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Ein Flecken im Universum

Ravanelli ist shit, gegen Deutschland muß Gianfranco Zola ran: Wie zwei studentische Barkeeper mit der italienischen Besatzung zurechtkommen  ■ Aus Alsager Peter Unfried

Cheshire ist schön grün. In Cheshire findet sich Chester mit seiner altrömischen Pracht. Sonst ist Cheshire eher ruhig. Es besteht hauptsächlich aus kleinen Städtchen, die in ihrer Mitte kleine Fußgängerzonen haben – und kleine Shoppingcenter und große Parkplätze. Besonders ruhig ist es in Alsager. Es gibt Menschen, die spekulieren, daß, wenn es denn einen besonders hellen Flecken im Universum gebe, Alsager von da aus gesehen der am weitesten entfernte Ort sei.

Tatsächlich ist es Christian K. Rose, der das glaubt. Der muß es wissen. Rose studiert an der Crewe and Alsager Faculty. Das ist ein Ableger der Manchester Metropolitan University. Jetzt ist das Semester in der letzten Woche, Donnerstag und Freitag sind noch Abschlußparties, dann ist Schluß. Viele sind bereits weg, Rose ist geblieben, denn Rose hat einen Job. Er schenkt im Wesley Center inmitten des Campus den Alkohol ein in der Bar für die italienischen Fußballjournalisten.

Wenn das mit dem Flecken und dem Universum stimmen sollte, könnte das wiederum genau der Grund sein, warum es Arrigo Sacchi mit der italienischen Fußballnationalmannschaft nach Alsager verschlagen hat. Die Italiener wohnen zwar ein paar Meilen weiter nördlich in Sandbach. Trainiert aber wird auf dem Cricketplatz der sportwissenschaftlichen Anstalt.

Gestern hat man sehen können, wie sich Sacchi dort rücklings auf den Rasen gelegt hat wie ein Maikäfer. Dabei hat er nicht gebrummt, sondern Zola, Fuser, Donadoni und Albertini beim Freistoßtraining zugesehen – und dabei unaufhörlich geredet. „Du mußt den Ball höher ansetzen, Demetrio“, sagte er zu Albertini, „du weißt doch, daß die Deutschen groß sind.“ Sacchi hat sich nach langem Grübeln entschlossen, Maldini die Verteidigung an zentraler Stelle leiten zu lassen. Dafür rückt Carboni nach links. Und Donadoni wird im Mittelfeld spielen. Das ist sicher, denn diese Spieler trugen im Abschlußspiel das rote Leibchen.

Für Christian Rose ist wichtig, daß Zola spielt. Jeden Tag kommen die Kinder von Alsager, schauen beim Training zu und halten ihre Autogrammblöcke hin. Die meisten Spieler, sagt Rose, gehen einfach weg. Der Stürmer aus Parma ist der einzige, der sich zu ihnen setzt. Mit ihnen redet. Zola kann Englisch. Fast alle anderen können Italienisch, sonst nichts.

Seit die Italiener da sind, dürfen die Studenten nicht mehr in ihre Kantine. Da ist jetzt die sala stampa, der Arbeitsraum der italienischen Journalisten. Die fallen morgens gegen zehn mit großem Getöse ein – und kriegen in der Bar ihr Zeug umsonst. „Es ist lächerlich“, sagt Rose, „wir dürfen die Paparazzi und die Leute von IP bedienen, aber an Studenten darf ich nicht mehr ausschenken.“ Zugegeben: Es sind nur noch etwa hundert von sechshundert auf dem Campus. Aber: In der Bar wird sonst immer an Studenten ausgeschenkt. Jetzt fühlen sie sich als Fremde im eigenen Haus.

Weiter nördlich im Touristenort Scarborough hat man 20.000 Pfund investiert, um mit den Bulgaren zu werben. Die aber sagten: „Nichts los“, und zogen weiter. Im einigermaßen pittoresken Macclesfield hat man in die Deutschen investiert. Berti Vogts hat zum Dank den Fußballplatz der Stadt für alle Zeiten als Glassplitterwüste gebrandmarkt. In Sandbach hat die lokale Handelskammer „erfreut zur Kenntnis genommen“, daß die Läden italienisch orientiert waren – und italienische Kundschaft bekommen haben.

