: Metaphysiker der Revolution
■ Chinas KP ist erst 75 – und schreibt schon Heilslegenden
Berlin (taz) – Genau 75 Jahre ist es her, daß eine Handvoll Enthusiasten in Schanghai die Kommunistische Partei Chinas gründeten. Gestern durften rund 57 Millionen Mitglieder den Geburtstag feiern. Die Partei organisiert rund fünf Prozent der chinesischen Bevölkerung.
Die Mitgliedschaft in der Partei bedeutet auch heute die Voraussetzung für eine Karriere in den Apparaten der chinesischen Staatsmacht. Aber diese Staatsmacht hat das Grundvertrauen der Bevölkerung eingebüßt, das sie nach dem Sieg im Bürgerkrieg mehrere Jahrzehnte lang umgab. Der Parteistaat gilt als Bereicherungsmaschine, wogegen die zahlreichen Antikorruptionskampagnen ebenso wenig ausrichten können wie das rührende Bemühen, Opfermut und Selbstlosigkeit in Heiligengeschichten „einfacher Genossen“ fortleben zu lassen.
Ein undurchführbarer Balanceakt, nämlich Mao Tse- Tung einerseits zu kanonisieren, andererseits für eine Reihe politischer und sozialer Katastrophen verantwortlich zu machen, hat den Mythos dieses großen Revolutionärs zerstört. Von denen, die das Elend vor 1949 kennengelernt haben, lebt kaum noch einer. Maßstab für die chinesische Bevölkerung sind heute Hongkong, Singapur, Taiwan. Und der „eiserne Reisnapf“, sprich die soziale Grundsicherung, ist im Zuge der Reformen selbst gefährdet.
Für die Parteiführung ist die Kontrolle über die Geschichtsschreibung Herrschaftsinstrument. Eine auch jetzt noch gültige Resolution des Zentralkomitees von 1981 legt die Grundlinien fest: bis 1966 glänzende Erfolge, allerdings beeinträchtigt durch voluntaristische Bocksprünge des großen Steuermanns wie dem „großen Sprung nach vorn“. 1966 bis 1976: die totale Katastrophe in Form der Kulturrevolution. Ab 1977: unter Dengs Inspiration eine erneute steile Aufwärtsbewegung. Die Geschichte Chinas wird jetzt nicht mehr als Abfolge von Linienkämpfen interpretiert, die selbst Ausdruck des Klassenkampfs in der Partei sind. Vielmehr bleibt die Partei unbesiegbar, weil sie keine Sonderinteressen vertritt, dem Volk dient und mit ihm verbunden ist. Wem diese Parteimetaphysik zu dünn ist, für den steht immer noch die Parole bereit: „Ohne die KP kein neues China.“ Dieser Appell an den Patriotismus ist die letzte Rückzugslinie. C.S.
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