: Die zweite Eroberung Afrikas
■ Weltbank und Industrienationen fordern von den Ländern südlich der Sahara offene Märkte und Anschluß ans Internet, die Telekombranche setzt zum Run an
Als die Vertreter der bedeutendsten Industrienationen Anfang 1995 bei einem Treffen in Brüssel zur Gestaltung der Informationsgesellschaft aufriefen, wurde ihr Enthusiasmus von einer skepischen Stimme aus dem Süden gedämpft. Thabo Mbeki, Vizepräsident des neuen Südafrika, klärte die G7-Konferenz darüber auf, daß mehr als die Hälfte der Menschheit noch nie telefoniert hat. Das Schlußlicht bildet der afrikanische Kontinent. „In Manhattan“, sagte Mbeki, „gibt es mehr Telefonleitungen als in Afrika südlich der Sahara“.
Der gelernte Ökonom, der mittlerweile als Nachfolger Nelson Mandelas gehandelt wird, schlug vor, „einen breiten Querschnitt von Industrie- und Entwicklungsländern in die Debatte einzubeziehen.“ Kaum fünfzehn Monate später stellt Mbeki nun zufrieden fest: „Manche Wünsche werden wahr!“
In Midrand bei Johannesburg durfte er Mitte Mai die Konferenz „Informationsgesellschaft und Entwicklung (ISAD)“ eröffnen, ein Treffen auf höchster Ebene, das bereits jetzt als historisch gilt. Für drei Tage kamen RepräsentantInnen der G7, der EU und 18 multilateraler Organisationen – von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bis zur Weltkulturorganisation (Unesco), der Weltbank und der Weltorganisation für geistiges Eigentum (Wipo) – mit Delegationen aus etwa dreißig Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zusammen. Diskutiert wurden Strategien, Finanzierungsmodelle und die mögliche internationale Zusammenarbeit für die Verwirklichung einer Vision, die „Globale Informationsgesellschaft“ heißt, abgekürzt „GIS“.
Was sich hinter dem Schlagwort verbirgt, ist ein Gemisch wirtschaftlicher Interessen, Entwicklungsforderungen und technischer Phantasien. Vorrangiges Ziel der Konferenz war die rasche Anbindung Afrikas an die Datennetze. Neben der Ministerkonferenz debattierten die Konferenzteilnehmer über Bildungsbedürfnisse, Infrastrukturmaßnahmen und Nutzungsmöglichkeiten der Technologien. Hier nahm neben WissenschaftlerInnen teil, was in der Kommunikationsindustrie Rang und Namen hat: Microsoft, Olivetti, AT & T, SEGA, Siemens – und die Deutsche Telekom, deren Chef Ron Sommer das Entree in Südafrika durch Postminister Bötsch erhielt.
Während AL Gore über Satellit das Mantra „Liberalisierung und Deregulierung“ verkündete, drängte Jacques Santer, Präsident der EU-Kommission, etwas sanfter auf eine „öffentlich-private Partnerschaft für das nächste Jahrtausend“. Santer kündigte eine 11- Millionen-Ecu-Initiative zur Sammlung und Verbreitung elektronischer Daten über den Handel in Afrika an.
In Brüssel und Bonn ist man zufrieden. Ob die Länder des Südens jedoch tatsächlich der Forderung des deutschen Wirtschaftministers Rexrodt folgen sollten, ist eher zweifelhaft. Nelson Mandela hatte erklärt, daß der Zugang zu Informationen und Kommunikation ein Menschenrecht sei. Für Rexrodt ist das vor allem eines: „Anspruchsdenken“. „Ich bin ganz offen“, sagte der Deutsche, „die enormen Investitionen können nicht von Regierungen finanziert werden. Der Schlüssel ist privates Investment.“
Sehr zum Ärger der Gewerkschaften denkt auch Südafrikas Regierung über die Teilprivatisierungen nach. Kommunikationsminister Jay Naidoo sucht nach Käufern für einen 25-Prozent Anteil an der Telefongesellschaft – weshalb die gesamte Telekom-Branche Nordamerikas und Europas bei ihm Schlange steht.
