piwik no script img

Näherung an Karthagos Reste

■ Das Helms Museum zeigt die Grabungsfunde eines Hamburger Archäologen-Teams

Kaum eine andere große Kultur ist so ausschließlich nur durch die Propaganda ihrer Feinde bekannt wie die punische, wenige einst weltbedeutende Orte sind so gründlich zerstört worden wie Karthago. Selbst den meisten Bewohnern des nördlichen Villenvororts von Tunis ist es egal, daß fünf bis zehn Meter unter ihnen die antike Metropole begraben ist. Doch für Archäologen gibt es noch Neues zu entdecken. Seit 1986 gräbt ein Team der Uni Hamburg nach der Frühzeit der Stadt und durfte, was heute selten ist, alle Funde nach Hamburg bringen. Eine Ausstellung in Harburg zeigt jetzt Scherben, Pläne und Ergebnisse.

Die phönizischen Händler aus Byblos, Sidon und Tyrus an der heute libanesischen Küste hatten seit dem Ende des 12. Jahrhunderts vor unserer Zeit das ganze Mittelmeer erkundet und in Zypern, Malta, Sizilien, Nordafrika, Spanien und Südportugal Niederlassungen gegründet. Mit bis zu sechsstöckigen Häusern, allem Komfort und einem sicheren Hafen war die blühendste „Qart-Hadasht“, was phönizisch „die neue Stadt“ heißt und zu Karthago wurde.

„Was wir ausgraben ist Kulturschutt, also Abfall“, sagt Ralf Busch, Direktor des Hamburger Museums für Archäologie. So wurden nicht jene edlen Waren gefunden, deren Qualität einst weit berühmt war. Selbst bei den Römern galt das Etikett „punisch“ als Gütesiegel, auch wenn die Karthager über Jahrhunderte die größten Rivalen um die Macht im Mittelmeerraum waren. Obwohl Hannibal mit Kriegselefanten über die Alpen zog, die Römer von unerwarteter Seite angriff und ihnen empfindliche Verluste beibrachte, konnte schließlich doch Rom 201 v.u.Z. den Gegnern einen Friedensvertrag aufzwingen, der unter anderem die Zahlung der ungeheuren Summe von zehntausend Talenten Silbers in hundert Jahren vorsah. Doch trotz aller Beschränkungen boomte Karthago: die Schuld wurde in nur vierzig Jahren abgezahlt und in Rom tönte Cato: „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam!“ (Im übrigen meine ich, Karthago muß zerstört werden). Am Ende des dritten punischen Krieges, 146 v.u.Z., hatte Rom gesiegt: Karthago wurde gnadenlos zerstört, umgepflügt und mit Salz bestreut. Doch auch die Römer erkannten die günstige Lage des Ortes und unter Cäsar wurde auf dem Schutt eine neue Stadt gegründet: „Colonia Iulia Concordia Carthago“.

Totale Zerstörung, wiederholte Überbauung und keine Schriftquellen: Da wuchern die Legenden und die Archäologen sind froh über jeden Hinweis auf das wirkliche Leben. Der Göttin Tanit sollen die Karthager massenhaft Kinder geopfert haben, wie Diodorus Siculus in hellenistischer Zeit schreibt und Gustave Flaubert in seinem Roman „Salammbo“ 1862 wieder aufnahm. Die großen Kinderfriedhöfe, die in jeder phönizischen Siedlung zu finden sind, sind aber nur separate Begräbnisplätze für die, die noch nicht rituell in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufgenommen waren. Die Hamburger Grabung hat jetzt erstmalig einen kleinen Tempel der Tanit und des Ba'al Hammon aus dem sechsten Jahrhundert v.u.Z. aufgefunden: Sinterspuren auf dem Fußboden belegen, daß hier ganz friedlich rituelle Wasserspenden vorgenommen wurden.

Hajo Schiff

Hamburger Museum für Archäologie und die Geschichte Harburgs, Di-Fr 10-17 Uhr, bis 10. September, Katalog 25 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen