nicht, den Barhocker im Spotlight zu erklimmen. Und Olav Westphalens „Battlefield“ (1995), ein leeres 360-Grad-Panorama aus Spanplatten, dem ein sehr schnell immer wieder darüber hinwegstreichender Videofilm sein Bild gibt, zeigt tatsächlich eine recht ungemütliche Vorstellung des Themenparks: Zwischen der öden, wüstenartigen Pappmaché-Modellandschaft wanken mit Bunkern beladene Schildkröten ihres Wegs. Dauerbeschuß untermalt die böse, bizarre Variation auf Disneys frontierland.
Denise Hawrysios „He Who Hesitates Is Lost“ (1996), eine mit der Axt durchgeschlagene Rigipswand, führt schließlich aus diesem Szenario in eher mildere Gefilde. So setzt sich Marcelle Price in ihrem Video „Teddy Bear“ (1995) eine Bärenmaske auf und schmiert sich Honig auf den Leib. Griffiger wird es wieder bei Allen Ruppersberg, dessen Plakatwand zugleich 24 Stunden „Nostalgie“ und 24 Stunden „Hard Core“ anpreist. „My House Is Your House“ von Nina Fischer und Maroan el Sani ist die mit einer Musikanlage bestückte Luxusausgabe des Pappkartonschlafplatzes. Technofreaks sind auch hier besser drauf, allerdings müssen sie Gardinen und Topfpflanzen ertragen.
Direkt in die Entertainmentzone begibt sich Frans Jacobi mit „The Dream of Reason Produces Monsters“ (1996). Der optische Aufheller läßt seine Fledermausschattenrisse auf Wand und Boden im blauen Neonlicht niedlich fluoreszieren. Auch Disneyland After Dark ist nur ein Comic.
Bis 23.6., Di.–So. 12–18, Mi. bis 20 Uhr, Mariannenplatz 2
Es hat aber ein gemeinsames Motiv mit der Ausstellung „Works“, die das Kulturamt Treptow anläßlich der Jubiläumsveranstaltung „Die Verhinderte Weltausstellung“ präsentiert. Auch Disneyland ist eine Art verhinderte Weltausstellung, allerdings nicht 1896 im Treptower Park eröffnet, sondern 1955 in Anaheim. „Works“ setzt mehr auf tomorrowland und will den Technologietransfer zwischen Kunst und Industrie untersuchen. Im studio bildende kunst arbeiten neun KünstlerInnen mittels Fotografien, Video- und Objektinstallationen am Zusammenhang von Kunst und Industriematerial, während im Parkhaus Treptow das Interesse von sechs KünstlerInnen Kunst & Medien gilt.
Die neueste Technik hat eigentlich keine Außen- und Innenseite mehr, sondern nur noch eine Benutzeroberfläche, ein Fenster, das aber nie den technologischen Prozeß selbst zeigt. Manche Leute mögen ja Schaltpläne lesen können, aber die meisten werden sie nur ornamental wahrnehmen. Daher ist deren bunte, kreuz und quer entlang den Wänden gespannte Wollfaden-Ausführung von Angela Lubic schlicht bestechend. In ihrer absurden Schaltzentrale für die Visionen von morgen klingelt natürlich das Telefon, summt der Faxton, hört man Wähl- und andere elektronische Geräusche.
Auch Johannes Oberthür hat für „Verschwinden und Erscheinen“ den Deckel aufgemacht. Durch das Fenster einer Wandnische sieht man sechs in einen Holzquader gesteckte Fernsehereingeweide. Ein Interface von außen nach innen fehlt. Der Roboter, dem Bettina Allamoda in ihrem Video „Robotix“ nachspürt, ist die berühmteste Form des Interface. Hier wird er gesteuert, aber dort arbeitet er. Vor allem wird er jedoch in Hollywood oder im asiatischen Kino gesteuert. Allamoda betreibt Science-fiction-Archäologie im Videozusammenschnitt der verschiedenen Robotergenerationen. Manchmal allerdings reicht auch ein Streicheln aus, damit die Technik reagiert. André Werner installiert eine Röhrenkamera so vor einen Schwarzweißmonitor, daß es eine Rückkopplung gibt, die wiederum pulsierende Quallen, zuckende Sterne und andere Lichtblumen evoziert. Sie werden in drei Farbmonitoren eingespeist. Um die Rückkopplung und die nach einigen Minuten erreichte Trägheit der Formen zu stören, reicht eine kurze Handbewegung aus. Neue Sonnen blühen auf.
Rainer Görß, Micha Brendel, Ilona Lenk und Albrecht Grüß von der Ost-West-Handwerkergruppe Interzone haben vier Tage vor der Schließung des VEB Schichtpreßstoffplattenwerks Bernau noch eine letzte Serie von Pertinax-Platten gepreßt. Entwickelt wurde der Halbkunststoff, der als Montage- oder Leiterplatte, als Isolator oder Gleitlager Verwendung fand, vom Erfinder des Bakelits. Interzone zeigt daraus zwei Tische, einen Klodeckel, der in Mahagoni nicht besser aussähe, mehrere Platten mit eingeschweißer Haut und „Verhaltensmuster bewegt“ als Inneneinrichtung: Fraktale Fatalismen näher definiert. Fatal ist eher, daß ihre delikaten Pertinax-Erfindungen die letzten sind. MK Kähnes geflieste Kofferdusche schließlich, mit Vorhang, Wasser aus Solarbehältern, zwei (!) Zahnbürsten und Handtuchhalter, hätte Duchamp entzückt. Soviel moderne Hygiene auf so wenig Raum ist Installationskunst schlechthin.
Bis 14.6., Mi.–Sa. 15–19 Uhr, Puschkinallee 5; Mo.–Fr. 13–18, So. 14–18 Uhr, Baumschulenstr. 78 Brigitte Werneburg
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