Wand und Boden: Die Vergangenheit bleibt in Zukunft eine Leerstelle
■ Kunst in Berlin jetzt: Franz Ackermann, Simone Mangos, Apollo III, Enda
Den Streit für oder gegen die Malerei hätte man lieber nicht so schnell und pragmatisch entscheiden sollen. Nun aber geht fast jedes Bild als Ironie durch, und die Wände bei der kommenden Berliner Kunstmesse werden 3,50 Meter hoch sein – damit man endlich mal ordentlich hängen kann. Das ist zuwenig. Es gibt bessere Gründe: So wie die Kontextarbeiten den Überschwang der achtziger Jahre gebremst haben, muß nun wiederum die Malerei deren Objektivitätsanspruch ein bißchen entzerren. Letztendlich ist auch ein Infopapier zur neoliberalen Baupolitik immer schon ein Bild. An dieser Schwelle zwischen komplexer Öffentlichkeit und spezialisiertem Betrieb lassen sich die Gemälde und Zeichnungen von Franz Ackermann ansiedeln, die auf Reisen durch Europa, Asien und USA entstanden sind: wild gemusterte und fiktive Stadtpläne, tripartig verwobene Aquarelle, auf denen Gebäude mit knallig psychedelischen Flächen zu einem surrealen Organismus verwachsen. Der Untertitel paßt zur Funktion: „mental maps“, Beipackzettel des Urbanismus. Anders als bei den mit Landkarten bedruckten Kissen von Guillermo Kuitca vermeidet Ackermann die Psychologisierung des Materials. Eher interessiert ihn, wie Nischen und Nonsense sich neben staatstragender Architektur oder historischen Monumenten ins Gesamtbild fügen. Auf „Evasion III“ ist die Siegessäule nur einige Pinselbreiten vom altberliner Toilettenhäuschen entfernt. Man kann in diesen Spuren lesen wie in der Prosa von Rolf Dieter Brinkmann.
Bis 31.8., Di-Sa 11-18 Uhr, Neugerriemschneider, Goethestr. 73
Wesentlich reduziertere Mittel benutzt Simone Mangos, um sich mit dem Stadtbild auseinanderzusetzen. Für ihre Installation in der Galerie Gebauer & Thumm hat die australische Künstlerin ein Geflecht aus Bauplanen durch sämtliche Räume gespannt. Sie scheinen auf Brusthöhe zu schweben, an den Wänden sind sie jedenfalls nur mit ein paar Stückchen Seife befestigt. Unweigerlich fühlt man sich durch das leichte hellblaue Schimmern des Netzwerks ans Meer erinnert, zugleich ist das Arrangement sehr konkret auf den Umbau Berlins bezogen. Der vordere Raum wird lediglich von einer kargen Glühbirne am Boden beleuchtet, an einigen Stellen liegt loser Mörtel herum, der sich von der Plastikplane gelöst hat. Unterhalb der monochromen Fläche sieht es nach Renovierarbeit aus: Sehnsucht nach Arkadien oder Kommentar zur Hauptstadtarchitektur?
Die Situation bleibt in ihrer feinen Balance unentscheidbar. Auf diese Weise verzahnt Mangos komplett gegensätzliche Assoziationsfelder, deren Widerspruch sich wie ein metaphorisches Scharnier in die Zukunftsplanung Berlins fügt. In der entgegengesetzten Richtung bewegt sich eine Fotografie vom Prinz-Albrecht- Gelände. Dort verdeckt eine graue Plakatwand das Areal der Gedenkstätte, von der man nicht weiß, ob es sich um eine beschädigte Hinweistafel fürs Mahnmal handelt oder um abgerissene Reklame. Man wird diese Leerstelle akzeptieren müssen, sie ist Teil der Erinnerung.
