: Die Stadtbahn machte Hamburg groß
■ Die Tram: Erst das Rückgrat des ÖPNV, dann nur noch Verkehrshindernis / Hamburgs erste Straßenbahn-Ära dauerte von 1862 bis 1978
Der Aufstieg Hamburgs zur Weltstadt ist untrennbar mit der Straßenbahn verknüpft. Das neue motorisierte und hocheffiziente Massenverkehrsmittel war Voraussetzung für den Aufstieg zur modernen Großstadt. Während Paris und London in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts vor allem auf die Eisenbahn setzten, vertraute Hamburg, ähnlich wie Los Angeles, Chicago und München, der Straßenbahn. Immer aber waren es Schienenverkehrsmittel, welche das Wachstum der Städte ermöglichten. Industrie, Kultur und Stadtgesellschaft der neuzeitlichen Millionenstädte waren auf eine funktionstüchtige, bezahlbare und stadtverträgliche Mobilität angewiesen.
1904 fuhr die Tram schneller und häufiger als heute die Busse
Schon im Jahr 1862 wurden die ersten Pferdeomnibusse auf Schienen gestellt – die Straßenbahn erobert den städtischen Raum. Nach der Gründung der „Großen Straßen-Eisenbahn-Gesellschaft“ im Jahr 1880 machte man sich an die Elektrifizierung, 13 Jahre später wird ein Grundnetz in Betrieb genommen.
1904 zählt die Millionenstadt Hamburg, damals noch ohne Altona, Harburg, Wandsbek und Bergedorf, zu den 20 größten Städten der Welt. Durch manchen Straßenzug rollte die Elektrische im Minutentakt – häufiger und schneller als heute die HVV-Busse. 121 Millionen Fahrgäste jährlich zählte die Tram. Im heutigen drei Millionen Menschen umfassenden Einzugsgebiet kommt der gesamte HVV gerade mal auf 450 Millionen Fahrgäste.
Im Jahr 1913 war Hamburg von 40 Straßenbahnlinien erschlossen. Der Stadtverkehr dieser Zeit entsprach den Zukunftsvisionen heutiger Verkehrsplaner: Die Stadt der kurzen Wege, in der Wohnen, Arbeit, Bildung, Freizeit und Konsum dicht beieinander liegen. Das Leben spielte sich stärker in den Stadtteilen selbst ab, wo Fuß und Fahrrad völlig ausreichten. Erst bei größeren Entfernungen kam die Straßenbahn ins Spiel. Dieses integrierte Verkehrskonzept, heute neudeutsch „Umweltverbund“ bezeichnet, sorgte für eine großstädtische Mobilität, deren Qualität seither nie wieder erreicht wurde.
Einen ersten Rückschlag brachte der Erste Weltkrieg. Die öffentliche Armut der Nachkriegszeit verhinderte, daß alle Linien der Vorkriegszeit wieder in Betrieb genommen wurden. Ende der 20er Jahre erlebte die Straßenbahn gleichwohl eine Blütezeit. Der Puls der Werft- und Handelsmetropole schlug in den Goldenen Zwanzigern im Klingeltakt der Tram, die mittlerweile in U-Bahn und S-Bahn zwei wichtige Partner gefunden hatte.
Mit erstaunlichem Weitblick formulierte Ende der 30er Jahre ein hoher Hamburger Beamter, Regierungsassessor Jürgens, ein sensationelles Konzept, welches die wachsenden Probleme der Tram in den verstopften Straßen und die hohen Kosten von S- und U-Bahn auf einen Schlag zu lösen versprach. Protokollauszug von 1937: „Regierungsassessor Jürgens beweist anhand von Schaubildern, daß der Ausbau weiterer Untergrundschnellbahnen für Hamburg nicht erforderlich ist. Die Verkehrsleistungen einer neuen Untergrundschnellbahn können mit derselben Geschwindigkeit auch durch Straßenschnellbahnen auf eigenem Bahnkörper erzielt werden. Ein weiterer Vorteil derartiger Straßenschnellbahnen ist, daß die Verkehrsteilnehmer nicht durch anonyme Tunnels, sondern über schöne neue Straßen durch die Stadt befördert werden. Die Kosten einer derartigen Straßenschnellbahn belaufen sich auf etwa 0,3 Millionen Mark je Kilometer, während eine Hochbahn 4 Millionen Mark und eine Untergrundbahn 10 Millionen Mark Baukosten je Kilometer erfordern. Auch in den verkehrsdichtesten Straßen (Mönckebergstraße) wird die Durchführung der Straßenschnellbahn auf eigenem Bahnkörper möglich sein.“
Der systematische Kaalschlag begann Ende der 50er Jahre
Damit formulierte Jürgens bereits vor knapp 60 Jahren das Credo moderner Stadtbahnkonzepte, eine Strategie, deren Chancen zwei Generationen später die Verkehrsplaner der Baubehörde erneut zu begreifen beginnen.
Der Verkehrswiederaufbau Hamburgs nach dem Zweiten Weltkrieg vergaß bald die Erkenntnisse von Jürgens. Zunächst waren die 50er Jahre noch einmal eine große Zeit für die Tram: Als 1955 mit einer Neubaustrecke nach Lurup zum letzten Mal das Streckennetz erweitert wurde, welches freilich schon damals weit unter dem von 1913 und 1928 lag, wurden auf 18 Straßenbahnlinien und 187 Netzkilometern 266 Millionen Menschen befördert, mehr als mit jedem anderen Verkehrsmittel. Doch schon bald begann der systematische Kahlschlag. Ende der 50er Jahre beschloß der
Hamburger Senat den allmählichen Tod der Straßenbahn. Teure und nur zum Teil verwirklichte U- und S-Bahnprojekte bildeten die Fassade für den eigentlichen Zweck: Platz auf den Straßen fürs Auto. Mit zweifelhaftem Erfolg: Die Straßenbahnen verschwanden, das Auto erstickt in der eigenen Masse.
Das Ende der Straßenbahn kam nach bewährter Senatsmethode als Tod auf Raten: Systematisch wurden die alten Anlagen verschlissen, Neuinvestitionen nicht mehr getätigt. Zwar wurde parallel zur schrittweisen Einstellung der Linien auch das U-Bahn-Netz erweitert – die Neubaugebiete wurden allerdings nicht, wie versprochen, oder mit jahrzehntelanger Verspätung (wie jetzt Mümmelmannsberg) ans Schnellbahnnetz angeschlossen.
Als mit der Linie 2 (heute Bus 102) im Jahre 1978 gegen lautstarke Proteste der Bevölkerung die letzte Strecke stillgelegt wurde, hatten die Verkehrsplaner nur eins im Blick: Freie Fahrt fürs Auto. Hans-Ulrich Klose, damals Bürgermeister, 1989 rückblickend in einem taz-Interview: „Die Straßenbahn galt damals als Verkehrshindernis.“ Florian Marten
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