: Seine Lieblingsfeindin ist die reine Form
■ Die Dresdner Galerie Rähnitzgasse zeigt Felix Droeses ortsbezogene Arbeiten
1993 kam es während des Aufbaus der Felix-Droese-Schau in New York (Kunsthalle) zu einem kleinen Zwischenfall. Auf der Suche nach gelbem Papier für einen Scherenschnitt begegnete der höchst erstaunte Droese nämlichem Papier als „Dresden Yellow“. Was die verständnislose Verkäuferin nicht wissen konnte: Ein Hauptstück der Ausstellung war die neun Meter hohe Arbeit „Dresden Window“.
Derlei Koinzidenzen faszinieren den Künstler, der sich explizit mit dem fragwürdigen Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche beschäftigt und dabei schon in den Mauerresten der Ruine eine Fensteröffnung entdeckt hatte. Diese Negativform erschien ihm als schlanke Madonnenfigur; in Sperrholzplatten setzte er sie als „Dresden Window“ mit Ausblick auf die Lower East Side um. Die Kunsthalle war kurz zuvor selbst durch einen Brand zur Ruine geworden. Damit hatte sie viel von ihrer musealen Aura verloren und war dem Fenster der berühmten Ruine in Deutschland und der Wahrhaftigkeit des Verfalls nähergerückt.
Droese äußert sich auch mit der gegenwärtigen Ausstellung „Die Rückkehr zum Kunstwerk. (Semper-Oper)“ wieder kritisch zum Ort des Geschehens. In den frühen 80ern begegnete er am just rekonstruierten Opernhause Gottfried Sempers einer Fußbodenarabeske, die er nun mit Tierblut nachdruckt. Gemäß seiner Überzeugung, Kunst sei entweder „Kommerz oder Herzblut“ ohne Grautöne, wird das überkommene Gesamtkunstwerk Oper (ein Statussymbol der Stadt Dresden!) zur ausgebluteten Hülle. Insofern erscheint der Titel „Rückkehr zum Kunstwerk“ als vielfach gebrochen. Als genauer Beobachter spürt Droese leblose Hüllen auf: „Da in der Akademie haben sie jetzt Gold auf dem Dach. Die haben doch einen Schuß!“ (O-Ton Droese).
Die Kluft zwischen der kraftlosen jungen Generation, die derzeit dem Korsett der Kunsthochschule Dresden entsteigt, und dem tönenden Anspruch „Kunststadt“ entgeht ihm nicht. Verglichen mit DDR-Zeiten, als dort die Autoperforationsartisten (Brendel, Gabriel, Görß, Via Lewandowsky) ihr blutiges Unwesen trieben, fehlt heute Inspiration. Statt dessen diktiert die Denkmalpflege den Lehrplan im Großraummuseum Dresden, und neben der Kunstakademie entsteht mit der „Frauenkirche“ ein absurdes Gotteshaus neu: die reine Form, ohne Gegenwartsbezug und spirituellen Inhalt – Droeses Lieblingsfeindin. Ressentiments gegen die Provokationen eines Zugereisten lassen ihn unbeeindruckt; eher wütend äußert er sich über die grassierende Resignation und Passivität im Osten.
Mein Argument, die Ausstellung in der Galerie der Landeshauptstadt habe recht musealen Charakter, kann er entkräften. In diesem Gebäude stand jener Konferenztisch, an dem die Zensoren des damaligen Verbandes Bildender Künstler der DDR (VBKD) die Zulassungen zu den großen Kunstausstellungen erteilten oder verweigerten. „Die Erbschaft des Marxismus“ – ein rostrotes Rollbild (1984/85, aus Privatbesitz entliehen) residiert nun dort, wo der Vorsitzende gesessen haben mag. Wieder ein für Droese fast mystischer Zufall; einer der site-specific- Aspekte, aus denen sich viele Arbeiten speisen. Im Falle der Installation „Keine Kunst – aber Tatsachen“ ist die Geschichte eher biographischer Natur. „Ich bin kein urbaner Mensch“, sagt er selbst und versammelt Nicht-Kunst ländlichen Ursprungs um sich.
Ein uraltes Kästchen zeigt unter Glas ein seltsames Mumienpaar: zwei Krähen mit bloßgelegter Wirbelsäule – die Essenz von Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit. Etwas entfernt schwimmt ein Glaskolben in einer Schale. Beide Teile der Konstruktion verbindet an der Decke eine brüchige Schnur: Das existentielle Gleichgewicht kann jederzeit wanken! Was Droese in seinen Ensembles verwendet, ist primär nicht Kunstding; es ist eine Mistgabel, der geschnitzte Türstock „Alle Tage neu“, ebenfalls in Tierblut gedruckt, ein Kuchen aus Schlamm. Für ihn sind es alltägliche Tatsachen, mit denen allein er (und der Betrachter) den Weg zurück zum Kunstwerk finden kann. Nach einer Jugend in eher missionarischer Haltung liegt ihm heute mehr an der irdischen Verankerung seines Engagements. Parallelen drängen sich auf, doch scheint die gleichmacherische Klammer der Beuys-Schülerschaft im Falle Droese eher problematisch. Felix Droese kann und will sich nicht vom „Beuysschen Klassenfeld“ (Stüttgen) vereinnahmen lassen. Er spricht vom „Beuys-Syndrom“ als einer Krankheit von KunsthistorikerInnen, denen die Schubladen für engagierte Kunst ausgegangen sind. Susanne Altmann
Bis 15. Juni, Galerie Rähnitzgasse der Landeshauptstadt Dresden; parallel dazu in der Galerie Lehmann (Dresden) das Materialbild „Die Schlacht um Sarajevo“ 1995
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