In Alsager haben sie den Rasen renoviert. Zwei Monate war er gesperrt. Dann, letzte Woche, fand Rose ihn, „wie er nie zuvor war“. Und die Umkleideräume waren komplett renoviert. Die Sache wurde in der Regionalpresse groß gefahren. Die italienische Inspektion im Frühjahr hatte Mängel festgestellt: Duschen und Toiletten wurden neu installiert, die Wände gestrichen, der Boden neu verlegt. Insbesondere soll ein Bedarf an Spiegeln und Fönen geltend gemacht worden sein. „Während wir duschen und dann unser nasses Haar nur zurückkämmen“, teilte die Daily Post den erstaunten Landsleuten mit, „fönen die Italiener ihre Haare.“ Und die Spiegel brauchten sie, „um sicherzustellen, daß sie gut aussehen“.

Als der Betreuer Christian Rose mit seiner Gruppe von Unterschenkelamputierten die neuen Toiletten nutzen wollte, da fand er sie verschlossen. „Man wollte sie schonen“, sagte er, „wir hätten ein paar hundert Yards zur nächsten gehen sollen.“ Er mußte erst mächtig Krach machen, bevor man ihn ließ.

Tatsächlich sieht Rose mit seinem extrem kurzen blonden Haar nicht aus wie einer, der gern alles mit sich machen läßt. 20.000 Pfund hat das College für die Gäste ausgegeben, und auch der Barkeeperkollege hat das Gefühl, man hätte sie auch anders nutzen können. „Da drüben sind Räume“, sagt Andrew E. Gilbert, „die sind älter als ich. Und so sehen sie auch aus.“ Gilbert ist 19 und kommt aus Droylsden. Das ist ein östlicher Teil von Greater Manchester.

Gilbert kam nach Alsager, weil die Schule „einen guten Ruf“ hat. Rose ist aus dem Süden und bekam einen Anruf mit der erfreulichen Mitteilung, er sei an der Manchester Metropolitan University zugelassen. „Metropole Manchester“, rief er da aus, „großartig.“ Das urbane Studierenden-Nachtleben visionierend, fand er sich in der Zweigstelle Alsager. Die Stadt hat wohlwollend geschätzt vier Pubs, in die man gehen kann. Was soll man mit vier Pubs? Die noch dazu jeweils zwei Meilen auseinanderliegen. „Wenn ich hier nicht arbeiten würde“, sagt Gilbert, der groß ist und sanft, „dann würde ich zu Hause arbeiten. Aber da würde ich jeden Abend mit meinen Freunden ausgehen und das Geld verbraten.“ Hier kann er das nicht. Und also haben die Italiener auch ihre guten Seiten.

Rose hat auch einen Job hier. Aber er ist nicht sanft. Er sagt: „Sie haben zehn Jobs geschaffen. Großartig. Sonst nichts.“

Als die italienischen Journalisten mal wieder erregt die Sturmformation diskutierten, kam einer zum Barkeeper und fragte ihn:

„Was hältst du von Ravanelli?“

„Ravanelli is shit“, antwortete Rose.

An der Bar bekommt er so einiges mit. Manchmal hat er auch Zeit und geht die paar Schritte rüber zum Trainingsplatz. Der Journalist rannte rüber zu Ravanelli und erzählte ihm, was der Barkeeper über ihn denke. Seitdem ist Rose etwas beunruhigt. Ravanelli ist ziemlich bullig.

Vielleicht ist Ravanelli auch zornig. Denn der Juve-Stürmer trug gestern ein grünes Leibchen. „Zola muß ran“, sagte Rose, als die giornalisti längst davongeeilt waren und wieder himmlische Ruhe war in Alsager. Und tatsächlich: Neben Casiraghi trug auch Zola das rote Leibchen.

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