: Die Stimmung ist echt trübe
Die Einwohner Hebrons gehen schweren Zeiten entgegen. Ob die israelische Armee abzieht, ist ungewiß. Statt dessen werden neue Siedler erwartet ■ Aus Hebron Karim al-Gawhary
Gedrückte Stimmung in Hebron. Die 120.000 palästinensischen Einwohner der Stadt wirken ratlos. Eigentlich sollte die israelische Armee hier schon am 28. März abgerückt sein. Doch davon ist keine Rede mehr. Im Gegenteil. Am Freitag hat Peres noch einmal versichert, daß er nicht daran denkt, vor der offiziellen Amtsübernahme seines Nachfolgers den Teilrückzug aus der Stadt Abrahams anzuordnen. Und Arafat nahm die Verschiebung gelassen hin. Man wollte den Israelis keinen Vorwand liefern, Netanjahu zum Ministerpräsidenten zu wählen.
„Peres oder Netanjahu – was Gott uns gibt, haben wir verdient“, sagt der alte Besitzer eines fünf Quadratmeter großen Cafés mit einem einzigen Tisch fatalistisch. Nachmittags um drei wirkt die Innenstadt von Hebron wie ausgestorben. Die meisten Läden sind mit schweren Eisenverschlägen verrammelt, und außer den israelischen Patrouillen streifen nur ein paar Alte durch die Innenstadt. „Die Jungen trauen sich um diese Zeit nicht mehr hierher, aus Angst Probleme mit der Armee zu bekommen“, erklärt der Alte die gespenstische Leere.
Der Hebroner Journalist Khaled Amayrieh ahnt nichts Gutes für die Zukunft. Vor zwei Monaten hat Ariel Scharon die 400 israelischen Siedlern in der Innenstadt besucht und versprochen, die Siedlungen mit Hilfe von privaten US- Geldern auszubauen. Rechtsaußen Scharon gilt als einer der populärsten Politiker des Wahlgewinners Likud. Glaubt man den Gerüchten, wird Netanjahu ihn zum neuen Finanzminister ernennen. Dann bleiben die großzügigen Zuteilungen an die Siedlungen sicherlich nicht mehr nur privat.
Große Veränderungen erwartet Amayrieh vom neuen Ministerpräsidenten nicht. „Er wird versuchen, international sein rechtes Antifriedensimage aufzubessern. Er wird eloquente Reden über den Frieden halten. Er wird vielleicht sogar einen Teilrückzug aus Hebron veranlassen“, glaubt der Journalist. Dem werde dann aber, so der Journalist, die Isolierung der Palästinenser und der Ausbau der israelischen Siedlungen folgen. Amayrieh wirkt niedergeschlagen. „Netanjahu wird das Leben der Palästinenser zur Hölle machen. Die Verzweiflung, die dadurch entsteht, schafft den fruchtbaren Boden für gewalttätige Aktionen nicht nur von Hamas, sondern auch von anderen nicht religiösen Gruppen.“
„Arafat ist mit der Abwahl von Peres zum Waisen geworden“, sagt Amayrieh. Dessen größter Fehler sei es gewesen, alle Eier in den Korb von Peres zu legen, anstatt konsequent die Rechte der Palästinenser einzuklagen. Nun seit es zu spät. Gleich nach seinem Erfolg hat Netanjahu den ägyptischen Präsidenten Mubarak und den jordanischen König Hussein angerufen, um zu versichern, daß auch mit ihm geredet werden könne. Arafat dagegen wartete vergeblich auf das Klingeln seines Telefons.
Viele Palästinenser reden sich jetzt Mut zu. „Netanjahu hat wenigstens klare Positionen, und wir wissen genau, mit wem wir es zu tun haben“, erklärt Abbas Zaki, der bei den ersten palästinensischen Wahlen für den Autonomierat die meisten Hebroner Stimmen für sich gewinnen konnte. Geschichtlich bevorzuge er ohnehin die Likud-Partei. Unter der Arbeitspartei hätte es drei Kriege gegeben, und es sei der Likud-Ministerpräsident Menachim Begin gewesen, der den Sinai an Ägypten zurückgegeben habe. Andere sprechen von Schimon Peres und Benjamin Netanjahu als von zwei Seiten einer Medaille und davon, daß der Friedensprozeß unumkehrbar sei oder daß Netanjahus Politik in Zukunft die Reihen der Araber erneut schließen könnte.
Als Sieger dürfen sich dagegen die israelischen Siedler in Hebron fühlen. Deren Lieblingspartei, die rechtsradikale nationalreligiöse Partei (NRP) konnte sich im israelischen Parlament von sechs auf zehn Sitze verbessern. Fast 90 Prozent der Siedler im Westjordanland haben für Netanjahu gestimmt. „Er ist unser Held“, sagt ein junger orthodoxer Jude, der im Schutz einer bewaffneten Eskorte der israelischen Armee am Sabbat in der Innenstadt Hebrons spazierengeht. Die Siedler Hebrons erwarten goldene Zeiten. Deren Sprecher, Noam Aron, schwärmt bereits von tausend zusätzlichen Siedlerfamilien, die demnächst in Hebron eintreffen sollen. „Die Siedler befinden sich in einer Art Ekstase“, beschreibt der palästinensische Journalist Amayrieh die Hochstimmung auf der Gegenseite. Dann hält er inne: „Wir leben in einer äußerst verwundbaren Situation, und ich hoffe nur, daß meine pessimistischen Prophezeiungen nicht wahr werden“.
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