Doch nicht alle mögen in das Hohelied vom freien Markt einstimmen. „Wem dient es, wenn wir uns öffnen, ohne eigene Software und Anwendungen zu entwickeln?“ fragt etwa Edwin Blake vom Nationalen Informationstechnologie-Forum. Der Gewerkschaftsdachverband Cosatu klagt soziale Bedürfnisse gegen einen drohenden „Techno-Imperialismus“ ein, die senegalesische Computerwissenschaftlerin Edem Fianyo warnt: „Die Anbindung an das Netz ist nicht so sehr ein technisches Problem. Eine der Gefahren im Internet ist, daß die Informationen aus dem Norden kommen. Wenn der Highway Wirklichkeit wird, ohne daß Afrika darauf vorbereitet ist, wird der Verkehr aus einer Einbahnstraße auf uns zukommen.“
Vor allem von den Ländern südlich der Sahara erwarten Weltbank und G7 inzwischen, daß sie per „leapfrog“ – mit einem Bocksprung – über die Industriegesellschaft hinweg im Informationszeitalter landen. Der Run auf den Kontinent hat begonnen. Die EU, mit den alten Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien, will Länder, die das entsprechende Wirtschaftspotential aufweisen, in den Weltmarkt integrieren. Zu den ersten Kandidaten gehört Südafrika. In den USA zählt auch Ghana, das mit der Privatisierung seiner Energie-, Kommunikations- und Minensektoren begonnen hat, zu jenen zehn „großen aufstrebenden Märkten“, denen das Wirtschaftsministerium besondere Beachtung schenken will.
Das gesamte Volumen des afrikanischen Telekommunikationsmarktes soll in den nächsten Jahren auf 10 bis 12 Milliarden wachsen. Die Weltbank stellt seine Erschließung sogar in den Dienst der „Gleichheit und Armutsreduzierung“. In einem Strategiepapier heißt es: „Afrika muß diese Gelegenheit rasch ergreifen. Wenn afrikanische Länder nicht in der Lage sind, die Vorteile der Informationsrevolution und des Surfens auf dieser großen Welle technologischen Wandels zu nutzen, können sie von ihr zerschmettert werden.“
Bis zum Jahr 2000, so die derzeitige Planung, soll Afrika am Internet sein. Zwei Großprojekte lassen diese Perpektive durchaus realistisch erscheinen: Einen Satelliten zur Versorgung des gesamten Kontinents mit Sprache, Bild und Text will Rascom, die 1993 gegründete Regionale Afrikanische Satellitenkommunikationsorganisation, über dem Himmel Afrikas stationieren. Im vergangenen Jahr wurde mit Intelsat, dem größten kommerziellen Anbieter von Satellitendiensten, ein Vertrag über den Kauf von Kapazitäten abgeschlossen. Im März 1998 soll Intelsat 805 im Orbit auf dem 33. Längengrad, etwa über dem Viktoriasee, in Betrieb gehen. Die Station kann die gesamte afrikanische Landmasse und den indischen Subkontinent versorgen.
Ein weiteres Projekt wollen PATU, die panafrikanische Organisation für Telekommunikation, Rascom und der US-Konzern AT & T schon im kommenden Jahr zusammen in Angriff nehmen: „Africa ONE“, ein rund um den Kontinent unter Wasser verlegtes Glasfaserkabel, soll 32 Küstenländern ab 1999 Zugang zum Superhighway erschließen. Die 39.000 Kilometer Kabel wird AT & T in Kooperation mit der französischen Alcatel verlegen. Afrikanische Binnenländer sollen dann später über Satelliten, Mikrowellen und landverlegte Glasfaserkabel versorgt werden. Bezahlen sollen das bisher auf 2 Milliarden US-Dollar geschätzten Projekt afrikanische Staaten, unterstützt von multilateralen Institutionen, privaten Investoren sowie internationalen Anbietern von Telekommunikationsdiensten – Africa ONE wird auch Italien, Spanien, Portugal und Saudi-Arabien ans Netz bringen.
Skeptisch bleibt bei alledem David Lush vom Medieninstitut für das südliche Afrika (MISA) in Namibia. Zwar nutzt MISA den Cyberspace gegen die „Informationsleere“ im südlichen Afrika, wie Lush sagt. Aber er weiß: „Hier gibt es haufenweise Medien ohne Computer, Journalisten setzen eher auf ihre Füße als auf das Telefon – noch weniger auf das Internet. Eher als kleinen Medienagenturen mehr Macht und Möglichkeiten zu bieten, könnte das Internet deshalb eine Medienelite schaffen, die ihre weniger vernetzten KollegInnen und Konkurrenten überschwemmt. Zu einer Medienvielfalt führt das gewiß nicht.“ Ute Sprenger
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