Bis 27.7., Di-Fr 14-19, Sa 13-16 Uhr, Torstr. 220
Apollo III will sehr viel auf einmal. Vier KünstlerInnen sollen mit einem Dutzend Arbeiten klären, wie sich Konzept, Abstraktion und Figürliches als Begriffe relativieren. Über einen solchen Coup kann man schmunzeln, wären da nicht immer noch Bilder an der Wand. Lorcan O'Byrne etwa malt großformatig Selbstporträts, Kumpels auf dem Sofa oder seine Frau. Mühsam windet sich ein rosa Lächeln aus der grauen Fläche, sonst bleiben die Gesichtszüge spröde und starr. Das Ganze weicht nur in Bruchteilen vom Schmuddel-Realismus der späten Schüler eines Pessimisten wie Lucien Freud ab. Ernst F. Drewes bedient sich für seine überdimensional zerklüfteten Pop-Reliefs bei Frank Stellas Farbengemenge, wobei die lackierten und grob ineinander geschobenen Kunststoffklumpen fast wie skulptural aufgeblasene Spachtelmassen auf einer mit Neon angemischten Palette wirken. Möglicherweise finden einige dieser aufwendigen Monster in Pink, Nachtblau und Gelb als Kunst am Bau einen Weg in die Öffentlichkeit. Petra Herzog dagegen bleibt mit ihren Streifen, Knäulen, Blümchenmustern und Ornamenten in einem überaus modischen Bereich, der den akademischen Verweis betont und sich dabei immer mehr hinter das Spiel mit Zitaten zurückzieht. Selbst in Titeln wie „Cowboys and Angels“ dominiert der Gedanke ans System. Auch bei Peter Rode spürt man vor allem die Akribie, mit der er sich an der Geschichte abarbeitet. Zu jeder Minimal- oder Konzept-art fallen ihm Variationen ein, dann bilden „vier Wasserwagen“ einen Bilderrahmen als Readymade. Von Lawrence Weiner übernimmt er die markanten Klammern, verzichtet aber auf die Schrift dazwischen, mit der Weiner Text und Bild zusammenhält. So hat Rode bereits Antworten als Lösung parat, wo es in der Regel eine Weile dauert, bis man die Frage überhaupt verstanden hat.
Bis 27.7., Di-So 14-19 Uhr, Museumsakademie, Rosenthaler 39
Daß man tatsächlich jedes Thema mit allen anderen verbinden kann, deutet sich schon im Titel der Ausstellung des Prager Künstlers Enda an: „Space – Love – Violence“. Entsprechend ist der kleinste gemeinsame Nenner Trash. Enda benutzt Fifties-Heftchen, Sixties-Filme und Postermotive aus den siebziger Jahren – alles auf einmal. In vier, fünf Schichten überlagern sich Graphiken von Surf-Girls und Affenmenschen, gemalte Science-Fiction- und Kungfu-Szenen, schnelle Autos, Logos und rammelnde Köter. Elvis lächelt von einer Rose auf seine Gitarre herab, Superhelden fliegen über gerasterte Wiesen. Es sieht nach Sigmar Polke aus, doch dafür sind die verschiedenen Stile von Siebdruck bis Lasurmalerei viel zu leidenschaftlich und ruhelos montiert. Comics, die in der Pop-art als Ersatz-Ikonen funktionieren durften, geistern jetzt versprengt zwischen Postkarten- und Ethnokitsch oder sozialistischen Lehrbuchillustrationen über die Leinwand, vermehren sich unkontrolliert und heben schließlich die Bildebenen vollends auf; zurück bleibt eine artifiziell überspitzte Flut an Motiven, deren einzelne Symbole sich wie Ausschnitte einer unendlichen Tapete zusammenfügen. Plötzlich enden selbst schreiend gelborange Disco-Spiralen im weiß übertünchten Cy- Twombly-Eck oder auf dem Bikini-Oberteil einer Russ-Meyer- Blondine. Invasion von der Vega – und nirgends ist man sicher, wenn die Malerei rotiert.
Bis 28.8. Di-Fr 15-18, Sa 10-13 Uhr, Galerie Mainz, Zossener Str. 40 Harald Fricke
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