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DokumentationDringender Appell

■ Zum Wettbewerb für das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“

1. Die Entscheidung der Auslober, eine zweite Stufe des Wettbewerbs durchzuführen und damit die breite Diskussion über die Entwürfe seit dem Sommer letzten Jahres auch für das weitere Verfahren fruchtbar zu machen, eröffnet eine Chance, das Denkmal in würdiger Form zu realisieren.

2. Dazu gehört allerdings, diese Diskussion auf einer ernsthaften Grundlage zu führen, einer Grundlage, die nicht von vornherein alle unglücklichen Vorgaben des bisherigen Wettbewerbs wiederholt und damit eine Lösung der offenkundigen Probleme ausschließt.

3. Seit der Entscheidung über den Ort des Denkmals in den ehemaligen Ministergärten hat sich die Rolle Berlins in der deutschen Gesellschaft entscheidend gewandelt. Berlin ist nun das politische, nicht mehr nur das kulturelle und symbolische Zentrum Deutschlands geworden.

4. Schon die Ausschreibung, erst recht aber die eingegangenen Entwürfe für das bisherige Wettbewerbsgelände haben gezeigt, wie fragwürdig es war, die Erinnerung an das Verbrechen der (nichtjüdischen) deutschen Gesellschaft an den europäischen Juden auf einen Ort festzulegen, der smbolisch zuvörderst mit dem „Führer“ des Nationalsozialismus verbunden ist. Die damit implizierte Trennung von „Verführer und Verführten“, von „Tätern und deutschem Volk“ widerspricht auch dem Interesse der Auslober, der Verantwortung der nichtjüdischen deutschen Gesellschaft für die Verbrechen Ausdruck zu verleihen.

5. Des weiteren kann auch die Verbindung des Wettbewerbsgeländes mit dem historischen Ort der deutschen Teilung nur als Aufrechnung von „Schuld“ und „Sühne“ verstanden werden. Schlimmer noch, als Aufrechnung von deutschen Verbrechen mit Nachkriegsvergehen an den Deutschen. Auch dies desavouiert das Gedächtnis des Holocaust [...].

6. Nach dem Umzug der deutschen Bundesregierung existiert in Berlin wieder ein zentraler politischer Ort der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft: das Regierungsviertel und der Platz der Republik. Hier ist der angemessene Ort, an dem die deutsche Gesellschaft ihre Verantwortung für die Vergangenheit, und das heißt eben auch für den Holocaust, zum Ausdruck bringen sollte.

7. Dies heißt auch, daß ein deutsches „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ sich der Erinnerung der Täter in der deutschen Gesellschaft kritisch zu stellen hat und sich nicht in Adaptionen des Gedächtnisses der Opfer erschöpfen kann.

8. Die Formen, in denen dieses geschehen könnte, müssen öffentlich und intensiv diskutiert werden. Diese Diskussion muß einer Entscheidung darüber, wer an einer zweiten Stufe des Wettbewerbes beteiligt werden sollte, vorausgehen. Die Auslober sollten unverzüglich daran gehen, diese nötige Diskussion nach der Sommerpause zu organisieren.

9. Eine Einschränkung der Neueinladung auf eine willkürliche Zahl von „ersten“ Preisträgern stellt den Ernst des weiteren Vorgehens grundsätzlich in Frage. Alle 17 von der Jury ausgewählten Einsender müssen im weiteren Verfahren Berücksichtigung finden. Darüber hinaus sollten auf der Basis der Diskussion im Herbst dieses Jahres weitere Künstlerinnen und Künstler dazu geladen werden, die schon mit prononcierten Arbeiten zu diesem Thema hervorgetreten sind [...].

10. Die beteiligten Künstlerinnen und Künstler sollten ein halbes Jahr Zeit für die Erstellung ihrer Entwürfe erhalten. Die Auslober sollten ebenfalls im Gefolge der öffentlichen Diskussion im Herbst 1996 eine neue Jury ernennen, die im Frühjahr 1997 über die eingegangenen Entwürfe beraten und eine Entscheidung treffen wird. Es wäre dies eine Entscheidung, die selbstverständlich umstritten sein wird [...]. Aber das so errichtete Denkmal wird nicht länger der Zankapfel eines entwürdigenden öffentlichen Streites um Personen oder „political correctness“ sein. Das Denkmal, das am „Ende“ eines solchen Weges stünde, wäre nicht der Abschluß der Diskussionen, sondern fortwährender Anstoß zu produktiver Auseinandersetzung.

11. Parallel dazu sollte der vergangene Wettbewerb und die dadurch ausgelöste, in vieler Hinsicht beispielhafte und lehrreiche Diskussion öffentlich dokumentiert werden. Das Gelände in den ehemaligen Ministergärten sollte zum Ort für eine zeitlich begrenzte systematisierende Ausstellung von Entwürfen, Denkmalskonzepten und den Reaktionen der Öffentlichkeit werden. Dies wäre in jedem Fall ein angemessener und zeitgemäßer Ausdruck des Umgang der deutschen Gesellschaft mit der Erinnerung an den Holocaust. Hanno Loewy (Fritz Bauer Institut Frankfurt am Main)

Christian Staffa (Institut für vergleichende Geschichtswissenschaften Berlin)

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